DERMALEINST, ANDERSWO UND ÜBERHAUPT. Klaus Hübner
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СКАЧАТЬ Weidner: Fluchthelferin Poesie. Friedrich Rückert und der Orient. Göttingen 2017: Wallstein Verlag. 62 S.

      Der Schatz im Wörtersee

      Vom Leben und Streben des Karl May

      Mein Leben und Streben heißt Karl Mays 1910 erschienene Autobiografie, und man kann ihr genauso wenig trauen wie allen anderen Schriften des vor hundert Jahren in die ewigen Jagdgründe eingegangenen sächsischen Schwadroneurs, ohne den wir Winnetou, Old Shatterhand, Sam Hawkens, Kara Ben Nemsi, Hadschi Halef Omar, den Schut und all die anderen nicht kennengelernt hätten. Die Lebensbeschreibung von Helmut Schmiedt, der ein ausgewiesener Kenner der Materie ist und zudem stellvertretender Vorsitzender der Karl-May-Gesellschaft, bestätigt einerseits das seit Langem bekannte »Bild vom ebenso wirkungsmächtigen wie trivialen Großkomplex Karl May«, lässt aber andererseits keinen Zweifel daran, dass die Beschäftigung mit dem 1842 in Hohenstein-Ernstthal im Erzgebirge geborenen Schriftsteller auch bei Kulturwissenschaftlern inzwischen »hohe Dignität« genießt. Wobei das dem breiten Publikum weniger bekannte Spätwerk in den Vordergrund rückt.

      Ein faszinierendes Thema: Aus dem in elenden Umständen aufgewachsenen, oft hungernden Knaben wird ein ziemlich störrischer Seminarist, später ein Vagabund, Betrüger und Zuchthäusler, dann ein eifriger Schreiber und geschickter Verrührer konventionellen Lesestoffs, und schließlich, ab 1880, ein bald von einem Millionenpublikum heiß geliebter »Meister der Illusionen«, der bis ins späte 20. Jahrhundert hinein seine Leser »in einem Maße begeistern wird, wie es keinem anderen deutschen Autor je gelungen ist«. Und am Ende ein wohlhabender und leidlich angesehener, nicht aber unbescholtener Untertan, ein rechthaberischer Stammtischflunkerer und treudeutscher Pantheist, der längst zum Markenartikel geworden ist und ein spannendes Nachleben haben wird – Pierre Brice und Lex Barker lassen grüßen. Eine grundsolide, manchmal ein wenig trockene und insgesamt doch äußerst anregende Dichterbiografie legt Helmut Schmiedt vor, viel Zeitgeschichte und viel Psychologie ist drin und ein wenig Germanistik obendrauf. Wer sie gelesen hat, weiß über Karl May alles, was man heute wissen kann. Die schönste May-Biografie allerdings ist und bleibt ein Roman aus dem Jahr 1980: Swallow, mein wackerer Mustang von Erich Loest.

      Helmut Schmiedt: Karl May oder Die Macht der Phantasie. Eine Biographie. München 2011: C. H. Beck Verlag. 368 S.

      Allzeit Trotz im Kopf!

      Carl Spitteler? Heute?

      1919, fünf Jahre vor seinem Tod, erhielt er als bisher einziger gebürtiger Schweizer den Nobelpreis für Literatur: Carl Spitteler, 1845 in Liestal bei Basel geboren, Schüler des berühmten Jacob Burckhardt, Dichter, Essayist und Kritiker, zu Lebzeiten bekannt im ganzen deutschsprachigen Raum. Heute ist er so gut wie vergessen, außerhalb der Schweiz sowieso, weitgehend aber auch in der Eidgenossenschaft selbst. Kaum jemand liest Spitteler, auch die Schriftsteller von heute lesen ihn nicht. Wieso eigentlich?

