Название: Ferienhaus für eine Leiche
Автор: Franziska Steinhauer
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Mord und Nachschlag
isbn: 9783941895676
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»Das ist noch echte Handwerksqualität!«, grummelte er anerkennend. »So was findet man heut’ ja gar nicht mehr. Aber die Leute kaufen ja nur noch Möbel von der Stange. Oder bei Ikea.«
Er bückte sich, um den Bügel am Schloss anzuheben und die Truhe zu öffnen.
»Puh! Wie das stinkt!«, stellte er fest und begann besorgt zwischen den Decken zu wühlen, um herauszufinden, woher der Gestank kam.
Als er die Quelle schließlich gefunden hatte, sträubten sich seine Nackenhaare und sein gesamter Körper verkrampfte sich.
Für einen Moment war er wie erstarrt und konnte seine Augen von dem grauenhaften Anblick nicht lösen. Seine Hand umkrallte die Wolldecke mit dem blau-weißen Streifenmuster, die er zuletzt angehoben hatte. Die Knie zitterten, die Augen traten ihm aus den Höhlen. Zusammen mit einem Schrei stieg eine Woge von Übelkeit in ihm hoch.
Fassungslos starrte er auf eine unbekleidete, von Verwesung entstellte Frauenleiche!
Er wollte nicht länger hinsehen, konnte den Blick dennoch nicht losreißen und wusste mit Sicherheit, dass das Bild des teilweise mumifizierten und aufgelösten Frauenkörpers, der nachlässig zwischen den Decken verborgen worden war, ihn bis an sein Lebensende verfolgen würde. Die Haare, lang und grau, waren zu einem dünnen Zopf geflochten und die knochigen Hände lagen mit nach oben zeigenden Handflächen neben den Oberschenkeln.
Panik erfasste ihn.
Für einen irrwitzigen Moment glaubte er, die Frau habe ihre klauenartigen Hände bewegt und raubvogelgleich versucht, ihn zu packen!
Das Herz schlug ihm bis zum Hals und endlich gelang es ihm, den Deckel wieder zuzuwerfen und sich umzudrehen. Dann schrie er laut und seltsam heiser auf, rannte zur Dachbodenklappe. Als er endlich keuchend vor dem Haus stand, konnte er sich nicht mehr daran erinnern, wie es ihm gelungen war, die steile Stiege hinunter zu klettern und den Ausgang zu finden.
Er erbrach sich.
In heftigen Wellen rollte die Übelkeit heran und überspülte ihn, ohne dass er sich dagegen wehren konnte. Der Schweiß brach ihm aus. Hilflos stützte er sich mit beiden Händen an der Hauswand ab, während er sich immer heftiger übergeben musste.
Nach einer kleinen Ewigkeit spürte er, wie die Übelkeit langsam nachließ, und er wankte zu seinem Auto.
Jetzt lassen sie sogar ihre Leichen in meinem Ferienhaus zurück!
Unglaublich, einfach nicht zu fassen!, ging es ihm durch den Kopf.
Der Motor lief schon, als ihm sein Handy einfiel. Handy! Alle möglichen Leute hatten eins und telefonierten nun ständig beim Einkaufen, beim Spazierengehen, beim Sex. Unerträglich. Sein Sohn hatte ihm zum Geburtstag solch ein Wunderding geschenkt, damit er auch auf der einsamsten Straße Schwedens bei einem Notfall, einem Unfall oder einer Panne Hilfe holen konnte. Und da die Wege, also auch die Rettungswege, weit waren, hielt er es für sehr vernünftig, seinen Vater mit einem persönlichen ›Notrufmelder‹ auszustatten. Gunnar hatte diese Segnung des Kommunikationszeitalters bisher selten benutzt.
Doch nun fühlte er sich einsamer, als er je bei einer Panne auf den unendlichen schwedischen Straßen durch menschenlose Waldgebiete hätte sein können und fand, das sei genau der richtige Moment, das Ding zu testen.
Er griff ins Handschuhfach und wählte mit zitternden Fingern die Notrufnummer.
Als sich die sachliche, kompetente Stimme am anderen Ende meldete, fiel ihm ein Stein vom Herzen. Wirr, aber ruhig und geduldig von der fremden Stimme geleitet, berichtete er von seinem grausigen Fund. Es gelang ihm auch nach einiger Überlegung, sich auf seinen Nachnamen zu besinnen und sich an den Weg zu seinem Häuschen zu erinnern. Er möge dort bleiben und nichts berühren oder gar verändern, beschied ihm sein gesichtsloser Partner mit der angenehmen Stimme, die Polizei würde schnell eintreffen. Dann legte er auf.
