Название: Briefe über den Yoga
Автор: Sri Aurobindo
Издательство: Автор
Жанр: Эзотерика
isbn: 9783963870583
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Der wachsende Meinungsumschwung im Hinblick auf viele Dinge, die früher verachtet waren, nun aber wieder zu Ansehen kommen, ist überaus erstaunlich. Den von dir angeführten Beispielen könnten hundert andere hinzugefügt werden. Es ist nicht ganz verständlich, warum ein Glaube an Graphologie als irrational oder abergläubisch abgetan werden sollte; es erscheint mir vielmehr durchaus vernünftig zu glauben, dass die Handschrift eines Menschen mit seinem Temperament und seiner Natur zusammenhängt oder mit diesen übereinstimmt und bei näherer Betrachtung durchaus als Hinweis für den Charakter dienen kann. Es ist eine bekannte Tatsache, dass jeder Mensch eine eigene Individualität mit der ihr eigenen bestimmten Formung besitzt, die sich von anderen unterscheidet und die aus winzigen Veränderungen im allgemeinen menschlichen Plan besteht; dies gilt sowohl für kleine physische Merkmale und offensichtlich auch für psychologische Merkmale, und eine Verbindung zwischen beiden anzunehmen, ist durchaus nicht unvernünftig. Auf dieser Grundlage kann Chiromantie sehr wohl eine Wahrheit enthalten; es ist eine bekannte Tatsache, dass die Linien in der Hand des einen Menschen von den Linien in der Hand des anderen verschieden sind, und dass dies, ebenso wie die Unterschiede in der Physiognomie, psychologische Hinweise enthalten kann, ist durchaus möglich. Für ein Mental, das unter rationalistischen Einflüssen geschult ist, wird die Schwierigkeit größer, wenn solche Linien oder die Daten der Astrologie als Schicksalszeichen gedeutet werden, denn der moderne Rationalismus weist entschlossen von sich, dass die Zukunft vorherbestimmbar oder voraussagbar ist. Doch dies wiederum sieht mehr und mehr wie ein „Aberglaube“ des modernen Mentals aus, der sich seltsamerweise im Widerspruch mit den grundlegenden Vorstellungen der Wissenschaft befindet. Denn die Wissenschaft glaubte zumindest bis gestern, dass alles in der Natur determiniert sei, und versucht, die Gesetze jener Determination zu finden, um künftige physische Geschehnisse auf dieser Grundlage vorauszusehen. Wenn das stimmt, ist die Annahme berechtigt, dass es unsichtbare Zusammenhänge gibt, die das menschliche Geschehen in der Welt bestimmen und dass künftige Ereignisse deshalb vorhersagbar sind. Ob dies nach den Richtlinien der Astrologie oder Chiromantie geschehen kann, wäre zu prüfen, doch kommt man nicht weiter, indem man diese Möglichkeit vorschnell verneint. Es spricht viel für die Astrologie, und es scheint ebenfalls viel für die Chiromantie zu sprechen.
Auf der anderen Seite ist es nicht gut, die entgegengesetzte Richtung allzu hastig einzuschlagen. Es besteht dann nämlich die gegenteilige Tendenz, alles auf diesem Gebiet zu glauben und seine Augen gegenüber dem Element der Begrenzung oder des Irrtums in diesen schwierigen Wissenszweigen zu schließen; und dieses Übermaß an blindem Glauben trug dazu bei, sie in Verruf zu bringen, da ihre Irrtümer auf der Hand lagen. Es scheint mir nicht festzustehen, dass die Sterne die Zukunft bestimmen – obwohl es möglich ist –, doch sieht es so aus, als würden sie diese anzeigen, beziehungsweise einige ihrer Gewissheiten und Möglichkeiten. Die Astrologen geben zu, dass ein weiteres Element der Determination im Menschen selbst vorhanden ist, welches das Feld der astrologischen Voraussage einschränkt und sogar viele ihrer ermittelten Ergebnisse verändern kann. Es ist ein sehr verwickelter und schwieriger Kräfte-Komplex, aus der jede Determination von Dingen in der Welt besteht, und wenn wir einen Faden des Stranges entwirrt haben und ihm folgen, mögen wir viele überraschende Ergebnisse erhalten, können uns aber darauf nicht als den einzigen, völlig sicheren Hinweis verlassen. Die Methoden des Mentals sind zu starr und zu angenehm einfach, als dass sie die volle und ganze Wahrheit der Wirklichkeit oder ihrer einzelnen Phänomene enträtseln könnten.
