Название: Ferne Frauen
Автор: Bodo Kirchhoff
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: FVA Digital: Erzählungen Bodo Kirchhoffs
isbn: 9783627020422
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Als es tagte, waren Olmayras Hände weißlich geworden und die Augen fast schwarz. Leute krochen heran, und man gab ihr zu trinken, das Fernsehen kehrte zurück, der mit den Löckchen winkte ihr zu; ein Kran wurde errichtet. Man legte ihr Seile um, und alle sprachen durcheinander, und die Seile wurden straff, und sie brüllte, als man ihr die Beine auszureißen begann. Die Leute wichen zurück, man ließ die Seile fallen. Bald kommt eine Pumpe, rief ihr der mit der Kamera zu und wartete, bis das Verzerrte aus ihrem Gesicht war, bevor er sie filmte – sie und das Loch und den Kran und das Firmenschild auf dem Kran. So verstrich dieser Tag, und die Pumpe kam nicht, aber dafür die Nacht, und mit einem Mal waren die Leute wieder alle verschwunden, und das Tier in ihrem Fleisch fraß weiter, und das Wasser stieg, und es stank von der Kuh, die längst tot war. Olmayra glaubte, Musik zu hören, die Musik aus dem Film, den sie sich angeschaut hatten, ehe der Schlamm gekommen war, aber es war ihr eigenes Wimmern. Bis zum Tagesgrauen hielt dieses Wimmern, bis noch mehr Leute zu dem Wasserloch strömten und nun drei Kameras aufgebaut wurden, statt einer Pumpe, und man ihr zurief: Olmayra, du bist jetzt berühmt, die ganze Welt kennt dich – sag ein paar Worte zur Welt …
Und sie grüßte die Welt und verkündete, bald würde die Pumpe da sein, und alle könnten zusehen, mit welchem Triumph sie aus diesem Loch herauskäme, und die Fernsehleute waren zufrieden. Man baute den Kran wieder ab, und der Nachmittag kam und der Abend und gleich auch die Nacht, und sie war abermals allein. Und irgendwann in dieser Nacht, war zu lesen, soll sie gebrüllt haben, nur ein einziges Mal – zu dem Zeitpunkt, dachte ich, als sie das sichere Gefühl hatte, es sei keiner mehr in der Nähe, wenn sie der Welt, statt dankbar zu sein, ihr Gebrüll entgegenbrachte. Aber irgendwer hatte es gehört und weitererzählt, und ich fragte mich noch, was danach war, in den Stunden, ehe es hell wurde und man sie tot in dem Reifenschlauch fand; doch es blieb bei der Frage, während ich all die Fotos zerriß.
Die Frau hinter der Tür
Ich hatte mir vorgenommen, nie darüber zu sprechen, aber was nehmen wir uns nicht alles vor, wenn plötzlich der Boden unter uns wegbricht. Es begann mit einem der üblichen Anrufe nach meiner Sendung, irgendeine Frau, die mir aus ihrem menschenleeren Leben erzählte, jedoch Glück hatte, daß ich im Begriff war, etwas zur Einsamkeit vorzubereiten, ihr also zuhörte mit Moderatorengeduld, ja sogar Fragen stellte und einen Ton anschlug, der mir später, als ich das Band abhörte, geradezu warm vorkam, und endete damit, daß ich zum Töten oder etwas Ähnlichem ausholte.
Zwei Tage nach diesem Anruf klopfte es abends an der Tür meiner Wohnung, mehrmals und sanft. Ich hatte mir gerade Wein eingeschenkt und trank noch einen Schluck, um die Gelassenheit, die ich gern an den Tag lege, zu bewahren, dann stand ich vom Sofa auf; von meinen Bekannten besaß niemand einen Schlüssel zum Eingang, und zu den Nachbarn im Haus bestand kein Kontakt – wer also konnte das sein? Nach kurzer Pause klopfte es erneut. Ich sah durch den Spion, was einen ja von vornherein beunruhigt, und da stand jemand im Dunkeln vor meiner Tür, nur etwas Licht, das von den Lämpchen an den Fahrstühlen kam, im Haar.
Wer ist da? rief ich. Das wissen Sie doch, erwiderte eine Frauenstimme, und ich löschte die Lampen in der Diele, als könnte ich mich damit selbst auslöschen. Was wollen Sie von mir? Ein Kratzen drang durch das Holz, wie von Fingernägeln. Machen Sie auf, ich weiß doch, wie allein Sie sind! Es klang wie ein Befehl, und ich fragte, wer sie ins Haus gelassen habe. Ist das wichtig? drang es durch die Tür; wichtig ist, daß ich jetzt bei Ihnen bin. Oder stört Sie das etwa? Ich nickte vor mich hin und schwieg; auf Zehenspitzen lief ich in den Wohnraum. Nur nicht laut werden, sagte ich mir. Mein Blick ging aus dem Fenster, über die Stadt. Da klingelte es, und ich verfluchte mich leise; die Frau, die mich im Sender angerufen hatte, ließ nicht locker.
