Название: Red House
Автор: Andreas Bahlmann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783862870752
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Wer das Stahlbad Blockflöte überdauert und untraumatisiert gemeistert hat, darf sich berechtigte Hoffnung auf ein erfülltes musikalisches Leben machen.
Dass meine Hände für die Gitarre zu klein, fürs Klavier aber groß genug waren, lag wohl einerseits am gesellschaftlichen Status, den das Klavier als Instrument in den Sechzigern darstellte und wohl auch noch heute darstellt und andererseits an der damaligen verstaubten, altmodischen und knochenkonservativen Leitung der städtischen Musikschule.
Es ist bis heute erstaunlich, in wie vielen Wohnungen und Häusern irgendwo ein altes Klavier oder ein edler Flügel herumstehen, oft nur dekorativ und ungeliebt, weil niemand eines dieser Instrumente spielt. Man muss Musikinstrumente spielen, sonst leiden sie.
Ich mochte das Klavier als Instrument nie besonders gerne, zumindest war es nie eine Beziehung, die auf gegenseitiger Liebe basierte und die auch nur einen Anflug von aufkeimender Leidenschaft zuließ. Vielmehr ertrug ich den Klavierunterricht und auch die Konzerte, die ich von Zeit zu Zeit bei bestimmten Anlässen, mich dem geballten Druck der Eltern und der Musikschule ergebend, auf dem Klavier spielen oder vortragen musste.
Das hatte auch sein Gutes, denn ich betrat völlig immer unaufgeregt eine Bühne und spielte mein Konzert oder Vortragsstück runter. Einfach so. Danach stand ich auf, verbeugte mich und verließ unter donnerndem, ja tosenden Applaus die Bühne. Einfach so. Ich freute mich, dass es vorbei war. Der Applaus war nach dem Klavier-Vorspielen immer das Beste, bedeutete es doch für mich das von Anfang an angestrebte Konzert-Ende.
Der Klavierunterricht war im Nachhinein betrachtet eine siebenjährige Durchgangsstation, geprägt und genährt von der Hoffnung auf Gitarren-Unterricht, aber einer ganz guten Gehörschulung.
»Wenn du drei Lieder auswendig auf dem Klavier spielen kannst, bekommst du von uns und Opa eine Uhr geschenkt!« – Da war sie: Meine erste Gage! Eigentlich war's ja eher eine miese Bestechung, aber ich bekam Geld für eine musikalische Gegenleistung, wobei die Bandbreite der musikalischen Gegenleistung in meinem weiteren Leben deutlich reduziert wurde, was aber nicht an der Unkenntnis vieler Songs und Liedern liegt, als mehr an der für mich manchmal unerträglichen musikalischen Qualität … Ich kann das beurteilen und kann mitreden, denn ich habe später auch Musik gespielt, die ich nicht mal vom Weghören aus dem Radio kannte, geschweige denn die dafür einschlägig bekannten Radiosender jemals hörte. Ich habe mit dieser Musik so viel Geld verdient, aber es war immer ein »Hand-aufmachen« und »Ohren-zumachen«, was nie absolut gelang, da ich mit einigen dieser fiesen Melodien im Kopf nicht nur einschlief, sondern auch noch damit aufwachte und dann hartnäckig-treu durch den ganzen nächsten Tag begleitet wurde. Musste ich abends noch so eine Aushilfe spielen, wurde das ganze musikalisch »recycled«. Das ist die andere Seite eines Musikers, man ist auch bis zu einem gewissen Grade käuflich, sozusagen eine musikalische Hure … Zum Vorspielen auf der Blockflöte wurde ich hingegen nie aufgefordert, von einer ausgelobten Prämie für eine Unterrichts-Verlängerung ganz zu schweigen …
Aber die erste ausgelobte Gage stand: Ich übte also, bis ich die ersten drei – natürlich einstrophigen, sehr kurzen Lieder – auswendig auf dem Klavier spielen konnte. Nicht, dass es mir besonders Spaß machte, aber ich wollte unbedingt die Uhr haben. Daran war aber auch noch die Bedingung geknüpft, dass ich für zunächst drei weitere Jahre beim Klavierunterricht bleibe. Drei Jahre! Eine endlose Zeit und ich hoffte so sehr auf das Wachsen meiner angeblich zu kleinen Hände und entwickelte später eine Faszination für Knastfilme …Gefangenschaft verbindet eben …
Mein damaliger Klavierlehrer, Herr Mylla, war ein strenger, humorloser, kinderloser, verkniffener, kettenrauchender Mann. Er zündete sich immer mit einer bis zum Filter heruntergerauchten Zigarette die nächste an.
