Название: Chefvisite. Die unerwartete Rückkehr des Auferstandenen
Автор: Albrecht Gralle
Издательство: Автор
Жанр: Юмористические стихи
isbn: 9783961400041
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Es fiel mir schwer, mir das vorzustellen.
„Zu deiner Frage: Was ich oder was wir so machen? Bei uns im Himmel ist es nicht so, dass wir mal was machen und mal nicht. Ich bin mit dem ganzen Universum verbunden, und wenn ich mich jetzt konzentrieren würde, wüsste ich, womit Menschen, Pflanzen, Tiere in einem anderen Sonnensystem und in einer anderen Milchstraße sich gerade beschäftigen. Du siehst einen himmlischen Menschen vor dir, aber ich bin nur die Oberfläche Gottes, sein abgemildertes Bild. Gott in seiner Herrlichkeit könntest du keine Sekunde ertragen …“
Er blickte mich an, und vor meinen Augen ging eine Verwandlung vor sich, Licht schien durch ihn hindurch, und die Erde begann zu beben, oder es kam mir so vor.
Ich ließ meine Gabel fallen und sagte: „Hör auf!“
Ein paar Leute drehten sich um.
„Verstehst du, die ganze Wirklichkeit ist mit mir verbunden, jede Sekunde. Wenn nicht, würde alles auseinanderbrechen. Das ist unsere Arbeit, wir halten alles am Laufen.“ Er überlegte und sagte dann: „Die Kraft, die die Welt im Innersten zusammenhält, um Goethe zu zitieren.“
„… und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns …“, flüsterte ich.
„So ist es!“, nickte er und trank einen Schluck Wein.
„Hm“, sagte er, „ich hätte die wirklich teure Sorte nehmen sollen, aber als Begleitung zu einem Steak ganz okay.“
„Und was hast du vor, während du deine … ahm … Inspektion oder Chefvisite machst?“
Er lächelte. „Ich inspiziere nichts. Was hier läuft, das weiß ich alles schon, aber ich muss Dinge anstoßen, Worte, wie Samen auf die Erde streuen, Anregungen geben, nach dem Rechten sehen.“
„Merkwürdig“, sagte ich. „Jemand, der allmächtig ist und mit einem Fingerschnipsen alles zum Guten wenden könnte, müsste doch keine Entwicklungen anstoßen!“
Jeschua seufzte. „Es ist immer wieder das Gleiche. Die Menschen hier verstehen einfach nicht das Konzept der Allmacht Gottes. Als Gott seine Energie von sich wegschickte, um eine Schöpfung entstehen zu lassen, schuf er gewisse Gesetzmäßigkeiten. Er hat gemacht, dass die Dinge sich machen und kann das nicht dauernd umstoßen. Er konnte die Evolution in gewisse Bahnen lenken, das schon, aber die Welt der Menschen muss sich in einer bestimmten Freiheit entwickeln können, sonst taugt sie nichts. Und deshalb muss ich Entwicklungen anstoßen und kann nur darauf hoffen, dass Menschen sie annehmen. Ich kann Menschen nicht einfach wie ein Zauberer verändern. Wäre ja auch sonst ziemlich langweilig. Wir sind allmächtig in dem Sinn, dass alle Macht von uns kommt. Aber …“, er deutete mit der Gabel auf meinen Teller. „Dein Fleisch wird kalt.“
Wir aßen weiter, und schließlich fragte ich ihn nach seinen konkreten Plänen.
