Название: Ur-Gemeinde
Автор: Frank Viola
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783955781477
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Erstaunlicherweise wurde diese Art von Beziehung dann vom Göttlichen ins Menschliche gebracht: vom Vater zum Sohn und vom Sohn zur Gemeinde (Joh 6,57; 15,9; 20,21). Sie kam aus der himmlischen Sphäre des ewigen Gottes zur Gemeinde auf der Erde, die der Leib des Herrn Jesus Christus ist.
Die Gemeinde ist somit eine organische Erweiterung des dreieinen Gottes. Sie wurde in Christus vor der Zeit beschlossen (Eph 1,4-5) und an Pfingsten geboren (Apg 2,1ff.).
Richtig verstanden ist die Gemeinde die versammelte Gemeinschaft derer, die Anteil haben an göttlichem Leben und dieses auf der Erde sichtbar machen. Mit anderen Worten ist die Gemeinde das irdische Bild des dreieinen Gottes (Eph 1,22-23).
Weil die Gemeinde organisch ist, hat sie auch einen natürlichen Ausdruck. Eine Gruppe von Christen, die ihrer geistlichen DNA folgen, versammeln sich gemäß der göttlichen DNA, teilen sie doch Gottes eigenes Leben. (Christen sind zwar nicht göttlich, doch haben wir das Vorrecht, „Teilhaber der göttlichen Natur“ zu sein; vgl. 2 Pt 1,4).
Folglich weist die DNA der Gemeinde dieselben Merkmale auf, die man beim dreieinigen Gott erkennt, insbesondere gegenseitige Liebe, Gemeinschaft, Abhängigkeit, Achtung, Unterordnung, Innewohnung und authentisches gemeinsames Leben. Anders gesagt hat die Gemeinde ihre Quelle in Gott. Deshalb kann Stanley Grenz behaupten: „Letztendlich wurzelt unser Gemeindeverständnis in der Beziehung zum Wesen des dreieinigen Gottes.“ 8
Der Theologe Kevin Giles unterstreicht diesen Gedanken, indem er die Dreieinigkeit als ein Modell hinstellt, „anhand dessen die Lehre von der Gemeinde zu formulieren ist. Dies vorausgesetzt, ist das Innenleben der göttlichen Dreieinigkeit zugleich Muster, Vorbild, Modell, Echo und Bild für das gemeinschaftliche Leben der Christen in der Welt.“9
Die Dreieinigkeit ist schlichtweg das Paradigma für den natürlichen Ausdruck der Gemeinde. Die beliebte Theologin Shirley Guthrie entfaltet diesen Gedanken, indem sie die Beziehungsnatur der Gottheit beschreibt:
Die Einheit Gottes ist nicht das Eins-Sein eines bestimmten, in sich geschlossenen Individuums, sondern die körperschaftliche Einheit von Personen, die einander lieben und harmonisch zusammenleben … In ihrer Beziehung zueinander definieren sie sich gegenseitig … Keiner steht von den anderen losgelöst für sich alleine da, es gibt weder ein Vor- noch ein Nachgeordnetsein, auch keine Rangordnung; genauso wenig herrscht eine Person über eine andere; weder gibt es eine privilegierte Stellung auf Kosten eines anderen, noch herrscht Streit darüber, wem welche Aufgabe zukommt. Die Personen der Gottheit haben es nicht nötig, ihre Unabhängigkeit und Autorität gegen die anderen auszuspielen. Es ist eine Gemeinschaft unter Gleichen, die alles miteinander teilen, was sie haben und sind. Hier leben drei Personen in gegenseitiger Transparenz, aufopfernder Liebe und gegenseitigem Beistand. Sie sind nicht frei von-, sondern frei füreinander. So ist die Beziehung zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist im inneren Kreis der Gottheit.10
Schauen wir uns noch einmal den dreieinigen Gott an und beachten dabei, was fehlt: Es lässt sich weder eine Befehlskette noch eine Hierarchie ausmachen.11 Es gibt auch kein passives Zuschauen und keine Vorherrschaft einer einzelnen Person. Außerdem fehlen religiöse Rituale und Programme. (Einige meinen, eine gewisse Hierarchie innerhalb der Dreieinigkeit zu erkennen, doch lässt sich diese weder biblisch noch geschichtlich nachweisen. Näheres dazu im Anhang.