Strenge war in den Sechzigern oft ein pädagogischer Gradmesser für die Eltern, um zu beurteilen, ob der Lehrer denn auch gut war. Je strenger, desto besser und Herr Mylla nahm da einen unangefochtenen Podestplatz ein.
Der Klavierunterricht fand in einem Klassenraum meiner Volksschule statt. Wenn es kalt war, waren die Fenster geschlossen und die Luft im Klassenzimmer verqualmt. War es draußen warm und regenfrei, war ein Fensterflügel geöffnet und die Luft drinnen etwas erträglicher.
Im Grunde genommen hat mich diese verrauchte Luft aber gar nicht so sehr gestört, ich kannte es sowieso nicht anders, da es für mich als Kind in den Sechzigern wie selbstverständlich zur Welt der Erwachsenen dazugehörte, dass alle rauchten.
Bei Familientreffen, Weihnachtsfeiern, Kindstaufen, Beerdigungen, bei uns zu Hause, im Auto, morgens in der Küche, selbst beim Blick in die Baby-Wiege oder den Kinderwagen, immer und überall wurde geraucht. Das Rauchen gehörte für mich zum Erwachsenwerden und Erwachsensein unverknüpfbar dazu.
Man braucht sich nur Filme aus der Zeit anzuschauen, alle rauchen und andererseits sieht man aber auch nie Aschenbecher. Haben die in den Filmen immer auf den Boden oder auf die teuren Teppiche abgeascht?
Wenn Herr Mylla dann nach dem Anzünden der neuen die abgerauchte Zigarette ausmachte, drückte er sie entweder in eine leere Zigarettenschachtel oder er stellte die Zigarettenstummel, mit dem Filter nach unten, feinsäuberlich aufgereiht auf die Fensterbank neben dem Klavier. Ich habe diese Stummel nie gezählt, aber geraucht hat Herr Mylla bestimmt achtzig bis hundert Zigaretten am Tag.
»Wow!«, dachte ich damals wohl leicht bewundernd, – »ein echter Mann!«
Einige Jahre später sollte auch mein jüngerer Bruder Klavierunterricht bekommen. Er wollte nicht und sperrte sich laut weinend gegen den Weg zur Volksschule, aber es gab keinen Weg drum herum.
»Du kommst jetzt mit!« – schließlich musste ich ja auch gegen meinen Willen Klavier spielen.
Gerade deshalb gab‘s für mich keinen Grund, warum ihm dieser Horror erspart bleiben sollte. Begriffe wie »Gnade« oder »Mitleid« blendete mein brüderlicher Gerechtigkeits-Sinn völlig aus. Also brachte ich meinen heulenden, kleinen Bruder zu seiner ersten Klavierstunde. Eigentlich zerrte ich ihn mehr an der Hand dahin und überwachte genau, dass er in den Unterricht reinging.
Er hatte keine Chance zur Flucht. Er ergab sich schluchzend seinem Schicksal und betrat verängstigt den Raum zu seiner ersten Klavierstunde.
Mein anderer Bruder, der Mittlere, lernte inzwischen Akkordeon und eine weitere Fortsetzung des Unterrichts blieb ihm irgendwann, ich glaube nach drei Jahren und einem größeren Akkordeon, mit mehr Bässen, erspart. Diese Entwicklung zeichnete sich eigentlich ganz geschmeidig und stillschweigend ab, nach seinen mehrmaligen, hochkonzentriert und konsequent durchgezogenen musikalischen Vorträgen, anlässlich verschiedener Anlässe. Ich kann mich bei meinem Bruder eigentlich nur an den »Schneewalzer« erinnern, alle drei Strophen des »Schneewalzers« … nur die Melodie – ohne Gesang …, außer beim Refrain, da sangen alle lauthals mit: »… ja den Schnee-, Schnee-, Schnee-, Schnee … Walzer tanzen wir …!« Als der Refrain durch war, dachten alle, mein Bruder war fertig, aber dann kam die zweite Strophe …mein Bruder war erst dabei, so richtig warmzulaufen … »… ja den Schnee-, Schnee-, Schnee-, Schnee … Walzer tanzen wir …« Nach dem zweiten Durchlauf waren alle Zuhörer und Mitsinger am Klatschen, aber dann gab es ja noch die dritte Strophe …Komischerweise hat mein Bruder den Schneewalzer, obwohl er ihn so oft vortrug, nie auswendig gespielt, sondern immer mit großen Augen die Noten runtergespielt … und immer alle drei Strophen … Bei wem mein mittlerer Bruder Akkordeonunterricht hatte, weiß ich nicht, die damalige Klavierlehrerin СКАЧАТЬ