Название: Paganini - Der Teufelsgeiger
Автор: Christina Geiselhart
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783708105222
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Auf dem Nachhauseweg erzählte Vater ein wenig von dem jungen Adligen. Er treffe sich heimlich mit anderen Adligen, um über Genuas Zukunft zu diskutieren. Er gehöre zu den Novatori, die der verrosteten, von alten Männern regierten Republik Genua die Kehle durchtrennen wollten. Napoleon heiße ihr Held. Von manchen auch Buonaparte genannt.
6
Parma 1795–1796
Marchese Di Negro zahlte die Reise nach Parma und übernahm alle Kosten, die der Aufenthalt dort forderte. Vater behauptete, Giacomo Costa könne mir nichts mehr beibringen, ja, er fürchtete sogar, unter Costa würde ich nichts weiter als ein zappeliger Schulgeiger werden. Papa Paganini genügte das nicht, deshalb setzte er alles daran, mich dem berühmten Lehrer und Violonisten Alessandro Rolla vorzustellen. Dieser Rolla dirigierte das Herzogliche Orchester des Herzogtums Parma. Auf ihn war ich äußert gespannt, musste mich allerdings noch in Geduld üben, denn die Reise in der Kutsche war anstrengend und schien kein Ende nehmen zu
wollen.
Nach den ersten Kilometern stieg ein finsterer Bursche ein. Unter buschigen rabenschwarzen Augenbrauen fixierte er mich böse. Seinem Aufzug nach zu urteilen kam er aus der Toskana, sah aber aus, als käme er direkt aus der Hölle. Ich drückte mich, so tief ich konnte, in meinen Sitz. Am liebsten wäre ich in die Rückenlehne geschlüpft. Glücklicherweise stieg der Toskaner an einem Ort namens Stradella aus. Vater, ich und eine Dame, die seit einiger Zeit mit tief ins Gesicht gezogenem Hut in einem Winkel des Reisewagens kauerte, holperten in die Dämmerung hinein, da hielt der Kutscher plötzlich vor einer Pferdewechselstelle mit angegliedertem Wirtshaus. Unser Gepäck wurde abgeladen und von einem jungen Burschen in ein enges Zimmer unters Dach des Wirtshauses geschleppt. Dort stellte er es ab, doch statt zu verschwinden, blieb er in ergebener Haltung stehen. „Der will etwas Palanche!“, sagte mein Vater und meinte damit Trinkgeld.
Später aßen wir gekochten Reis, mit Käse abgeschmeckt, und einige Stücke Schweinefleisch. Vater trank dazu einen Vino rosso, ich bekam Wasser. Die Wirtin strich mir über den Kopf und sagte: „Iss, Bambino! Iss, du bist ja dünn wie ein Ästchen.“
Früh am nächsten Morgen sollte es weitergehen. Doch die Pferde ließen sehr lange auf sich warten. Ich wurde ungeduldig, zappelte herum, bis mir Vater auf den Hinterkopf schlug. Endlich kamen junge, derbe Kerle, die lustlose Gäule hinter sich herzerrten. Dann ging es los, viele Stunden über holprige Straßen. Einmal wurden wir so heftig durcheinander geschüttelt, dass ich mit der Nase voraus in den Schoß meines Nachbarn – eines Jesuitenpadres, der unter Wadenkrämpfen litt – purzelte.
Wir übernachteten in Piacenza, einer schmutzigen, verfallenen Stadt, der Markt war grasüberwuchert mit verwahrlosten Wallanlagen und halb verschütteten Gräben. Jedes Haus stand düster da und blickte mürrisch auf seinen Nachbarn. Gott sei Dank fuhren wir nach der ersten Speise weiter und erreichten Parma am frühen Nachmittag des folgenden Tages. Nun wollte ich weder essen noch trinken. Ich wollte nur Geige spielen. Daran war ich gewöhnt, das war mir vertraut. Meine Finger verlangten nach dem Instrument, mein Herz sehnte sich nach seiner Berührung. In Gedanken zupfte ich eine hübsche Melodie, die mir unterwegs eingefallen war.
7
Am kommenden Tag eilten wir sogleich zu Maestro Rolla und waren völlig überrascht, trotz vorsorglicher Anmeldung nicht empfangen zu werden. Er sei unerwartet erkrankt und ruhe, erklärte die freundliche Signora Rolla. „Che guaio! Für nichts und wieder nichts die lange Reise!“, knurrte mein Vater mit vor Wut grünem Gesicht. Wieder warten, dachte ich verärgert. Dabei muss ich so unglücklich ausgesehen haben, dass die Signora mitleidig vorschlug:
„Warten Sie bitte im Arbeitszimmer. Ich sehe mal, was ich für Sie tun kann. Vielleicht empfängt er Sie morgen oder übermorgen. Dann sind Sie nicht ganz umsonst gekommen.“ Bei diesen Worten öffnete uns die Signora die Tür zu Rollas Studierzimmer, wo sie meinem finster blickenden Vater einen Platz anbot.
