Название: Über den Missouri
Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Жанр: Исторические приключения
isbn: 9783957840103
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»Tobias! Nicht nur Roach schläft in seiner Kammer über dem Keller. Im Kommandantenzimmer hält ein Mann Wache!«
»Aber nicht heute Nacht. Ich habe den Burschen wissen lassen, dass er sich heute Nacht fernzuhalten hat, weil Roach es so wünsche und Euch einmal des Nachts bei sich empfangen wolle, ehe Ihr abreist.«
»Tobias! Bist du wahnsinnig geworden!«
»Das Kommandantenzimmer ist heute Nacht leer. Ihr könnt dessen gewiss sein. Ihr habt den zweiten Schlüssel. Niemand wird Euch aufhalten.«
Der Kundschafter konnte nicht wissen, was in Cate vorging, und in der Dunkelheit ihr Mienenspiel nicht beobachten.
»Ich wage es«, sagte sie aber endlich. »Mein Vater würde wünschen, dass ich es tue.«
»Gut.«
Tobias entfernte sich noch nicht. Er zog einen Brief hervor und gab ihn Cate.
»Der junge Adams wartet darauf, dass Ihr das Fort verlasst«, sagte er dabei. »Er will Euch zur Frau nehmen, wenn Ihr mit ihm hinaufgehen werdet nach Kanada. Adams ist ehrlich. Vertraut ihm und lest den Brief genau. Ihr kennt ihn doch, den Adams. Er hat immer zu Eurem Vater gehalten.«
»Es ist wahr, was du sagst, Tobias.« Cate atmete auf. »Wirst du Adams noch einmal treffen?«
»Ich kann ihm Eure Antwort bringen.«
Als Roach und der Feldscher die Kellerluke wieder verschlossen hatten, hatte sich der Gefangene gerührt. Er hatte seinen Standplatz, der ihm den Blick zur Luke gewährte, verlassen und war zu der Wand zurückgetreten. Seine Kette klirrte. Er hasste es, sich auf den Kellerboden in den Schmutz zu legen, und lehnte sich an die Wand, um die Nacht im Stehen zu verbringen, wie er es in den Gefahren der Wildnis gelernt hatte. Aber es fiel ihm jetzt schwerer als früher. Seine Kräfte hatten nachgelassen.
Draußen seufzte und sang der Wind. Irgend etwas schwebte durch die Dunkelheit und glitzerte. Ein paar Flocken verirrten sich und schwebten zögernd durch die Luke herein. Die Augen des Gefangenen folgten ihnen, bis sie am Boden zergingen.
Obgleich der Gefesselte erschöpft war, schlief er nicht ein. Mit eingesunkenen Schultern lehnte er an der Wand und hing in halbwachem Zustand seinen Gedanken und Fieberphantasien nach. Er dachte an sein Zelt, an Mutter und Schwester. Er dachte an seinen Mustang und an die weite Prärie. Er dachte an seine Kampfgefährten, aber er hoffte nicht mehr, sie wiederzusehen. Der Gefangene hatte gehört, dass sein Volk geschlagen, dass es aus der Heimat vertrieben und ganz unterworfen sei; das hatte ihm der Wächter mit einer bösen Freude ausgemalt. Er hatte gehört, dass er selbst krank sei und nur noch wenige Tage zu leben habe. Als der Gefangene vor Tagen aufgehört hatte zu essen, weil seine Organe unter dem Druck der Kette kaum mehr arbeiten konnten, und als er mit keinem Wort um das verweigerte Wasser zum Trinken bat, da hatte er von sich selbst geglaubt, dass er mit dem Leben abgeschlossen habe und gegen seine feindliche Umgebung nicht nur Gleichmut spiele, sondern auch im Innern völlig gleichgültig geworden sei. Als Roach mit dem Feldscher gekommen war, hatte der Gefesselte aber die Erfahrung machen müssen, dass noch etwas in ihm lebte, wovon er selbst nichts mehr gewusst hatte. Er hatte gar nichts gegenüber dem bärtigen Feldscher selbst empfunden. Aber als dieser ihn im Auftrag des Capt’n Roach anfasste, hätte der Gefangene den Anthony Roach niederschlagen mögen. Noch immer war der Indianer nicht so vollständig gebrochen, dass er die Stimme des Capt’n Roach hören und seine Gegenwart hätte ertragen können, ohne von Hass gepackt zu werden.
