Название: Okertal-Atlantis
Автор: Marie Kastner
Издательство: Автор
Жанр: Триллеры
isbn: 9783967525427
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Sie googelte auf ihrem Telefon nach günstigen Pauschalreisen, brauchte Tapetenwechsel, und zwar sofort. Wollte irgendwohin, wo sie keinen Schnee sehen musste und man ohne Jacke vor die Türe gehen, sich eventuell sogar entspannt an einen Swimming-Pool legen konnte.
Die Webseite eines aggressiv werbenden Vergleichsportals sah schon mal vielversprechend aus, bot Hammerpreise für Ziele in der Türkei, Griechenland und Ägypten. Übernachtungen in Vier-Sterne-Hotels und Vollpension waren inklusive.
Genau sowas hatte sie sich vorgestellt.
»Na, du wirst mir doch nicht zur All-Inclusive-Touristin werden? Nichts kriegt die heimischen Restaurants an den schönsten Stränden dieser Welt schneller insolvent als Pauschalreisen. Bars, Restaurants, Cafés – kein Einheimischer macht mehr ausreichend Geschäft, wenn die Urlauber alle faul in ihren Hotelanlagen bleiben, sich dort drinnen rundum verwöhnen lassen«, kritisierte eine Stimme hinter ihrer linken Schulter. Sie gehörte zu ihrem Kollegen Steffen Beckert, der aus dem Nichts aufgetaucht war.
»Ich weiß, du Schlaumeier, aber was sollte ich sonst machen? Mein Kontostand reicht leider nicht für eine individuell geplante Weltreise. Ist ein wenig anders als bei dir, du Börsenspekulant«, gab sie schlagfertig zurück.
Beide lachten und Steffen setzte sich ihr gegenüber. Sie übertrieb nicht, er hatte sich in der letzten Zeit tatsächlich ein schönes Sümmchen mit Bitcoins dazuverdient. Dank seines ausgezeichneten Riechers hatte er die instabile Krypto-Währung rechtzeitig abgestoßen, bevor der Kurs ins Bodenlose gefallen war.
»Wenn dir nach Wärme zumute ist, könntest du zunächst mal das Fenster schließen. Du sitzt hier in einem verdammten Kühlschrank. Brrr, mir friert gleich was ab!«
»Besser erfroren als erstunken, wie der Bernd immer sagt.«
Er schüttelte resigniert den Kopf.
»Oh, Marit. Du und dein Bernd. Apropos … hoffentlich läuft es nicht wie beim letzten Mal und wir müssen ihm bei Dienstantritt eine nagelneue Leiche servieren. Zumindest wird ihm diesmal wahrscheinlich keine im Urlaub vor die Füße fallen«, witzelte der behördeneigene Schönling und strich sich eine semmelblonde Haarsträhne aus der Stirn.
Kaum hatte er seinen Satz beendet und gleichzeitig das offene Fenster geschlossen, klingelte schrill das Diensttelefon.
Marit erschrak, rollte vielsagend mit den Augen und griff widerwillig nach dem Hörer. Sie räusperte sich.
»Revierkommissariat Wernigerode … Schmidbauer am Apparat … oh, tatsächlich? Okay, wir sind gleich da. Wo genau wurde sie gefunden? … Ah, alles klar. Ich weiß, wo das ungefähr liegt. Geben Sie uns bitte zwanzig Minuten.«
Steffen stand der Mund offen, er wirkte verblüfft.
»Jetzt sag bloß noch, ich habe es verschrien und wir bekommen doch eine Leiche. Dann könntest du deinen Urlaub erstmal abhaken«, grummelte er in seinen goldglänzenden Dreitagebart.
»Schlimmer noch. Wir müssen den Wolters zum Tatort mitnehmen, hierauf besteht er neuerdings. Bei der unerträglich langen Dienstbesprechung vom letzten Dienstag hat er klargestellt, dass er sich ein Bild von unserer Arbeitsweise machen will, um einiges zu reformieren. Genauso drückte er es aus. Sei froh, dass du an diesem Tag nicht da warst. Mich hat das Theater genervt.«
»Der will uns auf die Finger schauen, Kindermädchen spielen? Hat er in seinem Chefbüro nichts Besseres zu tun?«
»Anscheinend nicht. Mal sehen, was er vorhat. Mir kommt er wesentlich weniger entspannt vor als zu Anfang. Was ist, fährst du mit? Dann könnte der Jablonski weiter eine ruhige Kugel im Innendienst schieben, der will eh nicht so gerne aus der Bude.«
»Geht klar«, nickte Beckert und ging seinen Parka aus dem Nebenzimmer holen, während sie behände in die wattierte Dienstjacke schlüpfte und anschließend den neuen Revierleiter aktivierte.