„Ich werde wohl die muslimische Welt besuchen müssen“, sagte er, „da läuft gerade etwas schief. Gott ließ den Islam entstehen, um die Menschen, die den christlichen Glauben nicht annahmen, wenigstens von ihrer Vielgötterei abzubringen, aber zur Zeit läuft es wirklich aus dem Ruder.“
„Und Deutschland?“
„Deutschland ist gar nicht so schlecht. Nach der großen Katastrophe haben die Deutschen immerhin dazugelernt, aber klar, ein paar Dinge muss ich hier auch in Gang bringen …“
„Und wie … wie kommen wir da hin? Fliegen wir durch die Luft wie Superman?“
Jeschua wehrte ab: „Nein, nein, wir fliegen ganz normal mit dem Flugzeug oder reisen mit der Bahn. Ich möchte nicht auffallen.“
Oh, dachte ich, dann muss ich mit meiner Frau doch ernsthaft reden, wenn ich so oft unterwegs bin. Das wird ihr nicht gefallen.
„Ich begleite dich nach Hause“, sagte er. „Deine Frau wird es verstehen.“
Es klang, als ob er meine Gedanken hören konnte, wahrscheinlich war es auch so.
„Ich musste mich damals um Petrus‘ Schwiegermutter persönlich kümmern. Die arme Frau war vor lauter Sorge krank geworden. Kann man gewissermaßen verstehen, wenn die Männer in einem Familienbetrieb kurzzeitig ausfallen.“
Wir ließen uns noch den Nachtisch schmecken, Crème Brûlée, sehr lecker, und traten wieder auf die Georg-Straße. Zwischendurch musste ich mir sagen: Ich bin jetzt mit dem wiedergekommenen Christus unterwegs, weil alles so normal schien. Nein, es gab noch einen kurzen Zwischenfall, als ein Auto ihn streifte und der Seitenspiegel zerbrach. Pech für das Auto.
4
Wir fuhren mit dem Nahverkehrszug nach Süden. Unterwegs rief ich zu Hause an, dass ich einen Übernachtungsgast aus dem Nahen Osten mitbringen würde.
„Diesen alten Freund, von dem du geredet hast?“, fragte meine Frau. „Kenne ich ihn?“
„In gewissem Sinne ja“, sagte ich, „aber du wirst ihn nicht gleich erkennen. Alles Nähere dann nachher.“
Ich blickte Jeschua von der Seite an. Er trug einen kräftigen Vollbart, wie es inzwischen bei jungen Männern üblich ist, und einen eher kurzen Haarschnitt. Nein, meine Frau würde ihn auf Anhieb nicht erkennen.
Obwohl, an seinen Handgelenken sah ich Narben. Das wäre ein Hinweis.
„Immer noch die Narben?“, fragte ich und deutete auf sein Handgelenk. Inzwischen hat man ja herausgefunden, dass die Nägel damals nicht durch die Handteller getrieben wurden, die wären sofort gerissen. Handgelenke hielten mehr aus.
Er blickte auf seinen Unterarm. „Ja, immer noch die Narben. Ich trage sie wie einen Orden.“
Mir fiel dazu nichts ein. Nach einer Weile sagte er: „Ich werde während der Fahrt so tun, als ob ich schlafe. In Wirklichkeit bin ich woanders. Ist jetzt zu kompliziert, um dir das zu erklären.“
Er lehnte seinen Kopf gegen die Lehne und schloss die Augen.
Als der Schaffner kam, gab ich ihm unser Niedersachsenticket, so brauchte ich meinen Mitfahrer nicht zu wecken.
Der Schaffner hätte es sicher nicht verstanden, wenn ich gesagt hätte: „Neben mir sitzt ein Auferstandener, der gerade eingeschlafen ist.“
Meine Frau holte uns am Bahnhof ab und bemühte sich, höflich und freundlich zu meinem Gast zu sein, der relativ schweigsam war.
Sie zeigte ihm das Gästezimmer und das Bad, und ich hörte, wie sich die beiden eine Zeitlang unterhielten.
Als sie nach unten kam, ließ sie sich auf die Wohnzimmercouch fallen und sagte nur: „Mein Gott, das wird uns niemand glauben! Und diese umwerfende Freundlichkeit!“ Nach einer Weile fragte sie: „Was isst eigentlich so jemand?“
Ich zuckte die Schultern. „Ich glaube alles, was wir auch essen. СКАЧАТЬ