Ich stimme deiner Äußerung zu, dass man viel über einen Menschen erfahren kann, wenn man einen kleinen Teil seines Wesens untersucht, sei es physisch oder psychologisch; doch ich glaube, es führt zu weit zu sagen, man könnte den ganzen Menschen aus einem winzigen Partikel seines Haares rekonstruieren. So wie ich die Komplexität und Vielfalt der Elemente im menschlichen Wesen sehe, würde ich eher annehmen, dass ein derartiges Vorgehen vom Zufall geprägt wäre und viel Unbekanntes die übertriebene Sicherheit der daraus resultierenden Struktur überschatten würde.
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Ich vermute, wir können nicht so weit gehen zu leugnen, dass es so etwas wie Aberglauben gibt – ein starrer, haltloser Glaube an etwas, das ziemlich unvernünftig und unzusammenhängend ist. Das menschliche Mental klammert sich bereitwillig daran, an solche Dinge zu glauben, die wahr sein können oder in sich wahr sind, und dieses Durcheinander beeinträchtigt sehr ungünstig die Suche nach Erkenntnis. Doch gerade wegen dieser Wirrnis, weil irgendwo hinter dem Aberglauben oder nicht weit weg von ihm meist tatsächlich etwas Wahres steckt, sollte man vorsichtig sein, dieses Wort zu gebrauchen oder mit ihm als handlichem Besen sowohl das Wahre als auch das teilweise Wahre und das Unbegründete hinwegzufegen und dann zu beanspruchen, der übriggebliebene nackte Boden sei die einzige Wahrheit der Sache.
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Als ich den Satz über einen „starren, blinden Glauben“ niederschrieb, dachte ich eigentlich nicht an den religiösen Glauben, sondern an die allgemeinen volkstümlichen Ideen und Vorstellungen. Deine Ansicht der Sache ist in jedem Fall durchaus vernünftig. Man kann und sollte an seinen eigenen Pfad glauben und ihm folgen, ohne andere zu verdammen oder auf sie herabzublicken, die eine andere Vorstellung von dem haben, was man selbst für die beste und größte Wahrheit hält. Der spirituelle Bereich ist vielseitig und komplex und bietet einer unendlichen Vielfalt von Erfahrungen Platz. Außerdem muss jeder mentale und spirituelle Egoismus überwunden werden, daher sollte man dieses Gefühl der Überlegenheit nicht dulden.
P.S. Ein wahrhaftes, rückhaltloses und zielstrebiges Annehmen dieses Yoga sollte auf eine Ebene führen, auf der diese starren Trennungen nicht mehr bestehen; denn sie sind mentale Wände, die um einen Teil der Wahrheit und des Wissens errichtet werden, um sie vom Übrigen abzutrennen; die Sicht von oberhalb des Mentals jedoch ist umfassend, und alles erhält in ihr seinen Platz im Ganzen.
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1 Ich sage, dass die Vorstellung des Supramentals bereits in alten Zeiten bestand. In Indien und anderswo wurde der Versuch gemacht, es zu erreichen, indem man sich zu ihm erhebt; was aber nicht erreicht wurde, war die Methode, es mit dem Leben zu integrieren und für die Umwandlung der gesamten Natur, selbst der physischen Natur herabzubringen.
2 Sri Aurobindo bezieht sich hier auf Lord Asquith, der 1908-1916 als Premierminister die Liberale Partei Englands vertrat.