Frühlingsfahrt. Johannes Hucke
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Название: Frühlingsfahrt

Автор: Johannes Hucke

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Lindemanns

isbn: 9783963080302

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СКАЧАТЬ die Liebhaber, aber auch für Passanten, die nach dem Weg fragten, für Kinder oder auch für Kunden des Ausbildungslabors, wo sie bald eine Festanstellung fand. Nie aber, unter keinen Umständen schenkte Annedore ein wenig von ihrer Huld denjenigen, die sie als zu ihr gehörig empfand, als Familie. „Hausteufel und Straßenengel“, dieser alte Spruch von tiefer systemischer Weisheit, traf derart vollständig auf Nikolaus’ Erwählte zu, dass man hätte meinen können, es handle sich um eine private Parodie.

      Zunächst reagierte Nikolaus mit Bitten und Flehen, sodann mit Tränen und Zornesausbrüchen. Annedore blickte vorwurfsvoll, denn sie war schwanger und schalt Nikolaus ob seiner Selbstverliebtheit. Das war natürlich etwas ganz anderes! Der junge Mann entschuldigte sich tagelang, so etwas habe er ja nicht ahnen können, was da vorging ... und versprach, Annedore fürderhin in allem beizustehen, was sie von ihm verlangte. – Je mehr die beiden eine Hausgemeinschaft bildeten, in Erwartung eines dritten Mitbewohners, desto klarer trat ein weiterer Wesenszug Annedores hervor, welcher für den werdenden Vater eine Serie zusätzlicher Zurücksetzungen bedeutete. In keinem einzigen Fall zeigte sich Annedore kompromissbereit: Das Häuschen wurde nach ihren Vorstellungen eingerichtet, der Tageslauf hatte ihren Vorlieben zu entsprechen. Dabei bewies sie einen Nikolaus fremden Sinn für Reinlichkeit, besser: für Sterilität, der Nikolaus so seltsam vorkam, dass er all das Gewische und Gesauge für eine vorübergehende Manie hielt. Er selbst durfte weder saugen noch wischen; er machte es nicht gut genug. Als einmal beim Duschen zwei Wassertropfen auf die Waschmaschine hinübergespritzt waren, kam Annedore herbeigestürzt, rollte die Augen und wischte die Tröpfchen seufzend weg. Nikolaus wollte lachen – Wassertropfen im Bad, das musste doch erlaubt sein! Wie sehr er sich täuschen sollte.

      Man hätte nun erwarten können, dass sich eine gewisse Zufriedenheit bei Annedore einstellte, da doch alles, was geschah, vollständig nach ihrem Willen verlief. Weit gefehlt: Kaum waren sie eingezogen in das antiseptisch funkelnde Vororthäuschen, wurde sie von einer zähen Depression befallen, die nicht mehr wich – bis zu dem Tage, da sie auf dem „Maekt“ ihren „schpirituelle Lääbnspattna“ kennenlernte.

      Sämtliche Stufen, im gesamten Treppenhaus, hatte Nikolaus mit Rosen belegt, als Annedore mit dem kleinen Valentin aus der Geburtsklinik zurückkam. Sie latschte drüberweg und schimpfte: „Un wär soll des nachher alles wegbutze, hä?“

      Geschäftskollegen, Verwandte, einige Vertraute, die es damals immerhin noch gab, glaubten ihm nicht, wenn er von solch absurden Qualen berichtete.

      „Du musst sie erst einmal für dich gewinnen“, schlug Jana vor. Nikolaus nahm das ernst; in der Folge fügte er sich Annedores Befehlen restlos, wodurch er nach und nach all seine anderweitigen Kontakte einbüßte, zuerst zu seinen Kumpels, dann zur eigenen Familie, ohnedies nur noch lückenhaft vorhanden, schließlich zu Jana selbst.

      Kurzum, Nikolaus führte ein Elendsleben in Abhängigkeit und Überanpassung. Der einzige soziale Raum, der ihm zum Austausch noch verblieb, war seine Arbeitsstelle. Die Schreibtischtätigkeit empfand er zwar als bedrückend langweilig, auf Dauer gar unerträglich für den kreativen Geist, der er einmal gewesen war; doch Annedore hielt erwartungsgemäß nichts von einem Stellenwechsel, der das geregelte Einkommen gefährden könnte. Sie selbst war nur noch stundenweise werktätig, widmete sich andererseits mit Akribie der Erziehung Valentins, vor allem freilich der Säuberung seiner Kleidung.

      Nun, zweifellos, nach Ablauf einiger harter Monate, während derer Nikolaus so gut wie gar nicht geschlafen hatte, entwickelte der Vater starke Gefühle für den Sohn und verbrachte seine gesamte Freizeit damit, den Kleinen im Wägelchen durch die Gegend zu schieben, denn die Mutter lag zu Hause und brauchte ihre Ruhe, denn sie war ja depressiv, leicht reizbar und – wer weiß! – am Ende brachte sie sich noch um.

