Название: DERMALEINST, ANDERSWO UND ÜBERHAUPT
Автор: Klaus Hübner
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783957658609
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Annette Kolb reiste herum, vorwiegend in Frankreich, Österreich und Irland. Sie blieb schließlich in Paris, wurde 1936 französische Staatsbürgerin, besuchte 1937 zum letzten Mal die Salzburger Festspiele, über die sie ein erfolgreiches Buch verfassen sollte, und floh 1940/41, unter größten Schwierigkeiten, über Genf und Lissabon bis nach New York. Da war das Fräulein, das die Einsamkeit wohl kannte und schon von vielem und vielen Abschied hatte nehmen müssen, bereits im Seniorinnenalter – eine verschrobene, aber wache, streitbare und Respekt einflößende ältere Dame, deren Memento überschriebener Bericht über ihre Exilzeit »bis heute zu erschüttern vermag«, wie Strohmeyr betont. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann sie ein rastloses und umtriebiges »Exil nach dem Exil«, und erst seit 1961 lebte sie wieder in München. Annette Kolb, eine durchaus tragische Figur und zugleich ein komisches Lokaloriginal, war weiterhin literarisch, publizistisch, musikalisch und politisch aktiv. Sie hielt große Stücke auf Charles de Gaulle und bekam nicht nur für ihre Verdienste um die deutsch-französische Verständigung hohe und höchste Auszeichnungen. Und vor der Mühe einer Reise nach Israel, für das sie sich besonders nach ihrer Begegnung mit dem Schriftsteller Elazar Benyoëtz interessierte, schreckte sie noch 1967 nicht zurück. Da war sie 97. Es ist schön, dass Annette Kolbs bewegtes Leben durch Armin Strohmeyr eine würdige und seiner Bedeutung angemessene Darstellung erfahren hat.
Armin Strohmeyr: Annette Kolb – Dichterin zwischen den Völkern. München 2002: Deutscher Taschenbuch Verlag. 333 S.
Die Dame mit dem Hütchen
Fragen an Hiltrud und Günter Häntzschel
Zum fünfzigsten Todestag der Dichterin haben Sie eine repräsentative und ansehnliche, dazu auch noch erschwingliche Ausgabe der Werke von Annette Kolb herausgegeben, mit akribischen Kommentaren, ausführlichen Erläuterungen, aufschlussreichen zeitgenössischen Rezensionen – kurzum: eine philologische Meisterleistung. Herzlichen Glückwunsch! – Warum ausgerechnet Annette Kolb? Ist sie nicht auch zu Recht ein bisschen vergessen?
GH: Gleichaltrige Autorinnen wie etwa Gertrud von Le Fort, Ina Seidel oder Isolde Kurz sind heute nicht mehr oder nur schwer erträglich zu lesen. Annette Kolb dagegen in ihrer forschen, spontanen und oft witzigen Art wirkt in vielen ihrer Texte immer noch frisch und lebendig. Sie greift Themen auf, die nach wie vor aktuell sind: Völkerverständigung, die Sorge um Europa, energische Abwehr von Kriegen, Kosmopolitismus, veränderte Geschlechterrollen. Gerne provoziert sie mit für die damalige Zeit mutigen Äußerungen: »Wie die Dinge liegen, sollten Generäle vom Kriege, gar einem künftigen, nicht mehr sprechen. Denn davon verstehen sie nichts.«
Zweifellos lassen sich Notizen wie »Wenn mir jemand sagt: ›Ich bin kein Nazi, aber …‹, dann weiß ich schon, dass er einer ist« immer bestätigend zitieren. Aber reicht das schon, um irgendeine politische Aktualität der Autorin zu begründen?
HH: Annette Kolbs politisches Engagement lässt sich keineswegs mit ein paar Schlagwörtern umreißen. Dafür ist es viel zu eigensinnig. Wenn eine relativ junge Schriftstellerin sich 1915 in Dresden hinstellt und bei einem Vortrag den französischen, aber eben genau so heftig den deutschen Chauvinisten, vor allem der Presse, die Leviten liest, dann war das nichts Gewöhnliches. Sie wurde ausgepfiffen, sie wurde von der Polizei verfolgt, erfuhr Passentzug und Briefzensur und konnte sich gerade noch ins Exil nach Bern retten. Sie drang vor zu einflussreichen Politikern, um sich für ihre Sache, für eine deutsch-französische freundschaftliche Partnerschaft und überhaupt gegen jeden Krieg einzusetzen, sie besuchte Pazifistenkongresse, interviewte Aristide Briand, zeigte in Feuilletons in ihrem Beschwerdebuch 1932, wie bedroht die Demokratie schon war, und wandte sich 1943 aus dem amerikanischen Exil »an das deutsche Volk«.
Oft hört man, dass dieses eigensinnige, deutsch-französische Bürgerfräulein ihres gelebten Europäertums und ihres unbedingten Pazifismus wegen allen ehrenden Gedenkens wert sei, dass man aber höchstens noch Daphne Herbst und vor allem Die Schaukel lesen könne. Alles andere sei antiquiert, sei kaum anderes als im vornehm-gestelzten Ton des kultivierten Salons gehaltenes höheres Geplauder über vergessene Nebensächlichkeiten – und habe uns kaum mehr was zu sagen. Ein Vorurteil?
GH: Das ist wahrlich ein Vorurteil und erklärt sich wohl vor allem daraus, dass von ihren Veröffentlichungen bislang auf dem Buchmarkt lediglich die Romane zu finden waren. In unserer Ausgabe wird vieles andere Lesenswerte zu entdecken sein. Ich denke etwa an ihre in Italien spielenden ironisch-satirischen Erzählungen wie Spitzbögen oder Veder Napoli e partire, aber auch an ihre vielen Glossen, Skizzen, Essays, Gegenwartsbeobachtungen im Deutschland der 1920er- und beginnenden 1930er-Jahre, die den dynamischen und kontroversen Geist der Weimarer Republik und ihrer Kultur widerspiegeln.
In Thomas Manns Doktor Faustus gibt es die Figur der Jeanette Scheurl, und von der heißt es, sie schreibe »in einem reizend inkorrekten Privatidiom damenhafte und originelle Gesellschaftsstudien, die des psychologischen und musikalischen Reizes nicht entbehrten«. Dieses Urteil wird meistens als zu kritisch, unzulässig verkürzend, ja als herablassend, arrogant und frauenfeindlich, auf jeden Fall als unzureichend angesehen. Aber stimmt es nicht auch? Hat nicht auch Kolbs Freund René Schickele bemerkt, dass es in ihrem Schreiben einfach »drauflos« und »über Stock und Stein« geht?
HH: Annette Kolb war mit den Familien Pringsheim und Mann von Kindheit an befreundet. Es gab ein grundsätzliches Wohlwollen, dem Thomas Mann vielleicht zu viel zugemutet hat. Gerade in der Zeit des Exils hat Thomas Mann sie immer unterstützt; sie besuchte die Familie Mann in Princeton. Was Sie hier zitieren, ist ja gerade nicht der billige Spott über ihr Äußeres, »die mondäne Hässlichkeit«, die »Ziege« und vor allem die nebenbei eingeflossene kritische Bemerkung über Annette Kolbs Mutter, die die Dichterin schon deutlich verstimmte. René Schickeles Urteil über ihr СКАЧАТЬ