Название: Wie Opas schwarze Seele mit einem blauen Opel gen Himmel fuhr
Автор: Albrecht Gralle
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783961400850
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„Kinderbibel ist doch was für Babys!“, schrie Paul.
„Ruhe, hab ich gesagt, sonst werde ich sehr ungemütlich! Ich erzähle euch jetzt die Geschichte weiter. Das gehört zur Allgemeinbildung, aber das Wort kennt ihr wahrscheinlich nicht.“
Es stimmte. Ich fand, dass „Allgemeinbildung“ ein seltsames Wort war. Es klang nach einem Ersatzteil für Automotoren.
Herr Klinke nahm seine Wanderung wieder auf und erzählte von David, wie er seinen Bruder in der Hauptstadt besuchte und erfuhr, dass ein riesiger Soldat von den Feinden Israels sich über Gott lustig machte. Aber keiner unternahm etwas. Da meldete sich David. Er wollte gegen Goliath kämpfen. Alle lachten ihn aus, weil der Riese Goliath einen Panzer trug und schwer bewaffnet war. Aber David nahm seine Schleuder, zielte auf seinen Kopf, und der Riese fiel tot um.
Bisher war mir noch kein richtiger Fehler aufgefallen.
Auch als die Geschichte zu Ende war, hatte Herr Klinke sie richtig erzählt.
„Ich hab keinen Fehler entdeckt, Herr Klinke“, sagte ich.
„Ich habe ja auch nur gesagt, dass ich einen Fehler einbauen könnte …“
Paul meinte, mit einer Gummischleuder könnte man keinen Riesen töten, aber Herr Klinke malte eine Schleuder an die Tafel, so eine von damals, die hatte eine Schlinge, und man musste sie im Kreis drehen. Und dadurch bekam der Stein eine wahnsinnige Geschwindigkeit.
„Mein Vater sagt, dass die Geschichten in der Bibel alle erfunden sind“, fing Paul wieder an.
„Das stimmt nicht. Die Bibel lügt nicht“, rief ich.
„Du hast ja keine Ahnung“, meinte Paul, „außerdem ist dein Vater tot.“
„Aber ich habe einen Opa, der ist bei der Lufthansa, und der kann uns jederzeit Flüge besorgen.“
Dazu fiel Paul nichts mehr ein, und Herr Linke kam mit einer zweiten Geschichte. Diesmal handelte sie von einem Mädchen, das so arm war, dass es Zündhölzer auf der Straße verkaufte, und zum Schluss kam es irgendwie in den Himmel, das heißt, nachdem es erfroren war.
„Und?“, fragte Herr Klinke. „Wer kennt diese Geschichte?“
Henriette aus der dritten Reihe meldete sich und sagte: „Das ist ein Märchen von Hans Christian Andersen.“
Wir blickten alle zu ihr hinüber, denn Henriette sagte sonst kaum was. Ich schaute ein bisschen länger hinüber, weil Leili neben ihr saß.
„Stimmt. Das war keine biblische Geschichte. Außerdem gab es damals zu biblischen Zeiten noch keine Zündhölzer …“
„Höchstens Feuerzeuge“, sagte ich.
„Auch die gab‘s noch nicht“, meinte Herr Klinke.
„Aber wie hat dann der Prophet Elia die Sache mit dem brennenden Altar hingekriegt?“
„Gott hat seinen Blitz in den Altar geschleudert, und dann hat alles gebrannt.“
„Hat dann Gott auch letzte Woche das Haus in der Mozartstraße angezündet?“, fragte Paul.
„So kann man das nicht sagen.“
„Aber mein Vater hat gesagt, das ist höhere Gewalt, also ist es Gott gewesen.“
Es klingelte, und ich glaube, dass Herr Klinke irgendwie froh war, dass er die Stunde beenden konnte.
Wir hatten dann noch Gemeinschaftskunde und Erdkunde und die letzte Stunde war Sport.
