Название: Ferne Frauen
Автор: Bodo Kirchhoff
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: FVA Digital: Erzählungen Bodo Kirchhoffs
isbn: 9783627020422
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Es folgte ein geglücktes Golfwochenende, Stunden des Vergessens in frischer Luft, bei überschaubarem Ehrgeiz. Ich wurde von allen Seiten gegrüßt, eine Begleiterscheinung meines Berufs, die mich nicht stört, im Gegenteil, ich empfinde dieses Gegrüßtwerden als durchaus natürlich, auch das wird noch zunehmen, denke ich: die kleine Kaste der Prominenten und die nützliche Masse, die ihr Leben vor dem Fernseher zubringt. Der Gedanke, ich sei einzigartig, kam mir übrigens relativ früh, nicht erst als Moderator, er kam mir schon im Kindergarten.
Am Montag traf ich dann meine Mitarbeiter, verläßliche Leute. Wir planten für die übernächste Sendung, ich gab den Rahmen vor, wer sonst; schon dunkelte es, ein Tag wie nichts. Und am Abend stand sie wieder vor meiner Wohnung. Es war kurz nach halb elf, die Nachrichten hatten begonnen, da kam dieses Gefühl in mir auf: nicht mehr allein zu sein. Wie auf Schienen lief ich von Raum zu Raum, bis an die Tür. Ich legte ein Ohr an das Holz, und in diesem Moment sagte sie: Ferngesehen, wie? Vielleicht machen Sie ja heute mal auf. Hier ist die Frau hinter der Tür.
Hinter der Tür bin immer noch ich!
Irrtum, mein Lieber – öffnen Sie.
Ich faltete die Hände im Nacken und gab keine Antwort. Es war, als müßte ich das Leben in seiner schrecklichen Gesamtheit einlassen. Wissen Sie, was ich heute den ganzen Tag über getan habe? fragte sie.
Was schon, rief ich.
Ich habe alles, was ich gerade finden konnte, schwarz gestrichen in meiner Wohnung. Ich bin noch halb betäubt von dem Lack. Aber schön sieht es aus, sehr schön … Ihre Stimme klang plötzlich beschwingt. So reden Menschen, die am Ziel sind, dachte ich. Dann schrillte meine Wohnungsklingel, zweimal kurz, zweimal lang. Menschenskind! schrie ich und sah mich im Garderobenspiegel und knipste das Licht aus. Mein Blick ging auf die Klinke. Ich wartete ab. Endlich holte sie Luft und pfiff ein paar Töne, wie ein Kind, das sich langweilt. Gut, gut, Sie bekämpfen Ihr Mitleid, das verbindet uns. Als ich noch am Meer lebte, besaß ich einen Hund. Ich warf ihn jeden Tag von einem höheren Felsen ins Wasser und versuchte ihn nicht zu bedauern. Schließlich war er mir so gleichgültig, daß ich ihn von einem ganz hohen Felsen herunterwarf. Er sollte ans Ufer schwimmen, aber kroch auf eine Klippe. Du hündischer Hund, brüllte ich, schwimm! Aber er rührte sich nicht. Eine Woche lang blieb er dort sitzen, ich hab ihm meine Reste zugeworfen, jeden Tag ein bißchen weniger. Zwei Schwimmer haben ihn dann ans Ufer geholt. Seitdem war alles aus zwischen mir und dem Hund. Wie lange sitzen Sie schon auf Ihrer Klippe, drei Jahre, fünf Jahre?
Jetzt reicht es mir, rief ich.
Um so besser – dann machen Sie auf!
Und da drohte ich ihr mit Konsequenzen, bis hin zur geschlossenen Anstalt, und ein wildes In-die-Hände-Klatschen hob an. Es klang wie Ohrfeigen, ich rannte zum Schreibtisch. Meine Hand griff den Hörer und legte ihn gleich wieder auf, ich lief in die Küche, das Klatschen ging weiter. Endlich was los! schallte es durch die Tür, als ich mit meinem Wein in die Diele zurückkam. Wissen Sie, daß ich neulich lauter Möbel in den Rhein geworfen habe, nur damit endlich was los war? Meine ganzen alten Sachen, plumps. Auch dieses Schwarzstreichen geschah nur, um nicht zu versteinern. Ich habe alles schwarz gestrichen, sogar das Bad, sogar die Klorolle!
Vielleicht sollten Sie sich selbst noch anstreichen!
Ich versuchte es jetzt mit Humor, aber sie hielt dagegen: Sie sei doch sowieso schon unsichtbar. Niemand erkennt mich in diesem Land, rief sie. Ist das nicht komisch? Woanders lieben mich alle. Die Dänen lieben mich. Die Türken lieben mich. Die Inder lieben mich, all diese vielen Inder. Die ganze Welt.
Ich liebe Sie nicht.
