Название: Eros und die Evangelien, aus den Notizen eines Vagabunden
Автор: Waldemar Bonsels
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4064066110208
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»O Asja,« sagte ich und erbebte tief, »nun weiß ich, wie sehr du das Leben liebst, Asja.«
»Nicht wahr?« sagte sie glücklich, »und ich habe dir nichts erklärt.«
Sie lächelte entschuldigend, da sie diese Zustimmung ausgesprochen hatte, als sei es etwas Geringes, die Fröhlichkeit ihres Lächelns war von einer Bescheidung, daß ich sie empfand, als stünde ich über und über in Licht. Welch ein Wunder geschieht mir, dachte ich, dies alles ist ein heller Traum, nicht Fleisch und Blut verwaltet dieses Erlebnis, nicht die alten Dinge der Welt kommen darin vor. Mir war, als wendete ich mich fort, zu Anderen, zu Fremden, und riefe ihnen zu: Wie arm waren wir doch bisher, ihr und ich!
Aber wieder erwachte der Wille in mir, alles zu tun, was Menschen zu tun vermögen, um dies Leben dem Leben zu erhalten, das wir alle vollbringen. Ich empfand, daß ich irrte, aber ich wußte nicht worin. Welchen Opfers wäre ich nicht in dieser Stunde fähig gewesen! So sprach ich denn aufs neue und bat von Herzen darum, sie möchte ihr Leben zu erhalten suchen. Sie antwortete mir, sie wolle es nicht so, wie ich es dächte.
»Sieh,« sagte sie, »was ist denn Leben und was nennst du so? Ist das kleine Maß deines Daseins vom Aufgang bis zum Niedergang das Leben? Je mehr wir solch bemessene Tage, und unseren vergänglichen Wohlstand darin, so nennen, um so mehr verleugnen wir das Leben. Das ist sicherlich wahr und du wirst es verstehen lernen.«
»Ich verstehe diesen Gedanken, Asja, aber begreifst du nicht, daß meine Liebe sich wünscht, daß du bei mir bleibst? Ich habe dich erst heute gefunden.«
»Sei ruhig, ich verspreche dir, immer bei dir zu bleiben. Aber hindere mich nicht, laß mir mein Wesen. Ich bin nur ein Weg. Was über mich hin zu dir kommt, ist viel mehr als ich. Wurde dein Herz nicht eben noch befriedigt, obgleich ich nichts getan habe? Sind nicht meine Augen und mein Angesicht voll Licht? Woher sollte es kommen, wenn ich dem Licht nicht zugewandt wäre? Weshalb ereiferst du dich? Glaube mir doch, damit du fröhlich sein kannst.«
»Du willst immer bei mir bleiben?« fragte ich, als habe ich nur diesen Satz gehört. Eine schmerzhafte, verräterische Neugier bewegte mich, ich zitterte vor Begierde und Widerstand und begriff meinen Wunsch nicht, das Mädchen möchte mir eine Antwort geben, die mir ein Recht zur spöttischen Abkehr gab. Aber sie antwortete mir nicht.
So schwiegen wir lange. Endlich sagte ich:
»Ich will das Geld nun fortbringen«, und erhob mich, um zu gehen.
In diesem Augenblick haßte ich das Angesicht, den Menschen, der vor mir lag, der, ohne mich anzuschauen, mich doch zu sehen schien, der sich mit seinem Schweigen von mir abgewandt hatte, und der mich doch umfing, und dessen Unterlassen mich leidenschaftlicher beriet, als es der kühnste Eifer vermocht hätte. Aber mein Trotz war mächtiger als alles andere in mir, und ich sagte:
»Nein, Asja!«
Mir war, als habe ich alles mit diesem Nein gesagt. Es klang rauh und böse, wie eine ewige Absage, in dem stillen, einfachen Raum, und erschütterte mich so mächtig, als hätte ich den schwachen Körper vor mir durch einen Schlag verwundet. Da sah das Mädchen zu mir auf, voll Hilflosigkeit und Schmerz, nahm meine Hand und küßte sie. Es war kein Kuß der Andacht oder Demut, sondern ein kindlicher Kuß, eifrig und innig, ein herzliches Tun.