Als die ersten Stunden der Nacht vergangen waren, begann der Gefangene darauf aufmerksam zu werden, dass etwas anders verlief als in den anderen Nächten. Roach hatte sich sehr früh zu Bett gelegt; der Dakota hatte die Schritte und das Quietschen der Zwischentür gehört; das waren Geräusche, die er genau kannte. Der Capt’n schnarchte, und der Gefangene unterdrückte mühsam sein Husten, weil er etwas Ungewöhnliches vernommen hatte und lauschen wollte. Der Wachposten, der sich wie jede Nacht im Kommandantenzimmer eingerichtet hatte, verließ das Haus eben wieder. Der Dakota hörte ihn hinausgehen und zuschließen. Zeit verging, aber der Posten kam nicht wieder.
In dem Gefangenen sprang ein Argwohn auf, der ihn im Grunde Tag und Nacht beseelte. Er glaubte, dass Roach ihn ermorden lassen wollte. Er wartete im Stillen jeden Tag und jede Nacht auf einen Mörder. Warum war jetzt die Wache weggegangen? Sollte etwas geschehen, wovon der Kommandant dienstlich nichts gewusst haben wollte?
Es musste um Mitternacht sein. Roach schnarchte immer noch.
Die Tür zum Kommandantenzimmer wurde wieder aufgeschlossen. Es trat jemand ein und schloss wieder zu. Schritte ließen sich hören: Das waren nicht die Schritte des Wächters. Es war ein leichter, tastender Schritt. Ein Brett knarrte. Darauf war es wieder still, als ob jemand fürchtete, sich zu verraten.
Der Dakota bewegte den Kopf. Seine wochen- und monatelangen Kopfschmerzen beeinträchtigten sein scharfes Wahrnehmungsvermögen, aber sein Wille zwang seine Gehörnerven und sein Gehirn, in diesem Augenblick zu funktionieren. Er horchte angespannt und nahm den nächsten vorsichtigen Schritt wahr.
Die Vermutungen und die Stimmung des Gefangenen schlugen um. Eine derartige Vorsicht zu üben, hätte ein Mörder im Auftrag des Capt’n nicht nötig gehabt. Alle Hoffnungen, die der Gefangene lange und gewaltsam hinuntergewürgt hatte und auch jetzt niederhalten wollte, erhoben sich und überwältigten ihn.
Wer war da oben? Was wollte er? Würde er den Deckel heben?
An dem Deckel, der die Bodenöffnung zum Keller verschloss, wurde gearbeitet. Der Deckel bewegte sich ein wenig, fiel wieder zurück, als sei er schwachen Händen zu schwer gewesen, und bewegte sich von neuem. Er wurde ganz aufgehoben. Der Gefangene befand sich in einiger Entfernung von der Öffnung und konnte nicht hinaufsehen. Er hörte aber, wie die Leiter bewegt, und sah dann, wie sie langsam heruntergelassen wurde. Es erschienen zwei kleine Füße in hohen Reitstiefeln, die von Sprosse zu Sprosse abwärts stiegen.
Die Dunkelheit war von einem schwachen Schimmer des Mondlichts aufgehellt. Der Dakota erblickte ein Mädchen. Sie hatte den Kellerboden erreicht, sah sich um und ging auf den Gefangenen zu.
»Du kennst mich, Tokei-ihto«, sagte sie einfach. »Ich bin Cate, die Tochter des Samuel Smith. Mein Vater ist gestorben. Ich gehe jetzt auch fort. Tobias hat mir den Auftrag gegeben, dir vorher etwas zu sagen.«
»Ja?« Das Wort war mehr ein Bewegen der Lippen als ein Ton.
»Der Krieg ist zu Ende. Der Befehl, dich zu entlassen, ist schon da. In spätestens vierzehn Tagen hat Roach auf seine Rückfrage die Bestätigung, dass er ihn unbedingt ausführen muss. Tobias ist der Bote. Du wirst frei.«
Das Wort »frei« traf den Gefangenen wie ein Kriegsruf, der den Mann aus dem Schlaf weckt; die Willenskraft des Häuptlings sprang sofort auf, und ohne Gefühlen Raum zu geben, konzentrierte er sein Denken. Er musste fragen, er konnte fragen; das war seine erste Waffe, nach der er zu greifen vermochte. »Wie hat der Krieg geendet?«
»Mit eurer Niederlage, Häuptling. Es ist wahr, dass ihr erst große Siege errungen habt. Eure Häuptlinge Sitting Bull СКАЧАТЬ