Название: Ökumene - wozu?
Автор: Jutta Koslowski
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783865066558
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3. Die katholische Kirche und die Ökumene
Mortalium animos (1928) – Zweites Vatikanisches Konzil (1962 – 65) – Entwicklung bis 2010
Auf nicht katholischer Seite ging die Initiative zu ökumenischem Engagement von den Kirchenleitungen aus und ist, gestärkt durch Organisationen wie den Ökumenischen Rat der Kirchen, an die Basis gelangt. Für die katholische Seite stellt sich die Lage genau umgekehrt dar: Zunächst traf die ökumenische Bewegung auf ablehnende Reaktionen der Kirchenleitung. In der Enzyklika Mortalium animos von
1928 sah PIUS XI. (CHILLE AMBROGIO DAMIANO RATTI, 1857 – 1939) in ihr eine religiöse Version des Völkerbundes und warnte vor Scheinlösungen, welche Fragen des Glaubens und der Wahrheit hintanstellten. Eine katholische Beteiligung kam nicht infrage.
Doch gerade in den Kriegsjahren unter den erschwerten Bedingungen gemeinsamer Verfolgung hatten sich in Deutschland erste Annäherungen zwischen katholischer und evangelischer Seite entwickelt, z. B. in der »Una-Sancta-Bewegung«, die über ökumenisch gesinnte Bischöfe wie den Paderborner Erzbischof LORENZ JAEGER (1892 – 1975) in Rom Gehör fanden. Auch in anderen Ländern gab es eine Reihe geistlicher Wegbereiter von unten. So betonte der französische Priester PAUL COUTURIER (1881 – 1953), das Wort »alle sollen eins sein« (Joh 17, 21) sei kein Gesetz, sondern ein Gebet. Durch seine Initiative wurde die schon 1908 approbierte »Gebetswoche für die Einheit der Christen« seit 1940 jährlich begangen. Der reformierte Schweizer Theologe ROGER SCHUTZ (1915 – 2005) gründete im Zweiten Weltkrieg eine zunächst evangelische, dann bewusst überkonfessionelle Bruderschaft in Taizé. 1943 rief die Italienerin CHIARA LUBICH (1920 – 2008) die »Fokolar-Bewegung« ins Leben, eine 1962 vom Vatikan approbierte geistliche Gemeinschaft, die z. B. seit 1965 im Ökumenischen Lebenszentrum Ottmaring bei Augsburg das geschwisterliche Miteinander von evangelischen und katholischen Christen lebt.
Dann, nach der Konzilsankündigung von 1959, ging alles sehr schnell: 1960 wurde das Vatikanische Einheitssekretariat gegründet. 1962 begann das Zweite Vatikanische Konzil, eines der wichtigsten Ereignisse der Ökumenegeschichte des 20. Jahrhunderts. Als erstes Konzil bekannte es sich zu einem ökumenischen Weg: 1964 verabschiedete es das Ökumenismus-Dekret Unitatis redintegratio, welches die ökumenischen Bemühungen um Einheit mit allem Nachdruck unterstützt. »Die Einheit aller Christen wiederherstellen zu helfen ist eine der Hauptaufgaben des Heiligen Ökumenischen Zweiten Vatikanischen Konzils.«6 Es erkannte die Gläubigen aus anderen Kirchen als Schwestern und Brüder in Christus an, denen die Schuld an den Spaltungen nicht allein zukomme, und unterstrich: »Der Heilige Geist, der in den Gläubigen wohnt und die ganze Kirche leitet und regiert, schafft diese wunderbare Gemeinschaft der Gläubigen und verbindet sie in Christus so innig, dass er das Prinzip der Einheit der Kirche ist.«7 Weiter heißt es dort: »Die Sorge um die Wiederherstellung der Einheit ist Sache der ganzen Kirche, sowohl der Gläubigen wie auch der Hirten, und geht einen jeden an, je nach seiner Fähigkeit, sowohl in seinem täglichen christlichen Leben wie auch bei theologischen und historischen Untersuchungen.«8 Dass Ökumene kein privater Luxus, sondern Aufgabe der ganzen Kirche ist, findet in das nachkonziliare Kirchenrecht Eingang.9 Unitatis redintegratio steht nicht isoliert da, sondern in Zusammenhang mit anderen Konzilsaussagen, vor allem mit der Kirchenkonstitution Lumen gentium und der Pastoralkonstitution Gaudium et spes. Alle diese Dokumente vertreten keine exklusivistische Ekklesiologie: Die wahre Kirche Jesu Christi »ist verwirklicht« in der katholischen Kirche. Das schließt aber nicht aus, dass es auch außerhalb der katholischen Kirche Verwirklichungsformen und Elemente von Kirche geben kann. Getaufte Christen anderer Kirchen oder kirchlicher Gemeinschaften stehen durch ihre Taufe »in einer gewissen, wenn auch nicht vollkommenen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche.«10 Zudem bietet die Hermeneutik einer »Hierarchie der Wahrheiten«11 Spielraum zur Diskussion. Nach dem Zweiten Vatikanum kann von katholischer »Rückkehr-Ökumene« nicht mehr die Rede sein. Vorherrschend ist eher eine »Integrations-Ökumene«12, die sich der »Fülle der Katholizität« verpflichtet weiß.
