Название: Ferienhaus für eine Leiche
Автор: Franziska Steinhauer
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Mord und Nachschlag
isbn: 9783941895676
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Ein Streifenwagen setzte ihn zu Hause ab. Den schwarzen Volvo fuhr Jan und parkte ihn vor der Haustür der Hilmarströms.
»Eine Leiche in der Truhe auf unserem Dachboden! So eine Unverschämtheit!« Inga war zutiefst entrüstet. Gunnar, dem es nicht entgangen war, dass sie plötzlich von ›unserem Dachboden‹ gesprochen hatte, schmunzelte zaghaft. Bald würde sie von diesem Fund all ihren Freundinnen berichten und da wäre es doch zu schade, wenn es ›nur‹ Gunnars Dachboden wäre! Sie wollte persönlich in diese Geschichte verwickelt werden! Er seufzte leise. Typisch Inga! Jetzt war es auch ›ihre‹ Leiche!
»Und«, fragte sie ihren Mann, »hast du die Frau denn erkannt? Wer war sie denn?«
»Nun mal langsam, Inga!«, stoppte Jan ihren Redefluss, »sei ein bisschen vorsichtig mit deinem Mann. Es hat ihm ziemlich zugesetzt. Vielleicht solltest du ihm erst einmal einen schönen heißen Tee kochen!« Er bugsierte den bleichen Herrn des Hauses zu einem großen weichen Sessel und ließ ihn sachte hinein gleiten.
»Meine Güte! Du bist ja wirklich ganz weiß!«, stellte Inga missbilligend fest und stopfte ihrem Mann theatralisch ein Kissen in den Rücken. »Dann werde ich mal schnell Tee machen. Jan, trinkst du auch eine Tasse mit?«, fragte sie den jungen Mann, der etwas unschlüssig neben dem Sessel stehen geblieben war. »Ja. Danke«, antwortete Jan artig und nahm auf dem altmodischen weichen Sofa Platz. Über ihm an der Wand hing ein monströses Ölgemälde, das eine Schiffskatastrophe zeigte. Wackere Seemänner mit Südwester und Ölzeug kämpften mit Fluten und Sturm, die Takelage des Dreimasters war gerissen, einige Segel zerfetzt.
Gunnar lächelte Jan gequält an. Ihm war noch immer übel und wenn er jetzt das Bild über Jans Kopf betrachtete, hatte er das Gefühl, in den aufpeitschenden Wellen hin und her geworfen zu werden. Fast glaubte er schon, die Stimmen der Männer hören zu können, die dort um ihr Überleben kämpften. »Mensch, Gunnar. Jetzt fängst du wirklich langsam an zu spinnen!«, ermahnte er sich flüsternd.
Gerade noch rechtzeitig erreichte er das Bad.
Als er mit einer trockenen, warmen Jacke, weichen Knien und schalem Geschmack im Mund wieder ins Wohnzimmer zurück wankte, hatte Inga schon das Tablett mit der bauchigen Kanne und drei Tassen auf den Tisch gestellt. Schwankend erreichte er seinen Sessel, der ihm wie ein Schutzschild vorkam und ließ sich aufatmend hinein fallen. Vielleicht war es seinem Großvater ja auch immer so gegangen, und er hatte seinen Sessel mit seinen ausladenden Armlehnen und den breiten Ohren deshalb so sehr geliebt. Jan hielt ihm eine Tasse mit heißem Tee hin und er nahm sie in beide Hände, um sich seine eisigen Finger daran zu wärmen. Prüfend sah der junge Polizist Gunnar an und meinte dann: »Inga, wo steht denn der Schnaps? Ich glaube, dein Mann braucht seinen Tee heute etwas stärker.« Gunnar Hilmarström warf dem jungen Mann einen dankbaren Blick zu und Inga erhob sich zu seinem maßlosen Erstaunen ohne bissigen Kommentar, um die Flasche aus dem Wandschrank zu holen.
»Jan hat gerade gefragt, ob eigentlich unsere eigene Verwandtschaft komplett ist!«, kicherte sie dabei albern. »Er wollte wissen, ob wir irgendwelche ›Abgänge‹ zu verzeichnen hätten. Abgänge! Was für eine Wortwahl! So kann man das doch wohl wirklich nicht nennen!« Sie schüttelte amüsiert und zugleich missbilligend den Kopf. »Ausdrücke habt ihr jungen Leute!«
»Und, haben wir?«, fragte Gunnar mit unsicherer Stimme.
