Der Engel, der seine Flügel verbrannte. Markus Saxer
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Название: Der Engel, der seine Flügel verbrannte

Автор: Markus Saxer

Издательство: Автор

Жанр: Публицистика: прочее

Серия:

isbn: 9783961450831

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СКАЧАТЬ du aus Lehm den Golem geformt und zum Leben erweckt hast, war dies ein Eingriff in den Plan der Schöpfung.«

      »Aber«, krächzte der Rabbi, hielt die Hände in die Höhe und ließ sie sogleich kraftlos wieder fallen, »ich erschuf den Golem doch nur, um den Ablauf der Schöpfung zu erfassen und nachzuvollziehen.«

      »Du wolltest dich auf eine Stufe mit Gott stellen!«

      Tief betroffen sah der Rabbi seine frevelhafte Tat ein und war ratlos: »Was soll ich jetzt tun?« Hinter den Brillengläsern glitzerten Tränen, als er sich mit der Rechten schwer auf den Talmud abstützte, der vor ihm auf dem Tisch lag.

      »Dein Geschöpf töten. Ist dies bis zum nächsten Sabbath nicht geschehen, wird der Allerhöchste den Cherub mit dem Flammenschwert von seiner Wache über den Baum des Lebens abberufen. Tut er dies, wird in der Folge die Erde von Feuer verzehrt und alles Leben vernichtet werden.«

      »Ich habe die Kontrolle über den Golem verloren, er ist auf und davon«, gab der Alte kleinlaut zu und wischte sich fahrig übers Gesicht. »Im Prager Ghetto soll er angeblich sein Unwesen treiben. Wie ein Berserker wütet er dort und erschlägt jeden, der sich ihm in den Weg stellt. Daher erscheint es mir kaum möglich, ihn bis zum Sabbath dort aufzuspüren und zu töten. Ich bin nur ein alter Mann.«

      Der Feuerblick des Erzengels brannte dem Rabbiner im Gesicht und in der Seele, als er sagte: »Wenn du deines Geschöpfs nicht habhaft werden kannst um es zu töten und so das Gleichgewicht der Welt wiederherzustellen, muss ich die Sache für dich in Ordnung bringen.« Wie ein wandelndes Licht trat das himmlische Wesen auf den Rabbiner zu und schrieb ihm mit dem Finger das Wort METH, das Siegel des Todes, auf die Stirn, während er monoton eine Formel sprach.

      Ein entsetzlicher Schrei wich von den Lippen des Alten, sein Blick erlosch und sein Antlitz erstarrte: Der Rabbi wurde selbst zu einer leblosen Statue, einem Lehmbild. Die äußere Schicht seines Gesichts bröckelte ab und ein Ton von fahlem Gelb kam zum Vorschein, der sich langsam in Staub auflöste.

      Da war das Gleichgewicht der Welt wiederhergestellt, und der Erzengel verließ die Kammer und schwang sich in die Sphäre des oberen Himmels empor, des feurigen, der aus Licht ist.

       Gefährliche Erbschaft

      Deborah Lehmanns Schritte mäanderten über die Marmorfliesen des riesigen Wohnzimmers, über welche die Sonne ihre Strahlen breitete. Sie frohlockte innerlich, als ihr erneut klar wurde, dass diese Villa bald ihr gehören würde, konnte ihr Glück kaum fassen. Ihr verstorbener Onkel Thaddäus − Abkömmling eines alten europäischen Geldadels − hatte ihr die Liegenschaft mit einer absonderlichen im Testament verfügten Auflage vererbt: Deborah durfte den Prunkbau mit der Säulenveranda in den ersten beiden Tagen unter gar keinen Umständen verlassen, egal was geschehen würde. Erst danach würde die Villa in ihr Eigentum übergehen. Was war vom letzten Willen des exzentrischen Onkels zu halten? Dies ging Deborah immer wieder durch den Kopf, doch sie kam nicht dahinter und fand keine plausible Erklärung dafür. Ihr Onkel hatte allein in völliger Abgeschiedenheit gelebt und sein Leben, wie man hörte, geheimen Forschungsprojekten und alchemistischen Experimenten geweiht. Mit seiner Affinität zum Okkulten galt er allgemein als Phantast und Sonderling, dem stets etwas Diabolisches anhaftete: Die Diabolik eines gleichsam verschrobenen, aber nicht bösartigen Prince of Darkness mit Gothic-Habitus.

      Deborah hatte ihn nur selten gesehen und stand ihm nie besonders nahe − desto erstaunlicher, dass er sie nun mit diesem fürstlichen Erbe bedachte.

