Weihnachtlich glänzet der Wald. Ruth Reuter
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Название: Weihnachtlich glänzet der Wald

Автор: Ruth Reuter

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежные детективы

Серия:

isbn: 9783945961643

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СКАЧАТЬ ging, sah ich

      Mama immer durch die Luft segeln.

      Schon das erste Weihnachten, an das ich mich erinnere, war eine Katastrophe, war es. Mit Hingabe sortierte ich meine Geschenke nach Größe, Form und Farbe. Aber auspacken? Mama machte es vor, und unversehens war ich von buntem Spielzeug, Winterkleidung und Bilderbüchern umzingelt. Meine Freude wich blanker Panik: Wie sollte ich all die fremden Gegenstände in mein Leben integrieren? Ich schrie. Mama schrie auch. Ich wollte die Sachen schnellstmöglich wieder in das Papier zurückstecken, wollte ich. Aber Mama hielt mich fest. Als ich kurz freikam, schlug ich der neuen Puppe in meiner Hand den Schädel ein. Tavi brachte mich in mein Zimmer, und Mama rief: »Schließ deine Tochter bis morgen da ein!« Aber das musste er gar nicht – ich verbrachte freiwillig die restlichen Weihnachtstage unter meinem Bett, bis ich mich langsam an den Gedanken gewöhnte, dass die sogenannten »Geschenke« nun Teil unserer Wohnung waren.

      Anstatt die Schenkerei künftig zu unterlassen, machte Mama ein Weihnachten, »wie es sich in der Familie gehört«, zu ihrer persönlichen Mission. Hatte sie zuvor nur auf ein bisschen Weihnachtsschmuck gesetzt, ließ sie sich nun jedes Jahr etwas Neues einfallen. Aber auch, wenn sie die Geschenke mal in Jutesäcken, mal in übergroßen Strümpfen daherkommen ließ – am Ende spielte sich immer die gleiche Szene ab. Vor dem vierten Weihnachten, an das ich mich erinnere, nahm Tavi mich im November heimlich mit in die Rauhensteingasse. Wir betraten die Wiener Spielzeugschachtel, und er sagte: »Jetzt such dir mal selbst aus, womit du klarkommst, Lissie, und dann besuchen wir deine Geschenke noch ein paar Mal hier, bevor sie zu uns kommen, ja?« Er legte den Finger an den Mund. »Aber pssst!«

      Die friedlichen Bescherungen in den Jahren danach verbuchte Mama als ihren Erfolg. Aber es war Tavi, der das Weihnachtsmahl allein mit mir in der Küche aß, wenn Oma und Opa und Onkel Franz an Heiligabend in der falschen Reihenfolge eingetroffen waren. Mama stritt sich deswegen mit ihm, doch ich beruhigte mich eben nur, wenn ich eine Auszeit von dem abgesägten Baum in der Wohnzimmerecke bekam. Außerdem konnte ich die Kaugeräusche der verdoppelten Esser nicht ertragen, konnte ich nicht.

      Am sechsten Weihnachten, an das ich mich erinnere, bestand Mama auf meine Anwesenheit bei Tisch. »Wir wollen Fondue machen, und Lissie ist alt genug, sich mal zusammenzureißen!« Man drückte mir zwei seltsame Gabeln in die Hand. Was mir dazu erklärt wurde, bekam ich nicht mit, denn das Rauschen des Spiritusbrenners hypnotisierte mich und auch das große Durcheinander aus Platten, Schüsseln und Händen, die pausenlos dazwischen hin und her huschten. »Lissie sitz doch nicht so da«, hörte ich Mama, die mit einer Hand die Flamme regulierte. »Du kannst schon mal mein Fleisch aufspießen, wenn du selbst keinen Hunger hast.« Das tat ich. Aber ich erwischte ihre Pulsadern, und den Rest des Abends verbrachte Mama mit Tavi in der Notaufnahme.

      »Was hast du dir nur dabei gedacht?«, fragte Oma, die nach dem Tumult zu mir gekrabbelt kam, um mich unter dem Tisch hervor zu zerren. »Deine Mutter hätte sterben können!« Diese Möglichkeit weckte mein Interesse, weckte sie. Schon jetzt war es viel angenehmer in der Wohnung, ohne Mama. Konnte sie wirklich verschwinden, nur weil man das mit den Rindfleischbrocken nicht kapiert hatte? Und was, wenn man dem unbemerkt etwas nachhülfe? Ein Leben nur mit Tavi wäre ruhig und friedlich. Er zwang mich nicht in die Nähe anderer Kinder, die mir mit ihren sich ständig in Bewegung befindlichen Gesichtern ein noch größeres Rätsel als die Erwachsenen waren. Er führte keinen Streit mit meinen Lehrern wegen der Sonderschule, und ließ meine »Anfälle« einfach an sich vorüberziehen. Mama dagegen schrie, gebot, weinte lautstark. Im Grunde wollte ich sie das ganze Jahr über verschwinden lassen. Aber an Weihnachten war es am schlimmsten.

      Ich übte mich in kleineren Haushaltsunfällen, meine Fortschritte hielt ich in einer Liste fest. Es war einfach auszutüfteln, was man wie sabotieren konnte. Aber nur einmal musste Mama in die Klinik, und mit einem Gipsarm kam sie schnell zurück. Um sie für die Weihnachtszeit zuverlässig auszuschalten, brauchte ich einen richtigen Plan, brauchte ich.