Befehlsketten und Kommandostrukturen, Hierarchien, passive Gefolgschaft und teilnahmslose Beobachter, die Vorherrschaft Einzelner und religiöse Programme und Riten sind Erfindungen des gefallenen Menschen. Sie stehen in deutlichem Widerspruch sowohl zur DNA des dreieinigen Gottes als auch zur DNA der Gemeinde. Nach dem Tod der Apostel hat man bedauerlicherweise rasch nach solchen religiösen Praktiken gegriffen und ihnen damit den Zugang zum Christentum ermöglicht.12 Heute sind solche Bräuche zu markanten Merkmalen der institutionellen Kirche geworden.
Vier Paradigmen zur Wiederherstellung der Gemeinde
Im Folgenden nenne ich die vier wichtigsten Paradigmen, wie heute versucht wird, die Gemeinde zu erneuern:
Die Bibel als genaues Schema
Verfechter dieses Ansatzes gehen davon aus, dass das Neue Testament präzise Anweisungen zur gemeindlichen Praxis enthält. Demzufolge müssen wir lediglich das biblische Modell nachahmen. Wie ich aber zeigen werde, bietet das Neue Testament weder ein einfach kopierbares Schema für die gemeindliche Praxis noch legt es ein Regelwerk vor, das Christen zu beherzigen hätten.13 Der Neutestamentler F. F. Bruce schreibt: „Wenn wir das Neue Testament auf unsere Situation übertragen wollen, dürfen wir es nicht mit den Schriftgelehrten zur Zeit Jesu und ihrer Handhabung des Alte Testaments halten. Wir sollten das, was als Richtschnur für die Gläubigen in einer bestimmten Situation gedacht war, nicht zu einem allgemeingültigen Gesetz für alle Zeiten erheben.“14
Kulturelle Anpassungsfähigkeit
Die Vertreter dieses Paradigmas verweisen gerne auf den zeitlich bedingten Kulturwandel: Die Gemeinde im ersten Jahrhundert habe sich ihrer Kultur angepasst. Heute lebten wir allerdings in einem ganz anderen kulturellen Umfeld. Die Gemeinde müsse dieser Veränderung Rechnung tragen. Man fordert von der Gemeinde, sie solle sich in jedem Zeitalter gewissermaßen neu erfinden, um der jeweils vorherrschenden Kultur gerecht zu werden.
Diesem Ansatz liegt das „Kontextualisierungskonzept“ zugrunde. Kontextualisierung ist die theologische Methode, nach der die biblische Botschaft in den jeweiligen kulturellen Kontext zu übersetzen ist. Geht es um die Anwendung der Schrift, ist diese Methode freilich unverzichtbar. Solcher Kontextualisierung ist es zu verdanken, dass wir heute weder Sandalen noch Togen tragen und statt Griechisch Deutsch sprechen. Als Reisemittel haben wir Pferde gegen Autos getauscht.
Allerdings haben einige das Fähnchen der Kontextualisierung so hochgehalten, dass es zu einer Überkontextualisierung auf Kosten der Schrift und ihrer Gegenwartsrelevanz gekommen ist. Es besteht die Gefahr, dass die Kontextualisierung am Ende den biblischen Sinn bis zur Unkenntlichkeit entstellt und wir uns eine Gemeinde nach eigenem Gutdünken basteln. Vor dieser Gefahr warnt F. F. Bruce:
Die Übertragung des Evangeliums in die [kulturellen] Ausdrucksformen einer Generation ist ebenso notwendig wie seine Übersetzung in neue Sprachen. Wenn [jedoch] die überzogene kulturelle Anpassung des Evangeliums zur Verfälschung desselben führt, kann es schließlich ganz verloren gehen, und übrig bleibt am Ende, was Paulus „ein anderes Evangelium“ nennt, das eigentlich gar keines mehr ist (Gal 1,6f.). Hat sich die christliche Botschaft erst der herrschenden Meinung so sehr angeglichen, dass sie selbst nur ein weiterer Ausdruck dieser öffentlichen Meinung wird, dann kann man nicht mehr von der christlichen Botschaft sprechen.15
Ich bin vielen Anhängern des kulturellen Anpassungs-Paradigmas begegnet. Stets war ich überrascht, dass sie alle überzeugt waren, es gebe bezüglich der Gemeinde dennoch zeitlose und vom kulturellen Umfeld unabhängige Leitlinien. Die meisten Befürworter der kulturellen СКАЧАТЬ