      »Wir haben Ihnen den Kühlschrank gefüllt, Frau Lehmann«, verkündete die Nachlassverwalterin Helene Thalbach, eine stattliche, vorzeitig ergraute Dame. »Sie brauchen in den nächsten Tagen bestimmt nicht zu hungern.«

      »Sehr aufmerksam. Danke, Frau Thalbach.« Deborahs Blicke schweiften über die mit weißen Laken bedeckten Möbel, die nicht aussahen wie Sofas, Schränke oder Tische, sondern eher wie ungestalte Tote unter Leichentüchern. Lebendig wirkte einzig der imposante Kronleuchter mit seinen funkelnden Prismen.

      »Dass Sie das Haus bis übermorgen nicht verlassen dürfen …«, die Nachlassverwalterin kramte mit gerunzelter Stirn ein Dokument aus ihrer Aktentasche hervor, »mutet schon bizarr an, muss ich sagen.«

      »Allerdings.« Deborah kniff ihre Augen, die die Farbe von Bitterschokolade hatten, zusammen und strich sich eine Strähne hinters Ohr. »Was mag mein Onkel damit bezwecken?« Eine senkrechte Falte erschien zwischen ihren vollendet geformten Brauen.

      Helene Thalbach zuckte mit den Achseln. »Da müssten Sie ihn fragen können. Vielleicht will er Ihren Mut prüfen, wer weiß.«

      »Na super.«

      »Deborah, sollten Sie in Gefahr geraten, rufen Sie bitte sofort die Polizei.«

      »Ich kann auf mich aufpassen. Bin ja schon ein großes Kind.« Zärtlich betrachtete die Hauserbin in spe die in Silber gerahmten schwarzen Quadrate an der Wand. Schwarz, das Lapislazuli der abstrakten Expressionisten, war ihre Lieblingsfarbe.

      Die Nachlassverwalterin hatte sich ihren Kaschmirmantel um die Schultern gelegt und ergriff die Aktentasche. »So, dann lasse ich Sie jetzt mal mit Ihrer Villa Kunterbunt allein.«

      Deborah begleitete sie zur Tür. Als sich die Frauen voneinander verabschiedeten, tauchte die Dämmerung den Himmel in die Farben des Feuers.

      Die junge Frau schloss die Tür und verriegelte sie. Dann kickte sie ihre zierlichen schwarzen Lackpumps in die Ecke. Mit Koffer und Beauty-Case in den Händen stieg sie die Marmortreppe empor, welche oben von je einer lebensgroßen steinernen Frau mit erhobenem Gasleuchter flankiert wurde. »Ihr dürft mich Königin der Welt nennen, Schwestern«, sagte sie übermütig, als sie die Statuen passierte.

       In zwei Tagen bin ich Millionärin. Ich muss nie wieder arbeiten!

      Als sie sich nach dem Schaumbad vor dem beschlagenen Spiegel das Haar zum Pferdeschwanz band, blickte sie auf eine geisterhafte, ätherische Version ihrer selbst.

      Nach dem Genuss eines Schinken-Omeletts inspizierte sie ihr Schlafzimmer, ein düsterer hoher Raum, dessen Wände mit rotem Damast bezogen und mit alten Stichen geschmückt waren. Bücher drängten sich in Regalen, balancierten auf der Kommode und lugten unter dem Bett hervor, auf das jemand frische Laken gelegt hatte. Sie nahm zwei Bücher mit goldverzierten Einbänden zur Hand und setzte sich auf die Bettkante. Das eine war ein naturwissenschaftliches Werk von Paracelsus, das andere Goethes »Faust«. Sie öffnete den »Faust« da, wo sich das seidene Lesezeichen befand: Die geschilderte Laboratoriumszene, wo Wagner im Beisein von Mephistopheles den Homunkulus, einen künstlichen Menschen in einer Phiole erzeugt, war rot unterstrichen und mit Ausrufezeichen versehen. Da sich Deborahs Interesse an derlei Texten in Grenzen hielt, legte sie das Buch zur Seite und öffnete das Fenster. Der Nachthimmel sah aus wie ein schwarzes Meer, auf dessen Oberfläche zahllose Lichter um einen dreiviertelvollen Mond herum glitzerten. Sie blickte auf die Häupter der steinernen Statuen herab und roch den scharfen Duft des toten Laubes. Sie schloss das Fenster und legte sich im schwarzen Bademantel mit angezogenen Knien unter die Bettdecke, das Smartphone griffbereit neben sich.

      Später verschickte sie noch ein paar SMS an ihre besten Freundinnen. Danach versuchte sie zu schlafen, jedoch erfolglos: Zu viele Gedanken im Zusammenhang mit dem Testament und dieser Villa gingen ihr durch den Kopf …

      Als sie um zwei Uhr morgens immer noch herumgrübelte, stand sie auf, um eine Schlaftablette zu schlucken. Kaum hatte sie gähnend das Licht angeknipst, klingelte es an der СКАЧАТЬ