Ein paar Momente lang blieb alles ruhig, ruhig bis auf meinen Atem. Dann hörte ich sie reden – es klang, als stünde sie schon in der Diele. Sie sei so lebendig, sagte sie, eine der lebendigsten Frauen überhaupt; ja viele wünschten ihr den Tod, so sprühe sie vor Leben!
Ich wandte den Kopf um – Von mir aus können Sie so lebendig sein, wie Sie wollen, nur gehen Sie jetzt wieder, das ist die falsche Adresse!
Es klingelte erneut, und sie rief mich beim Namen, sagte, ich sei am Ende – am Ende sind Sie, mein Lieber!
Und darauf kehrte ich langsam zur Diele zurück, jedes meiner alten Möbel berührend – ich sammele Einzelstücke, Solides in Kirsche und Ahorn. Dann das dritte Klingeln, zweimal kurz, wie ein verabredetes Zeichen, und meine Menschenkenntnis sagte mir, daß diese Frau auch äußerlich abstoßend wäre; doch etwas, das anders war als mein Ich, ließ mich das Gegenteil glauben. Ich streifte den Garderobenständer, es gab ein helles Geräusch: Wo Stock und Schirme hingehörten, waren meine Golfschläger abgestellt.
Wieder da? fragte sie durch die Tür.
Ich wollte schon ja rufen, aber da fragte sie, warum ich so anders als am Telefon sei, so ungeduldig …
Ich bin nicht ungeduldig, was soll das heißen?
Sie lachte; erst leise, dann laut, lachte mir gleichsam ins Gesicht, als gäbe es keine Tür mehr dazwischen, und ich zwang mich zu einem vernünftigen Ton. Gehen Sie doch bitte, sagte ich.
Da klopfte es mit aller Härte, sechs- oder siebenmal: Hier ist Ihr Publikum. Machen Sie auf!
Ich schwieg und zählte die Sekunden. Eine halbe Minute verging, dann kratzte sie wieder. Wissen Sie, was ich getan habe seit diesem Anruf? Ich bin allein und unbewaffnet durch die Stadt gelaufen. Ich habe schwarze Farbe und Pinsel gestohlen, um meine Wohnung zu streichen. Die Leute kennen mich hier nicht, sonst würden sie mir alles schenken. Wer mich kennt, der liebt mich. Der schenkt mir alles, das ist die Wahrheit!
Ach, tatsächlich? Ich faßte mir an den Kopf und stieß in abfälliger Weise Luft durch die Nase. Was denn? Was denn? rief sie, bin ich verrückt?
Das könnte schon sein.
Nein – das sagen Sie nur, weil die Sprache es zuläßt!
Und wieder klopfte sie mit den Knöcheln und schien sich dann an der Tür förmlich zu wetzen. Sie, ich habe einen Körper, rief sie.
Schön, dann verschwinden Sie mit diesem Körper!
Ein feiner Strahl fiel durch den Spion. Sie hatte Licht gemacht im Flur. Und so zögernd, als müßte ich einen Toten anschauen, brachte ich ein Auge an die Öffnung und sah nichts als ein anderes Auge, groß wie ein Ei. Sie kniff es zusammen. Keine Angst, ich will Sie nicht ansehen. Ich sehe Sie doch jeden Dienstag, zwanzig Uhr fünfzehn. Warum sagen Sie nichts? Auch so traurig, da drüben? Daß der Mensch Liebe braucht, ist beschämend, nicht wahr – wie denken Sie darüber?
Ich legte meine Hände aufeinander, wie vor Beginn jeder Sendung, und trat in die Mitte der Diele. Nehmen Sie Vernunft an, rief ich, gehen Sie nach Hause!
Nach Hause, wo ist das?
Dann gehen Sie eben einfach so.
Und warum sollte ich? Sie fragte das in aller Ruhe, und ich erwiderte, darum. Es sei vollkommen sinnlos: Man könne mich zu gar nichts zwingen. Im übrigen berühre sie mich auch kaum, wollte ich hinzufügen, da läutete das Telefon. Ich eilte zum Schreibtisch. Es war meine Cutterin mit Fragen zu einem Beitrag über Neue Sinnlichkeit und so weiter, wir sprachen über jeden Punkt. Ciao, ciao, sagte sie vor dem Auflegen, und ich sagte СКАЧАТЬ