Ich musste mich stehend gedulden. Weil ich aber nervös und aufgeregt war, wanderte ich im Zimmer auf und ab. Da entdeckte ich auf dem Tisch nahe beim Fenster eine Partitur. Sie sah so aus, als wäre sie frisch komponiert worden. Ich konnte die Tinte noch riechen. Mein Vater beobachtete mich. Während ich um die Partitur schlich wie ein Fuchs um die Beute, spürte ich Vaters stechenden Blick auf meinem ganzen Körper. Ob er wohl das Gleiche dachte wie ich? grübelte ich. Das werden wir gleich sehen. Flink packte ich meine Geige aus, stimmte sie geschwind und postierte mich vor dem Tisch. Die Partitur lag etwas schräg und die Noten schienen wie flüchtig auf die Linien geworfen.
„Worauf wartest du?“, zischte Padre Paganini. Ich hatte also richtig gehandelt. Ich unterließ es, das Blatt gerade hinzulegen, sondern folgte augenblicklich dem Befehl meines Vaters. Ohne Zögern und Stocken spielte ich die Melodie. Vater zuckte mit dem Kopf, seine Augen verloren nichts von ihrer düsteren Farbe, doch sein Gesicht leuchtete auf wie von der Sonne beschienen. Das alles erfasste ich ganz nebenbei, in wenigen Sekunden, denn gleichzeitig tauchte ich vollständig in die fremde Melodie, eroberte sie, machte sie zu der meinigen. Und da erschien Maestro Rolla. Bleich wie der Mond, das Haar in alle Himmelsrichtungen strebend, den Mund offen, so stand er vor mir. Ich hatte ihn nicht eintreten hören. Entgeistert musterte er mich. Eine Haarsträhne tanzte auf seiner Stirn wie ein Staubwedel über einem Möbelstück. Seine Augen glänzten, ja sprühten Funken. Und seine fleischige Nase bebte. War er wütend, weil ich mich ungebeten an seinen Musikstücken zu schaffen machte? Jählings unterbrach ich mein Spiel, verbeugte mich und flüsterte verlegen: „Buon giorno, Signore, mi scusi!“ Er antwortete nicht. Er prüfte mich mit seinen glitzernden Augen. Lange verharrte sein Blick auf meinen Händen, streifte dann über meinen Arm in mein Gesicht.
„Als ich die ersten Töne hörte, sprang ich aus meinem Bett. Signora Rolla sagte, im Zimmer warte ein Zwölfjähriger, der bislang wenig in der Geige unterrichtet worden sei. Nach dem, was ich hier hörte, scheint mir das unmöglich.“
„Ist es auch!“, befleißigte sich Papà zu sagen. „Ich unterrichte den Jungen schon seit Jahren.“
Rolla musterte meinen Vater sehr kritisch. Seine Nasenflügel bebten und ein Anflug von Zornesröte färbte jäh das kranke Gesicht.
„Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Sie der Urheber dieses Talentes sind, Signore!“
„Ach?“ Padres Mundwinkel verzogen sich deutlich nach unten. „Jedenfalls würde es diesen Jungen ohne mich gar nicht geben.“ Innerlich kochte er vor Wut. Gott sei Dank nahm es außer mir keiner wahr. Ich hoffte für Vater, Signore Rolla forderte ihn nicht zum Spielen auf. Meine Hoffnung erfüllte sich. Rolla reagierte nicht auf Vater, sondern sah mich ergriffen an.
„In deinen Augen glüht die Musik! Sie glüht in deinem Körper und befähigt dich zu unglaublichen Dingen. Niemand kann dir beibringen, was dir der Himmel geschenkt hat. Wir armseligen Sterblichen können dich nur fördern und vervollkommnen.“ Seine Nase hatte aufgehört zu zittern. Mit einer heftigen Kopfbewegung schleuderte er die dichte Haarsträhne aus der Stirn und wandte sich erneut an meinem Vater.
„Dieser Junge braucht meine Hilfe nicht. Er handhabt die Violine wie kein anderer. Wo es noch ein wenig mangelt, ist im Kontrapunkt. Schicken Sie ihn unbedingt zu Maestro Ghiretti, Violonist bei Hofe und berühmtester Kontrapunktist unseres Landes.“
Vater hörte die Worte „herzoglich“, „berühmt“, „Violonist bei Hofe“ und schlug mechanisch die Hacken zusammen. Er war kein Kriecher, mein Vater, aber der Glanz des Ruhmes und des Geldes ließen den düsteren Menschen leuchten wie eine Laterne und bewirkten Wunder der Freundlichkeit.
„Mein Sohn ist also tatsächlich sehr begabt?“
„Begabt?“, СКАЧАТЬ