      Aus dieser Hölle aus Ängsten und Isolation fand Nikolaus nicht mehr heraus. Seine einzige Hoffnung galt tatsächlich dem Tage, da Annedore endlich wieder so werden würde, wie er sie kennengelernt hatte. Und wahrhaftig, da gab es Stunden, in denen schien es möglich, da entschuldigte sie sich gar für ihr grobes Benehmen, zieh sich selber der Lebensfeindlichkeit, gar der Grausamkeit, äußerte, sie wisse überhaupt nicht, weshalb sie so hexenhaft handle, brach in Tränen aus und ließ sich trösten. Dies freilich stärkte Nikolaus darin, die kurz darauf folgenden Anschuldigungen, alles Leid, das Annedore zu tragen habe, sei nur durch ihn auf sie gekommen, umso williger zu ertragen.

      „Du bist en Hannebambel!“, hatte Oschi, ein Kumpel aus Darmstädter Studientagen, die Freundschaft zu Nikolaus beendet.

      „Wie kann man sich nur so wegschmeißen?“, hatte ihn Jana gescholten, bevor sie sich für immer von ihm zurückzog.

      „So einen Jammerlappen wie Sie hat es bei uns in der Firma noch nicht gegeben“, hatte ihn sein Chef abgefertigt, als Nikolaus, nach einem von Annedores Wutausbrüchen dominierten Wochenende, gewagt hatte, dem Vorgesetzten sein Leid zu klagen. „Sie müssen sich neu positionieren, mein Guter! Nur ein ebenbürtiger Partner hat eine Chance auf Achtung. Merken Sie sich das.“

      Nikolaus wusste das ja. Immer wieder hatte er den Versuch unternommen Annedore selbstbewusster gegenüberzutreten, ihr ein für alle Mal zu verdeutlichen, dass er kein Sklave sei. Sie wusste es besser. Sie heulte und tobte, bis der kleine Valentin verängstigt und tränenüberströmt aus dem Kinderzimmer getappst kam, die Kuscheldecke an sich gepresst. Nein, das war das Allerschlimmste, Unerträglichste: dass nun auch noch der Kleine unglücklich wurde! Und mit neuer Hingabe widmete sich Nikolaus den Wünschen seiner kühlen Gemahlin. Bald leistete er gar keinen Widerspruch mehr, einzig darum bemüht, dem geliebten Kind eine glückliche Zeit vorzuheucheln. – Aber war das denn geheuchelt? Lachte der Winzling nicht auffallend viel? Entwickelte er sich nicht prächtig? In der Tat, daran konnte kein Zweifel sein. Valentin gedieh! Er wurde ein empfindsamer, dabei durchsetzungsfähiger, liebevoller, dabei energischer, intelligenter, dabei uneitler Prachtkerl. Dafür hatte sich alles gelohnt: Nikolaus’ Opfer hatte einen Sinn gehabt. Bis zu dem Abend mit den beiden Kerzen.

      „Du ... du meinst also, der, wie du sagst, spirituelle Lebenspartner, der wär nicht ich?“

      Annedore prustete los: „Hä?“ Sie hatte sich angewöhnt, bei Tisch grundsätzlich nur noch mit vollem Mund zu sprechen; deswegen stopfte sie sich einen dicken Energiekeks zwischen die Zähne und begann zu lästern: „Wie kommscht denn auf so was? Ha du spinnscht ja! Heidernei, guck di doch emol oo! Du – un schpirituell! Des isch jo en Witz ...“

      Das war nun allerdings richtig: Besonders vergeistigt hatte sich Nikolaus wirklich nie gefühlt, es sei denn in künstlerischer Hinsicht – aber das war lange her. Unwillkürlich erhob er sich. Narkotisiert von der Ahnung künftigen Leides, wankte er hinüber zum Kinderzimmer. Annedore rief ihm irgendetwas Abfälliges hinterher, doch verstand er es nicht, da die Energiekekse die Aussprache beeinträchtigten. Valentin lag auf seinem Sofa, hörte Musik und fummelte an einer elektronischen Apparatur herum, deren Sinn Nikolaus verborgen war. Mit belegter Stimme, umständlich, wie es seine Art war, doch einfühlsam und zärtlich begann der Vater, die schwierige neue Situation zu erläutern. Doch auch hier erlebte er eine finstre Überraschung. Unwillig dreht sich Valentin zu ihm um und blaffte: „Oh Mann Papa, das gibt’s ja wohl nicht! Merkst du auch mal was? Den Ramon kenn ich schon seit Monaten. Is’ übrigens total nett.“

      Als der Dreizehnjährige die Bestürzung in des Vaters Augen sah, ergänzte er obenhin: „Naja, keine Bange, ich komm dich schon besuchen, wenn der Ramon hier eingezogen ist. Hast du eigentlich schon ’ne Wohnung?“

      Mechanisch, ohne zu antworten, zog Nikolaus die Tür hinter sich zu. Irgendetwas rieselte beständig in seinem Inneren herab. Würde er demnächst zusammenbrechen? Vermutlich. Auf dem Weg in den Keller nahm er, ohne es recht zu bemerken, ein Lämpchen mit, das ihm Annedore hingestellt hatte. Ach ja, sein Kellerreich und die Treppe dorthin! Noch während der Stillzeit hatte ihn die junge Mutter eines Nachmittags damit überrascht, dass sie ihn in den ehemaligen СКАЧАТЬ