Название: Chefvisite. Die unerwartete Rückkehr des Auferstandenen
Автор: Albrecht Gralle
Издательство: Автор
Жанр: Юмористические стихи
isbn: 9783961400041
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So ging ich also etwas angespannt durch die Packhofstraße zum Hans-Lilie-Platz, an den Fachwerkhäusern vorbei, bis ich vor der massigen Backsteinkirche stand.
Nur zur Information: Ich bin ein einigermaßen überzeugter Christ, habe diverse Zweifel durchlebt, glaube aber inzwischen alles, was im Glaubensbekenntnis steht, und das ist heutzutage nicht selbstverständlich. Ich finde es einfach albern, Glaubensgrundsätze über Bord zu werfen, die tausendfünfhundert Jahre gegolten haben, nur weil es ein paar intellektuelle Gegengründe gibt. Was ist denn so schlimm daran, an die Jungfräulichkeit Marias zu glauben? Schließlich sieht doch jeder, dass sich der Giersch auch mühelos vermehrt, ohne Sex gehabt zu haben.
Ich will nur sagen, dass die ganzen Wundergeschichten für mich kein Problem mehr sind. Warum sollten gelähmte Leute nicht gesund werden, wenn jemand durch Handauflegung Energie in ihren Körper fließen lässt? Warum sollte nicht jemand über das Wasser gehen können? Wir schaffen es sogar, über den Boden zu schweben, wenn wir verliebt sind oder auf den Nerven anderer Leute herumzutrampeln, ohne unterzugehen. Die meisten glauben unbesehen, was die Werbung ihnen verspricht, dagegen ist eine Totenauferweckung eine Lappalie.
Ich kenne die Bibel einigermaßen. Meine Lieblingsbücher sind das erste Buch Mose, Jesaja und die Evangelien.
Ich schaute auf die Uhr: halb eins. Von Jeschua keine Spur. Ich ging um die Kirche herum, betrachtete das Lutherdenkmal und las die Worte: „Christus vivit.“
Wie wahr!
Vielleicht sollte ich hineingehen, überlegte ich, und betrat die Kirche, die zum Glück offen war.
Ich meinte vorne vor dem Altar, eine Gestalt zu sehen. Das könnte er sein.
Tatsächlich stand Jeschua vor dem Altarbild und betrachtete interessiert die Szenen aus seinem Leben, besonders die Kreuzigungsgruppe in der Mitte. Alles vergoldet.
„Hallo!“, sagte ich mit einem leichten Hall in der Stimme.
Er drehte sich um und lächelte mir kurz zu. Inzwischen war er ganz normal angezogen: lange Hose, Hemd, ein dünner Pullover und bequeme Sportschuhe. Ich hoffte, dass er das alles diesmal gekauft hatte.
„Friede mit dir“, war seine Antwort. Es war seltsam. So etwas wie eine ungewohnte Ruhe kam über mich. Ich erinnerte mich an ein Lied, das wir damals als Jugendliche gesungen hatten: Ich weiß, was Friede ist, er liegt wie zarter Tau auf meiner Haut.
„Ja … ahm … ebenfalls Friede. Da bin ich also“, sagte ich überflüssigerweise.
„Interessant, wie die Künstler diese furchtbaren Szenen vergoldet haben“, sagte er.
„Na ja, vielleicht kann man sie dann besser ertragen“, schlug ich vor.
„Mag sein“, murmelte er. „Es war hart genug für mich.“
Wir schwiegen ein paar Augenblicke. Dann sagte ich: „Mir ist es immer noch ein Rätsel, wie du das alles durchgestanden hast. Stundenlang in glühender Hitze am Kreuz hängen, die Nägel durch die Handgelenke getrieben, die Füße angenagelt. Dornen in der Kopfhaut, und man kann sich nicht kratzen … Ich würde durchdrehen.“
Er zuckte die Schultern. „Ich hatte natürlich vorher mental trainiert, um die Schmerzen aushalten zu können. Das geht bis zu einem gewissen Grad. Gedanken setzen mehr Kräfte frei, als man denkt, aber länger als ein Tag ist kaum machbar.“
„Und dann hat dich Gott auch noch verlassen“, fügte ich hinzu.
„Das ist Unsinn“, meinte er.
„Aber es steht doch im … ich glaube im Markusevangelium.“
„Oh ja, das stimmt schon. Ich hatte tatsächlich das Gefühl, von Gott verlassen zu sein, weil ich alles Menschliche durchleben musste, aber natürlich war mein Vater da. In meiner schlimmsten Stunde zieht er sich doch nicht zurück, schließlich sind wir eine untrennbare Einheit. Ich bin seine menschliche Seite. Er ist immer gegenwärtig.“
„Musste sich Gott nicht zurückziehen, weil die Sünde der ganzen Welt auf dir …“
Jeschua blickte mich streng an, und ich hörte auf zu sprechen.
„Wenn Gott sich jedes Mal vor der Sünde zurückgezogen hätte, wäre die Welt gottlos geworden und schon längst untergegangen.“
„Aha“, sagte ich nur. „Aber … aber wenn Gott gegenwärtig ist, gilt das auch für die Hölle?“
„Sicher“, nickte er, „natürlich indirekt. Es gibt keine Energie, die an Gott vorbei existiert. Aber die Leute dort wissen es nicht oder wollen es nicht wissen.“
Das war mir neu, und ich musste es erst mal verdauen. Wenn Gott in der Hölle ist, dann müsste er auch in den Überschwemmungsgebieten, in der Wüste, bei den Terroristen und im Unterhaltungsprogramm des Fernsehens sein.
„Übrigens: Hast du Hunger?“, fragte Jeschua, der Auferstandene.
„Na ja, es ist Mittag und seit dem Frühstück habe ich nichts mehr gegessen.“
„Gut, dann gehen wir etwas essen“, meinte er, drehte sich um und ging den Gang zurück. Ich folgte ihm. Was sollte ich auch sonst tun als getaufter Nachfolger?
Wir fanden ein argentinisches Steakhouse in der Georgstraße, bei dem man draußen sitzen konnte.
„Ich lade dich ein!“
„Oh“, meinte ich, „vielen Dank. Wie machst du das eigentlich mit dem Geld? Wo bekommst du es her?“
„Das würdest du gerne wissen, was?“
„Das wäre praktisch.“
„Alles Materielle kann unendlich vermehrt werden, aber nur von Leuten, die sich in einer übergeordneten Dimension befinden …“
„Aber du konntest es doch vor deiner Auferstehung auch schon, oder nicht?“
„Ich bin die Ausnahme.“
„Okay.“
Der Kellner kam und erklärte uns, dass man sich einen Salatteller selbst zusammenstellen sollte, wir müssten ihm nur sagen, welches Fleisch und wie viel wir wollten.
Ich bestellte das Beste und Teuerste und dachte mir: Jemanden, der Geld vermehren kann, den kann man eigentlich kaum schädigen.
Jeschua bestellte sich Wein zu seinem Steak. Warum war er eigentlich nicht Vegetarier?
Ich nahm lieber Wasser und verzichtete auf den Wein, damit ich nicht während der nächsten Stunden müde wurde. Für mich war das ja eine Art Arbeitsessen.
„Ich habe mich oft gefragt“, fing ich an, als wir unseren Salat zusammengestellt hatten und unsere Steaks gebracht wurden, „was du eigentlich die ganze Zeit im Himmel so machst.“
Er sagte nichts und deutete auf unsere Teller.
„Erstmal essen und genießen“, meinte er.
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