Noch in die Zeit des Konzils fiel das Treffen von Papst PAUL VI. (GIOVANNI BATTISTA MONTINI, 1897 – 1978) mit dem Ökumenischen Patriarchen ATHENAGORAS I. (ARISTOKLES SPYROU, 1886 – 1972) in Jerusalem – die erste persönliche Begegnung der Vorsteher von West- und Ostkirche nach 535 Jahren. Im Jahr darauf hob der Papst den Kirchenbann von 1054 auf. 1966 folgte ein denkwürdiges Treffen mit dem anglikanischen Primas MICHAEL RAMSEY (1904 – 1988); im September 1969 dann der Besuch des Papstes beim ÖRK. Seit 1968 ist die katholische Kirche Vollmitglied der »Kommission für Glauben und Kirchenverfassung« des ÖRK. 1972 entschied sich Rom jedoch gegen eine Mitgliedschaft im ÖRK selbst, denn die katholische Kirche ist hierarchisch und nicht demokratisch verfasst und konnte die dort vertretenen pluralen Einheitsmodelle nicht billigen. Außerdem sind beim ÖRK die Kirchen nach ihren Mitgliederzahlen repräsentiert, und Rom hätte so automatisch immer die Mehrheit der Stimmen gehabt.
Papst JOHANNES PAUL II. (KAROL WOJTYLA, 1920 – 2005) setzte mit der Enzyklika Ut unum sint von 1995 ein wegweisendes Zeichen. Er konkretisierte darin die Aussagen des Ökumenismusdekrets und lud z. B. ein, über eine ökumenisch akzeptable Form der Ausübung des Petrusdienstes nachzudenken. Auch das Schuldbekenntnis im Jahr 2000 war ein wichtiger Schritt zur Versöhnung zwischen den Kirchen. Seit Amtsantritt von Papst BENEDIKT XVI. (JOSEPH RATZINGER, geboren 1927) und seinem Besuch beim Ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel 2006 schien sich der Heilige Stuhl vor allem um Ökumene mit den Orthodoxen zu bemühen. 2009 verhinderte er allerdings eine Kirchenspaltung der Anglikanischen Gemeinschaft durch die Apostolische Konstitution Anglicanorum coetibus. Anglikaner, die nun zur katholischen Kirche übertreten wollen, können die liturgische Tradition der anglikanischen Kirche im Rahmen der neu gegründeten Personalordinariate beibehalten.
Die katholische Kirche bevorzugt in ihrer ökumenischen Arbeit bilaterale Gespräche mit einzelnen Kirchen. Die Früchte dieser Arbeit wurden 2009 vom Einheitsrat gesichtet und publiziert.13 So besteht z. B. bereits seit 1965 eine Dialogkommission mit dem Lutherischen Weltbund. Diese veröffentlichte eine Reihe von Konsensdokumenten (1972 den sogenannten Malta-Bericht »Das Evangelium und die Kirche« zu theologischen Grundsatzfragen; 1978 »Das Herrenmahl«; 1981 »Das geistliche Amt in der Kirche«; 1985 »Einheit vor uns«), bevor 1999 die »Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre« offiziell einen »differenzierten Konsens« in Grundwahrheiten gerade jener Lehre feststellen konnte, an welcher die Einheit der abendländischen Kirche in der Reformationszeit zerbrochen ist. Die Lehrverurteilungen des 16. Jahrhunderts treffen demnach den heutigen Partner nicht mehr. 2006 unterzeichnete auch der Methodistische Weltbund diese Erklärung. Allerdings bewirkt sie noch keine Kirchengemeinschaft.
4. Jüngere ökumenische Entwicklungen