Sie schwieg, und ich lenkte ein: Nehmen Sie’s nicht persönlich … Ich trank einen Schluck, ich hörte sie flüstern. Eines Tages, drang es zu mir, werden Sie mich liebgehabt haben, was meinen Sie dazu? Ihre Nägel schleiften über die Tür. Ich stellte den Wein auf den Boden und berührte die Klinke. Geben Sie doch einfach auf, sagte ich und wollte noch etwas Nettes hinzufügen, da unterbrach mich ein Getrommel, sechs, sieben wütende Schläge, dann nur noch Atmen. Wie alt sie sei, fragte ich leise, und im Flur ging das Licht an. Warum fragen Sie mich nicht gleich, wie ich aussehe?
Wie sehen Sie aus?
Keine Frau hat solche Augen wie ich. Sie sind groß und golden. Ich wünschte, ich hätte nur Augen. Oder nur Augen und Wangen. Niemand erträgt meinen Anblick.
Und da zog ich die Tür auf und sah eine schmale Gestalt, die ihre Hände vors Gesicht schlug. Bin gar nicht da, sagte sie. In einem Singsang kam das, und ich bat sie zu gehen. Ich hätte ein Recht auf Privatleben, ob sie das nicht nachvollziehen könnte …
Es gibt doch gar nichts, was ich nachvollziehen möchte, fiel sie mir leise ins Wort, gleichzeitig wurde es dunkel; ich wollte die Tür wieder schließen, aber schon hatte sie etwas dazwischen. Wir waren beide nie der Liebling eines Menschen, man sieht doch in Ihrer Sendung, wie Sie das ständig vertuschen, hörte ich sie.
Die Tür loslassen, rief ich und überlegte, ob ich nach ihr treten sollte. Nur ein einziger Satz noch, kam ihre Stimme von unten, ein Satz noch aus dem Publikum.
Ich trat zurück, ich stieß den Wein um. Also reden Sie jetzt. Und dann hauen Sie ab! Von der Küche her fiel ein Streifen Licht in den Flur. Ich sah ein dunkles Bündel; sie schien auf dem Abtreter zu knien. Also reden Sie jetzt, flüsterte sie von unten, das klingt ja wie: Sprechen Sie nach dem Ton Ihre Nachricht.
Ich sah, wie sie die Finger spreizte, ein Spinne vor meiner Tür, eine Spinne, die sprechen konnte. Wie Sie beben vor Wut, sagte sie, ich spüre es bis hierher – tut mir in der Seele weh. Leider gibt’s für Schmerzen keine Beweise. Seit ich denken kann, befinde ich mich in Beweisnot. Und wie geht es Ihnen?
Mir geht’s gut. Warum verbergen Sie Ihr Gesicht?
Welches Gesicht? Kann ich jetzt endlich herein? Sie erhob sich, und ich warf mich gegen die Tür, krachend fiel sie ins Schloß; es klingelte dreimal. Da schrie ich das schlimmste Wort für eine Frau, das ich kenne. Die Stille danach war wie die Stille während eines Tonausfalls. Dann kam ihr Applaus, dazwischen hörte ich Schritte. Es wurde hell im Flur. Ich bückte mich nach dem Weinglas und trank die letzten Tropfen. Nie hatte ich diesen Ausdruck benützt, außer im Spaß. Die Tür des Japaners ging auf und zu, ich schaute durch den Spion. Irgend etwas war anders als sonst. Der Flur wirkte kahl. Kurz bevor das Licht wieder ausging, merkte ich es: Vor der Tür von Herrn Sato fehlten die Schuhe. Ich drehte den Schlüssel herum und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Der Fernseher lief noch. Die Nationalhymne wurde gespielt; so endete dieser Montag.
Das übliche Hin und Her vor meiner Sendung am Dienstagabend war für mich wie eine Droge, die den Verstand und die Sinne allein auf jene fünfundvierzig Minuten ab zwanzig Uhr fünfzehn lenkte und alles andere – Kleinkrieg mit Kollegen, Krankheit oder Urlaubsplanung und also auch die Frau hinter der Tür – vergessen ließ. Ich war die Konzentration selbst an dem Tag und war doch wie betäubt. Die Stunden verflogen. Ebenso verflogen die fünfundvierzig Minuten. Alles lief ohne Fehler, als sei ich kein Mensch. Nach der Sendung noch ein Bier mit der Technik; gegen elf Uhr war ich zu Hause. Erst in der Wanne kam ich zur Besinnung. Ich hatte etwas über neue Formen der Geselligkeit gemacht, und die Gedanken und Gesten, die dazu notwendig waren, lösten sich nun von mir wie der Schmutz dieses Tages. Ich wusch meinen Körper und dachte an nichts und erschrak um so mehr, als es klopfte. Keine Eile, rief sie, СКАЧАТЬ