      »Dichter, Denker, Redner« lautet der Untertitel eines schön aufgemachten Lesebuchs, dessen Cover das Spitteler-Porträt von Ferdinand Hodler ziert. »Die mythische Chiffre seines Lebens wie seines Schaffens ist der trotzige Einzelne, der sich seine Bahn bricht durch die Masse der Gleichgeschalteten, allein mit einem unbezähmbaren Willen«, schreibt Peter von Matt in seinem Vorwort. Modern ist das eher nicht, und vom »demokratischen Empfinden der Schweiz« ist es weit entfernt. Mit seiner Ende 1914 gehaltenen Rede Unser Schweizer Standpunkt – vielleicht der einzige Spitteler-Text, den man noch halbwegs kennt – habe er »einheimischen Ruhm« erworben, seine »solide Präsenz in der deutschen Literatur« jedoch verloren. An seiner Verweigerung der Parteinahme für das hochgerüstete, kriegslüsterne und protzige Kaiserreich im Norden und seinem engagierten Plädoyer für den »richtigen neutralen, den Schweizer Standpunkt« kann das schon lange nicht mehr liegen. Woran dann? Vor allem wohl daran, dass nicht nur sein Roman Imago, erstmals 1906 in Jena erschienen und hier in ganzer, ermüdender Länge abgedruckt, hoffnungslos veraltet ist – seine Dichtungen, die im zweiten Teil des Buchs in Auszügen vorgestellt werden, sind es ebenfalls, auch wenn Peter von Matt den Olympischen Frühling (1900–1905) als »das spektakulärste Ereignis deutschsprachiger Fantasy-Literatur« zu retten sucht. Natürlich ist Xaver Z’Gilgen (1888) eine hervorragend rhythmisierte gute Erzählung, natürlich bleibt eine sprachgewaltige Reportage wie Der Gotthard (1896) spannend zu lesen, und selbstverständlich finden sich auch in diesem Auswahlband fulminante, bedenkenswerte Reden wie die über Gottfried Keller (1919) oder geistreiche Essays wie der über Die Persönlichkeit des Dichters (1892). Was Spitteler dort über den Realismus sagt – »Um ein großer Realist zu werden, muss einer tief nach innen geblickt haben« –, über den »Misserfolg«, über die »Verbitterung« oder über die »Eitelkeit«, möchte man einigen Zeitgenossen dringend zur Lektüre empfehlen. Und die politischen Eiferer von rechts sollten seinen Aufsatz Vom ›Volk‹ (1886) lesen und dann damit aufhören, »jede Zusammenrottung für Volk anzusehen und in jedem Gebrüll die Volksstimme zu hören«. Aber wer liest Essays und Reden von vorgestern? Nur sehr wenige Experten wie zum Beispiel der Zürcher Literaturwissenschaftler Philipp Theison, der in seinem luziden Nachwort plausibel herausarbeitet, weshalb Carl Spittelers Werk doch ein gewaltiges Stück hinter der literarischen Moderne zurückbleibt. Selbstverständlich plädiert Theison zugleich dafür, Spitteler »wiederzuentdecken«, um ihn »aus der Vergessenheit zu befreien«. Ob das gelingen wird, vielleicht mithilfe der vielen für 2019 angekündigten Aktivitäten und Publikationen? Eher nicht, darf man vermuten, und damit wäre Carl Spitteler in bester Gesellschaft. Aber vielleicht ja doch, wenigstens ein bisschen? Man darf gespannt sein.

      Carl Spitteler – Dichter, Denker, Redner. Eine Begegnung mit seinem Werk. Hrsg. von Stefanie Leuenberger, Philipp Theison und Peter von Matt. München / Zürich 2019: Kollektion Nagel & Kimche. 471 S.

      Ein etwas schrilles Fräulein

      Armin Strohmeyr auf den Spuren einer Dichterin zwischen den Völkern

      Spannend geschriebene und flüssig zu lesende Biografien bekannter Persönlichkeiten aus Kultur und Geschichte braucht der Buchmarkt immer. Man kann umfangreiche, jedes Detail im Leben des Helden ausspinnende biografische Romane schreiben, wie es Rainer Stach in seiner ambivalent beurteilten Kafka-Biografie versucht hat. Man kann sich sachlich und nüchtern geben und die Konturen seines Protagonisten knapp und prägnant umreißen, wie es Stefan Rebenich in seiner Biografie Theodor Mommsens getan hat, die allerdings – trotz des Lobes, das sie fast durchwegs erfahren hat – nicht ganz ohne ermüdende Erbsenzählerei auskommt. Armin Strohmeyr, 1966 geboren und durch ein treffliches Klaus-Mann-Porträt hervorgetreten, steht mit seiner interessanten und lesbaren Studie über Annette Kolb dem Mommsen-Biografen näher als dem Kafka-Nachdichter. Er hat sich im Münchner Nachlass der Schriftstellerin umgesehen, und er hat bislang Unbekanntes aus dem Bayerischen Kriegsarchiv, dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach und dem Stadtarchiv von Badenweiler zutage gefördert. Dort lebte Annette Kolb, mit Blick in die Schweiz, zehn Jahre lang neben dem Ehepaar Schickele, und auch ihre Briefe an René Schickele aus den Jahren 1920 bis 1933 hat der sachlich und unaufgeregt vorgehende Biograf gesichtet. Man muss sein detailreiches Buch loben, auch wenn es partienweise mehr eine Vermittlung wissenswerter Fakten darstellt, als uns eine unverwechselbare Persönlichkeit so vor Augen zu führen, dass wir uns deren Werken mit neu geweckter Spannung (wieder) näherten. Was man von einer Biografie vielleicht doch auch erwarten mag, zu Recht.

      Von Annette Kolb, die erst 1967 in München gestorben ist, aber – auch wenn sie das selbst nicht immer wahrhaben wollte – schon 1870 zur Welt kam, weiß man heute nicht mehr viel. Eine Auswahl- oder gar Gesamtausgabe ihrer Werke gibt es nicht. Man kennt vielleicht Daphne Herbst (1928), für Armin Strohmeyr eine Romanmixtur zwischen Buddenbrooks und Zauberberg. Noch bekannter, nicht zuletzt durch seine Verfilmung, wurde ihr Roman Die Schaukel (1934). Annette Kolb, die auch Übersetzerin war, hat noch viel mehr geschrieben in ihrem langen Leben, heute vergessene СКАЧАТЬ