Das Alter wünscht sich noch froh zu sein, aber die Jugend liebt es, für ihr Glück zu leiden. Der in meiner Natur ruhende Widerspruch gegen die Freundin vertiefte sich oft bis zum Schmerz, denn der Jugend ist das Bedürfnis nach dem Abbild und Widerschein der vollkommenen Harmonie fremd, sie ist im Eigenen befangen und je echter sie ist, um so mehr scheut sie sich vor frühzeitiger Abrundung oder unerprobter Zustimmung. So ist ihr Widerstand nicht immer Mangel an Ehrfurcht, wie es häufig denen erscheint, die vom Wert ihrer Darbietungen überzeugt sind, sondern es ist das Recht der schlummernden Kraft. Oft erscheint es, als bedürfe diese werdende Kraft zu ihrem Wachstum des Leids, das sie sich selbst bereitet, und manche Herzen suchen es.
So verstehe ich heute, daß mein Gemüt vor dem Wesen Asjas schwankte, in Sorge sich zu verlieren oder in Begierde zu begreifen und sich hinzugeben. Aber ich segne den Widerstand meines Wesens, denn er rief die Blumen ihrer Seele hervor; nie wird die Liebe jemals Klage führen, daß ihrem Licht widerstanden worden ist. Ihr Wesen ist frei von jeder Absicht, und ihre Wirkung ist ihre Folge, nicht aber ihr Zweck. Erst wer diese Wahrheit in sich erlebt hat, wird der Freiheit im Bewußtsein teilhaftig, mit der ihr Reich in uns beginnt.
Wenn ich diese Worte niederschreibe, so spreche ich schon von dem Geistesgut, das dieses besondere Kind darstellte, denn es wäre unrichtig zu sagen, daß sie es nur verwaltete, wußte oder besaß. Heute erkenne ich gut, daß zweierlei Dinge mein Gemüt zu Anfang verschlossen, es waren die Sorge, mich in ihr völlig zu verlieren und die Scham. Ich schämte mich ihres Menschentums, der Allmacht ihres unverhüllten Fühlens und ihrer Tränen. Wie wenig unterschied ich mich, verglichen mit ihr, von allen, von denen ich mich so bemerkbar zu unterscheiden geglaubt hatte. Welch ein geringes Tun war doch mein Hang gewesen, voreilige Gemeinschaften zu meiden und meine Ansprüche nicht preiszugeben.
Wie ungern denke ich an jene Stunde zurück, in der ich am Tage darauf meinem vornehmen Freund in der Villenstraße sein Geld zurückbrachte. Er empfing mich freundlich, aber seine Entrüstung stieg ins Maßlose, als ich ihm sein verschmähtes Gut überreichte. Ich verließ ihn eilig, da es mir widerstand, etwas zu erklären, unter dessen Walten ich selber noch litt, ohne volle Klarheit zu haben, auch glaubte ich nicht daran, ihn von den Beweggründen meiner Handlungsweise überzeugen zu können. Es mag ihm erschienen sein, als wäre er zum Spielball einer Laune entwürdigt worden, vielleicht auch, daß eine Ahnung des Geistes ihn quälte, dem ich gehorsam war.
»Narr!« schrie er, bleich vor Wut.
Sein Wort begleitete mich. Als ich in meiner Dachkammer anlangte, wiederholte ich es mir ohne zu denken, starrte vor mich hin und ließ die Stunden verstreichen. Ich muß fort, dachte ich, wieder durch Wälder, über Heidehügel dahin, an Flußufern entlang, wo das Wasser mich lebendig begleitet. Habe ich den Aufgang der Sonne über der Landschaft vergessen, den glitzernden März, die Sommersonne im Schilf oder die schweigsame Herrlichkeit der Sternbilder? Aber ich verwarf alles. Das alles ist es nicht, dachte ich, es ist nur ein Trost, ein Gleichnis, ein wahrsagerischer Weg auf das Eine zu, nicht mehr. Warum bin ich so mutlos? Bin ich nicht durch die Pracht des Vielerlei dahingeschritten, Jahre um Jahre, um das Eine zu finden, liebte ich nicht alles allein als ein Sinnbild jenes Einen, vor Hoffnung ruhlos und aus Zuversicht trunken? Nun scheint sein Licht aus einem Herzen, es ruft mich und ich zaudere. Ach, ich ahne, wieviel es ist, dachte ich, weil es längst in mir glimmt. —
So geschah es, daß ich mit diesen Gedanken eines Tages zu Asja kam. Sie hob mir beide Arme entgegen und ich beugte mich, zitternd vor innerer Not, unter ihren Liebesgruß.
»Asja, glaubst du an Gott?«
»Wie fragst du so rasch, so böse?« sagte sie erschrocken.
»Antworte mir!«
»O Freund, ich kann nicht sprechen.«
»So sieh mich an. Antworte auf deine Art, aber antworte.«
»Du Lieber, wie es dich quält! Ach, wäre ich, was du ersehnst!«
»Du bist es. Sieh mich an.«
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