Unsere Lehrerin ließ uns vor dem Hochsprung drei Runden um den Sportplatz drehen, und ich passte auf, dass ich mal neben Leili lief und ihr „Hallo, Leili!“ zurufen konnte. Sie blickte kurz hoch und lächelte mich an. Ich wusste aber nicht, ob es so ein höfliches Lächeln war oder eines nur für mich.
Als wir nach Hause gingen, hupte es plötzlich auf der Straße, und ich sah den VW Passat von Opa an der Straße stehen.
Ich ging zu ihm hin und fragte: „Wartest du auf mich?“
„Natürlich, mein Junge“, sagte er und lächelte.
Das kam mir komisch vor. Warum wollte er mich abholen? Und warum lächelte er? Irgendwie sah sein Lächeln merkwürdig aus. Und das war etwas, worin ich mich auskannte. Ich hatte nämlich für mich eine Lächeltabelle angefangen. Ursprünglich hatte ich sie aufgeschrieben, um Leilis Lächeln besser zu verstehen und hatte im Lauf der Zeit zehn verschiedene Lächeltypen herausgefunden:
Lächeln 1: | ein harmloses Lächeln über irgendwas Nettes. |
Lächeln 2: | ein gemachtes Lächeln, weil es von Erwachsenen erwartet wird, zum Beispiel, wenn Familienbilder gemacht werden oder weil es einfach höflich ist. |
Lächeln 3: | teuflisches Lächeln, wenn du siehst, dass dein ärgster Feind eine richtig miese Pechsträhne hat. |
Lächeln 4: | verliebtes Lächeln. Ein Mädchen lächelt dich an, weil es dich cool findet. |
Lächeln 5: | Mutterlächeln, weil sie ein Baby im Arm hält. |
Lächeln 6: | rätselhaftes Lächeln. Das Lächeln könnte alles bedeuten, du kommst nicht dahinter, warum der andere lächelt. |
Lächeln 7: | Zerstreutes Lächeln, das eigentlich kein Lächeln ist, sondern nur gemacht wird, weil einem nichts Besseres einfällt. |
Lächeln 8: | Spöttisches Auflachen (ein merkwürdiges Wort. Gibt es eigentlich auch ein Zulachen?). Wobei ich nicht weiß, ob Nummer acht noch ein Lächeln ist. |
Lächeln 9: | Strahlendes Lächeln, echt oder manchmal auch unecht. |
Lächeln 10: | Unnachahmliches, spezielles Lächeln von Leili |
Ich war mir ziemlich sicher, dass Opa Elias das Lächeln Nummer sechs aufgesetzt hatte, immerhin besser als Nummer drei. Jedenfalls fragte ich Opa, nachdem sein Lächeln Nummer sechs vorbei war: „Hast du Anna auch schon abgeholt?“
„Nein, die ist selbst gekommen, und da kam ich auf die Idee, dich abzuholen. Steig ein, Enkel!“
Ich stieg ein und nahm mir vor, aufzupassen.
Er fuhr an, und wir schwiegen. Bei einer roten Ampel kratzte sich Opa am Kinn und sagte beiläufig: „Ach, da fällt mir ein … Wer ist eigentlich diese Frau, die neben euch wohnt? Ich hab sie heute Morgen zufällig gesehen.“
„Rechts oder links von uns?“
„Wenn man vor eurer Haustür steht, rechts.“
„Ach so, das ist Frau Mergenthaler.“
„Und die … also die lebt mit ihrem Mann ganz allein in dem großen Haus?“
„Nee, die ist ganz allein. Ihr Mann ist vor einem Jahr gestorben, glaub ich. Ab und zu kommt ihre Tochter vorbei. Mama meinte, sie ist letzte Woche fünfundsiebzig geworden.
„Aha. Fünfundsiebzig“, murmelte Opa, „sieht aber aus wie sechzig.“
„Sechzig СКАЧАТЬ