»Was?«
»Na, ›Abgänge‹ zu verzeichnen?« Es entstand eine kleine Pause.
Jan hob seinen Blick wieder aus der Teetasse und sah Inga interessiert an.
»Hm. Da wäre natürlich meine Tante. Sie ist vor ein paar Monaten gestorben. Ganz überraschend. Sie hat sich bei einer Seereise, die ihr Jörgen, ihr Sohn, zu Weihnachten geschenkt hatte, über die Reling ins Meer gestürzt. Man weiß das aber nicht so genau – es gab keine Zeugen und ihre Leiche wurde auch nie gefunden. Aber der Totenschein wurde dennoch schnell ausgestellt.«
»Gott sei Dank! Sonst hätte dein armer Cousin wohl gar noch auf sein Erbe warten müssen!«, murmelte Gunnar grantig.
Lundquist seufzte, als er am nächsten Morgen zum dritten Mal die Liste der Sommermieter in Gunnars Häuschen durchging. Zwei schwedische, drei dänische Familien, eine deutsche, eine britische und sogar eine italienische Familie hatten in der vergangenen Saison in Hilmarströms Ferienhaus gewohnt.
»Da kommt ganz schön Bein- und Fahrarbeit auf uns zu, was? Wir müssen mit den Kollegen in Italien, Dänemark, Deutschland und Großbritannien Kontakt aufnehmen.« Lars Knyst klang unzufrieden. »Das gibt immer Schwierigkeiten«, setzte er hinzu.
»Bernt spricht gerade mit den Kollegen im Ausland. Wir wissen auch schon, dass die Familie aus Uppsala noch immer oder schon wieder unterwegs ist. Wir haben bei ihnen angerufen und einen Nachbarn erreicht, der die Blumen gießt und die Katzen füttert. Er erwartet die Familie erst Ende des Monats zurück«, versuchte Lundquist die Lustlosigkeit seines Freundes etwas aufzufangen. »Björn ist zu den Hilmarströms gefahren und nimmt das Protokoll auf.«
Er mochte diese erste Ermittlungsphase nicht.
Zu wenig Informationen, um Theorien zu entwickeln, Motive aufzudecken, Schlüsse zu ziehen. Der Anfang war meist langweilige Routine: Überprüfungen, Berichte, die noch ausstanden, Informationen, die nicht zusammenpassen wollten, kein roter Faden … Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und presste mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand die Nasenwurzel fest zusammen.
»Kopfschmerzen?«
»Nicht so schlimm«, Lundquist schlug die Akte auf und meinte: »Diese Familie Pattersson aus Stenungssund ist ja schon seit einiger Zeit wieder aus dem Urlaub zurück. Wenn wir nach dem Abstecher zu Dr. Mohl losfahren, könnten wir bis Mittag bei ihnen sein.«
»Gut. Ich sage nur den anderen Bescheid.« Knyst sprang auf.
»Fangen wir also mit der Rechtsmedizin an. Der Bericht aus der Pathologie ist vielleicht auch bis heute Nachmittag fertig – dann haben wir wenigstens einige Informationen, mit denen wir arbeiten können.« Sven Lundquist streckte sich. Knyst beobachtete ihn, als er langsam an das große Fenster ihres Büros trat und nachdenklich, fast melancholisch auf die Straße hinaus blickte.
Sie waren erst vor einigen Wochen in diese renovierten Büros umgezogen und genossen den Blick auf andere Häuser und Menschen, weil es ihnen das Gefühl gab, von Leben umgeben zu sein; selbst ein Bestandteil dieses Lebens zu sein.
In den Räumen, in die sie während der Renovierungsaktion wegen eines Wasserschadens ausweichen mussten, hatte es nur winzig kleine Fenster gegeben, durch die man auf einen finsteren Innenhof sehen konnte, dessen andere Begrenzungsmauern fensterlos waren. Schon im Sommer lagen die Räume sicher in permanentem Dämmerlicht. Besonders schlimm wurde es im Winter, als sie die Zimmer benutzten. Ständig waren sie von einer Art Polarnacht umgeben. Ohne künstliches Licht konnte man dort an keinem Tag des Jahres arbeiten.
In diese frisch СКАЧАТЬ