      Doch bevor mir etwas einfiel, kam Tavi auf die Idee mit dem Museum. Weil Mama blinkende Lichterketten aufhängte und draußen das Glockengeläut nicht mehr abriss, packte er mich ins Auto. »Das Kind muss aus dem Weihnachtsrummel raus!« Das war das achte Weihnachten, an das ich mich erinnere, und es gab noch keinen Christkindlmarkt auf dem Maria-Theresien-Platz. Dort standen wir unentschieden zwischen den beiden Museumspalästen – Kunst oder Natur? Plötzlich sah ich eine Gestalt auf dem Dach der Naturhistorik, und ich hatte eine Eingebung: Mit Geschick konnte man jemanden doch bestimmt diskret da runterschubsen? Vielleicht könnte anderntags mal Mama mit mir hierherkommen. Ich zeigte auf das Gebäude, und die Entscheidung war gefallen, war sie.

      Sie wurde zur einzigen Weihnachtstradition, die ich mochte. Ganze Adventswochenenden, auch Feiertage, streiften Tavi und ich durch die menschenleeren Korridore und Prunksäle. Krebse, Spinnentiere, Insekten, Wirbeltiere – Tausende von Taxidermie-Präparaten, jedes in seiner Glasvitrine. Hier veränderte sich kaum etwas, und keines der toten Augenpaare sendete je Signale, die ich nicht entziffern konnte. Nur aufs Dach durfte man als Besucher doch nicht, durfte man nicht. Trotzdem: Wenn es mir schlecht ging, sah ich Mama immer durch die Luft segeln.

      Ich experimentierte damit, aber in dem Jahr, in dem Mama am Martinstag tatsächlich von der Leiter stürzte und drei geruhsame Wochen mit Tavi folgten, nahm ich widerwillig Abstand vom Ausbau meiner Pläne. Denn bevor Mama aus der Reha kam, stand Tavi eine Spur zu lange vor der Vitrine mit der Mexikanischen Zwergklapperschlange: »Weißt du was? Ich brauche deine Mutter.« Zuhause vernichtete ich die Liste.

      An die drei darauffolgenden Weihnachten erinnere ich mich nicht, wahrscheinlich wegen der Medikamente, die sie mir eins nach dem anderen und ohne jeglichen Erfolg verabreichten. In der Schule ging es immer schlechter, dann ging gar nichts mehr, ging es nicht. Statt Mama verschwand ich aus unserer Wohnung. Da, wo ich hinkam, störte nichts meine einmal gefundenen Gewohnheiten, eine lange Weile nicht. Ich fühlte mich wohl, das Personal war so ruhig. Auch Tavi und Mama führten lange Gespräche mit den Ärzten. Am Ende entschuldigte sich Tavi bei mir. Mama sagte: »Na, dann ist das Kaninchen ja endlich aus dem Hut!« Ich sah mich suchend um, fand aber keins.

      Danach durfte ich bald alleine leben, durfte ich. Am Anfang bekam ich Betreuer, die mich besuchten. Für die Schule gab es Fernangebote. Tavi besuchte mich auch, manchmal mit Mama: »Und wann wirst du mal etwas arbeiten können, Lissie?« Als ob das nicht für mich selbst das größte Rätsel gewesen wäre! Sie wohnten jetzt weiter weg, aber am Samstag vor Heiligabend kam Tavi immer allein und blieb über Nacht, damit wir bis spät im Museum wandeln konnten. Noch immer waren mir die Augenpaare der Exponate lieber als lebendige, und von mir aus hätte es ewig so weitergehen können, hätte es. Doch dann bekam Tavi einen Herzinfarkt und selbst tote Augen.

      Das war vor dem sechszehnten Weihnachten, an das ich mich erinnere. Obwohl Mama am Telefon wieder schrie, gebot und weinte, ging ich nicht zur Beerdigung, deren Sinn sich mir nicht erschloss. Dafür erlaubte ich ihr, das traditionelle Weihnachtswochenende mit mir in Wien zu verbringen. Ich hätte mich nicht darauf einlassen sollen, hätte ich nicht. Aber mit wem sonst ins Museum gehen? Dies war nicht die Zeit, um meine Weihnachtsabläufe durcheinander zu bringen.

      Mama erschien mit Koffer und einer Papiertüte vor meiner Tür, fast hätte ich die wieder zugeworfen. »Grüß Gott, Lissie!«, ächzte sie. »Ich musste dem Taxler ein unmoralisches Angebot machen, sonst wär ich zu spät.« Überquellende Geschenkbänder kräuselten sich in meine Augen. Gleichzeitig fiel mich ein Bild von Mama in Strapsen an, aber nein, sie hatte dem Fahrer wohl nur eine Menge Geld geboten.

      »Wieso, du bist drei Minuten über Plan, über Plan«, sagte ich und deutete auf die Tüte. »Du bringst Geschenke mit?«

      »Willst du mich nicht erst mal reinlassen?«, fragte sie. Ich überlegte. Sie tat einen Schritt auf mich zu.

      »Ach Kind, nur eines, ausnahmsweise! Dies Jahr ist sonst alles so trostlos СКАЧАТЬ