Wegen Wersai. Dagmar Schifferli
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Название: Wegen Wersai

Автор: Dagmar Schifferli

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: rüffer&rub literatur

isbn: 9783906304441

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СКАЧАТЬ ersten Male auf der Standseilbahn hatte Tantelotte fürchterlich gezittert. Sie musste die Augen schließen, damit sie die steilen Abhänge nicht sah. So hohe Berge gibt es dort nicht, wo sie herkommt. Und darum auch keine Standseilbahnen.

      Wenn man oben aussteigt, ist es überall noch steiler. Mama kommt deshalb nur die wenigen Schritte bis zum Hotel Alpenblick mit. Dort hört sie dem Nachmittagskonzert zu und trinkt einen Tee. Manchmal gönnt – gönnt? – sie sich auch ein Stück Kuchen. Dass sie zur Musik nicht mehr tanzen kann, macht sie traurig.

      Wir andern schultern die Rucksäcke. Mein Vater nennt das so, schultern. Ohne uns nochmals umzuschauen, marschieren wir los. Auch das nennt mein Vater so. Vorwärts. Aufwärts.

      An manchen Häusern steht Fremdenzimmer.

      »Für wen sind eigentlich diese Zimmer, Papa?«

      Das wollte ich schon lange mal wissen, weil Lorenzo Fremdarbeiter sagt, wenn er von seinen beiden Onkeln redet, die auf einer Baustelle arbeiten, irgendwo hoch oben in den Bergen.

      »Für die Fremden, es steht doch auf der Tafel.«

      »Also für Leute aus anderen Ländern als der Schweiz?«

      »Nein, nicht nur. Jeder, der nicht hier geboren wurde, ist in diesem Dorf ein Fremder.«

      »Wir also auch, Papa?«

      »In Braunwald würde ich keine Ferien machen wollen.«

      Ich spüre, dass Papa dazu nichts mehr sagen will. Wahrscheinlich würde er mir auch nicht erklären wollen, weshalb Tantelotte manchmal Braunau sagt, obwohl sie Braunwald meint.

      Nach einer Weile bückt sich Tantelotte nach Bucheckern. Mit Zeigefinger und Daumen klaubt sie die Nüsse aus den struppigen Fruchtbechern.

      »Massenweise mussten wir die sammeln«, sagt sie keuchend, »als Kaffeeersatz oder für Speiseöl.«

      »Daran sind wir doch nicht schuld, oder, Papa?«

      Er presst seinen gestreckten Zeigefinger auf die Lippen.

      Diesmal gehen wir nur bis zum Uhu. Papa ist es ein Rätsel, wieso das Restaurant so heißt.

      »Vielleicht, weil nachts ein Uhu auf der Tanne hockt und ins Tal hinausheult?«, überlege ich.

      »Wenn man dem Uhu mit UHU den Schnabel zuklebt, kann er das nicht mehr«, blödelt Tommy und kriegt von Papa einen Klaps hinter die Ohren.

      Von Weitem sehen wir die Wippe. Tommy und ich rennen voraus. Auf, ab, auf, ab. Wir sind fast gleich schwer und katapultieren uns gegenseitig höher und höher.

      »Kathi, Gus Backus!«

      »Wo?«

      »Was, wo, du Löli.«

      Tommy verdreht die Augen. Immer denkt er, ich sei doof.

      Er holt Luft, grölt los: »Da sprach der alte Häuptling der Indianer …«

      Aber ich bin nicht doof: »… wild ist der Westen, schwer ist der Beruf. Uh!«

      Ich umklammere den Griff so fest ich kann, damit es mich nicht wegschleudert.

       Schön war sie, die Prärie,

       alles war wunderbar,

       da kam an weißer Mann,

       wollte bau’n Eisenbahn.

      »Ruhe!«, ruft Papa herüber. »Nicht so laut. Ihr seid doch nicht die Einzigen hier!« Wir tun so, als hörten wir ihn nicht.

       Böse geht er nach Haus,

       und er gräbt Kriegsbeil aus.

       Seine Frau nimmt ihm keck

       Kriegsbeil und Lasso weg.

      Wieder ruft Papa etwas, winkt, wir sollen herkommen.

      »Wollen wir, Tommy?«

      Tommy grinst nur.

       Eisenbahn spuckte Dampf.

       Häuptling kam, wollte Kampf.

       Weißer Mann sprach, hierher,

       Du bist gleich Kondukteur.

       Uh, uh, uh.

      »Wenn ihr beide eine Ovo und einen Nussgipfel wollt …«, höre ich Papa nun doch durch unser Indianergeheul.

      »Komm, Tommy. Nussgipfel gibt’s sonst nie.«

      Einmal wollte Papa mit uns bis zum Bützi und von dort noch weiter hinauf zum Bös Fulen.

      »Wir folgen einfach den weiß-rot-weißen Markierungen an den Felsen«, hatte er gesagt, als wir so hoch oben waren, dass nirgends mehr ein Weg zu sehen war. An einigen Stellen lag sogar schon Schnee.

      »Vorwärts, nun mach schon«, trieb er mich an, als ich einen Augenblick stehen blieb, weil ich eine Blase an der Ferse gespürt hatte.

      »Das gehört halt dazu. Wandern im Gebirge ist eben kein Sonntagsspaziergang.«

      Die Schneefelder wurden immer ausgedehnter. Ganz weg von allem konnten wir trotzdem nicht sein, denn es gab noch vereinzelte Kothäufchen von Schafen, die hier oben geweidet haben mussten. Ich hatte Angst, dass wir uns verlaufen und ich Mama nie mehr sehen würde. Nach einer weiteren steilen Kraxelei fiel mir auf, dass Papa langsamer ging und sein Gesicht rot angelaufen war. Er musste sich hinsetzen.

      »Wenn er jetzt stirbt …«, flüsterte Tommy mir ins Ohr.

      Ich: »… schubsen wir ihn über die Felswand …«

      »… und es sieht wie ein Unfall aus, psst.«

      Papa wischte sich den Schweiß von der Stirn, langte nach dem Rucksack, den er neben sich auf einen Felsbrocken gelegt hatte, hustete nochmals, dann sagte er mit heiserer Stimme: »Ich bringe es kaum über mich – wir müssen umkehren.«

      Abwärts ging’s. Eine steil abfallende Geröllhalde jagte mir solche Angst ein, dass ich über eine Wurzel stolperte und mir das Knie blutig schlug.

      »Beiß die Zähne zusammen«, zischte Tommy, »sonst meckert der Alte wieder.«

      An dem Tag, als wir so hoch hinaufgestiegen waren, wollte Tantelotte zu Hause bleiben. Glück gehabt. Meistens jedoch kommt sie gerne mit. Weil es ja die Berge waren, die sie angelockt hatten, damals, nach dem Krieg, als sie unbedingt in die Schweiz wollte. Wenn sie das erzählt, macht sie immer eine kurze Pause, dann sagt sie: Die Butterberge, genau genommen. Daraufhin lachen die Leute jedes Mal. Als sie noch in Deutschland einmal für längere Zeit in den Bergen war, war sie ein Mädchen und mit vielen anderen СКАЧАТЬ