Fünf Minuten später eilten sie bereits zum Einsatzfahrzeug.
*
Zur selben Zeit in Paris …
Während seine Kollegen am Tatort in der Karlstraße, zusammen mit Rechtsmediziner Müller und der Spurensicherung, erstmal die Lage sondierten, trottete Bernd Mader neben seiner Ehefrau in Richtung Louvre. Julia hatte ihm für heute ein Kulturprogramm verordnet. Es fiel ihm außerordentlich schwer, Interesse zu heucheln. Museen fand er stinklangweilig, durfte sich das aber nicht anmerken lassen.
Julias größte Sorge schien zu sein, irgendetwas zu verpassen. Sie wollte konsequenterweise alles mitnehmen, von der Kathedrale Notre Dame über den hässlichen, aber weltberühmten Eisenturm bis hin zu Theatern und Straßencafés.
Er bereute längst, nicht auf Marit gehört zu haben. Zehn Tage volles Programm … ihm hätte dicke gereicht, jeden Tag auszuschlafen, gegen Mittag das Frühstücksbüfett des Hotels gründlich zu plündern, anschließend gemütlich in der Innenstadt und an der Seine spazieren zu gehen und es sich am Abend in einer der vielen Szenekneipen gutgehen zu lassen, mit einem alkoholischen Drink auf dem Tisch.
Doch da hatte er die Rechnung ohne seine Frau gemacht. Ihr war eher nach kostspieligen Gourmet-Dinnern zumute.
Noch sieben Tage bis zur Abreise … ihm taten jetzt schon die Füße weh. Mit Entspannung hatten diese Gewaltmärsche definitiv wenig zu tun. Außerdem lebte die Stadt offenbar nur von der Erinnerung an ihre Vergangenheit und von hineininterpretierter Romantik, gar nicht sein Ding. In seinen Augen war sie genauso laut, kriminell, abgasverseucht und überfüllt wie jede beliebige andere Großstadt. Zudem missfiel ihm die allgegenwärtige Touristenabzocke. Auch jetzt, in den letzten Novembertagen, schoben sich Menschenmassen aus aller Herren Länder durch die Stadt.
Der Himmel über Paris zeigte tristes Einheitsgrau, was teils an schlechter Luftqualität und teils am Wetter lag. Na immerhin, es regnete wenigstens nicht. Bernd Mader beschloss, sich aus dem Trip möglichst das Positive herauszufiltern.
Schon hatte Julia die nächste Attraktion entdeckt. Sie zückte das Smartphone und fotografierte wie eine Besessene. Alles gut und schön, aber weswegen musste er unbedingt immer mit aufs Bild? Über seinem Kopf prangte am Eingang zur U-Bahn ein Metallschild im Jugendstil. Metropolitain stand darauf in verschnörkelten Buchstaben zu lesen.
»Ich liebe Jugendstil, für mich gibt es einfach nichts Schöneres. Wir müssen unbedingt auch mal nach Wien und Prag, dort ist er ebenfalls weit verbreitet. Jetzt lächle doch bitte, Bernd! Du siehst auf meinen Fotos immer aus wie so ein miesepetriger Brummbär. Meine Kollegen und Kolleginnen von der Arbeit müssen ja glatt denken, ich hätte dich gegen deinen Willen hierher verschleppt«, beschwerte sie sich – und postete gleich die jüngsten Fotos ans Baumarkt-Büro.
Wohlgemerkt, normalerweise hasste sie es wie die Pest, wenn ihre Untergebenen während der Arbeitszeit ständig ihre Handys benutzten. Über diese Unsitte hatte sie sich nach Feierabend oft genug ausgelassen.
Und nun das.
Bernd hatte keinen Bock auf ehelichen Zwist. Also schob er gehorsam seine Mundwinkel nach oben und wurde alsbald zum Hauptmotiv einer Staffel weiterer Fotos, aufgenommen vor der Glaspyramide am Eingang zum Louvre.
*
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