Gunnar war wieder allein.
»Nichts berühren!«, zischte er sarkastisch. »Ich habe nur gerade das ganze Haus geputzt. Das wird der Polizei nicht so recht gefallen!« Er überlegte, was nun am besten zu tun sei.
Die Frau konnte doch nicht einfach von einer der Familien vergessen worden sein, wie damals die kleine Katze. Man würde doch wohl bei der Abreise bemerken, dass eine Person fehlte!
Unfall? Nein, das war doch sehr unwahrscheinlich! Alte Damen spielten nicht unbekleidet Verstecken auf Dachböden und gerieten dabei versehentlich in eine alte Truhe, um dort den Tod zu finden.
Nein, Gunnar schüttelte den Kopf, das schied mit Sicherheit aus.
Suizid vielleicht? Nein, das kam auch nicht in Frage. Er hatte schon viel über Suizidversuche in Ingas Frauenzeitschriften gelesen – aber sich in eine Truhe legen und zwischen Decken und Kissen abwarten, bis man entweder erstickte oder verdurstete? Nein. Wie hätte sie auch selbst den Riegel sichern können? Nein, das schied aus! Dann also musste wohl doch jemand die Tote mit Absicht in die alte Truhe gelegt haben! Gunnar fröstelte und rieb sich die Oberarme.
Kannte er die Frau?
Er kam immerhin alle vierzehn Tage zum Mähen vorbei. Bei der Gelegenheit konnte er sie getroffen haben! Vielleicht hatten sie sich unterhalten? Gunnar konnte gut Englisch und die Touristen meist auch. In dieser Saison war es häufig zu persönlichen Gesprächen mit den Feriengästen gekommen. Sie nutzten das schöne Wetter um sich zu sonnen oder mit den Kindern im Garten zu toben. Gut möglich, dass er mit ihr über das Wetter gesprochen hatte oder das schwedische Gesundheitssystem, über das er sich oft maßlos ärgerte. Und dabei hatten sie beide nicht geahnt, dass sie schon bald sterben würde. Gunnar versuchte diesen unangenehmen Gedanken abzuschütteln, aber manchmal erweisen sich gerade die unangenehmen als besonders klebrig. Wie eine Fliege an einem Fliegenband blieb er in seinem Kopf hängen und summte dort herum. Erschöpft lehnte er sich an die Nackenstütze und schloss die Augen.
Die Haut der Toten hatte eine eigenartig ungesunde Färbung gehabt und spannte sich pergamentartig über den Schädelknochen, kehrten seine Gedanken wieder zu seinem Fund zurück. Ihre Augen waren trübe und milchig. Vielleicht, dachte Hilmarström, waren sie früher blau, aber das konnte er nicht mit Sicherheit sagen. Wieder wurde ihm schlecht, er glaubte den süßlich-fauligen Gestank der Verwesung selbst hier in seinem Auto wahrnehmen zu können. Weil er fürchtete, sich wieder übergeben zu müssen, hielt er den Atem an, beugte sich weit aus dem Auto und zählte langsam bis zwanzig. Als er merkte, dass er sich wieder unter Kontrolle hatte, lehnte er sich ächzend zurück. Der Mund der Leiche war geöffnet gewesen und Gunnar hatte bemerkt, dass einige Zähne fehlten. Er überlegte, ob sie wohl vor ihrem Tod noch alle Zähne gehabt hatte und die Lücken erst danach entstanden waren – oder hatte sie vielleicht eine Prothese getragen?
Durch die nach dem Tod eingetretenen Veränderungen, war es ihm nicht möglich gewesen zu erkennen, wie alt die Frau geworden war. Gunnar konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie das Gesicht ausgesehen haben mochte, als es noch von Leben, Lachen, Zorn und Freude erfüllt war. Die Verwesung hatte dazu geführt, dass der gesamte Körper aufgedunsen wirkte. An einzelnen Stellen hatte sich das Gewebe von den Knochen gelöst, hing in Fetzen herunter. Eine schleimig wirkende Schicht überzog weite Bereiche des Leichnams, um die Mitte herum war er gallertartig verändert. Die Hände hatten auf ihn dagegen einen eingetrockneten Eindruck gemacht, doch jetzt war er sich nicht mehr sicher, ob das wirklich stimmte. Ich hätte mir vielleicht die Hände genauer ansehen sollen, dachte Gunnar, an den Händen konnte man einen Menschen auch ganz gut erkennen. Doch er wusste, СКАЧАТЬ