In der Sommerfrische. Anton Tschechow
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Название: In der Sommerfrische

Автор: Anton Tschechow

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Klassiker der Weltliteratur

isbn: 9783843804660

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СКАЧАТЬ Semjonowna hat zum Beispiel einen Koffer mit Kleidern. Dieser Koffer gehört ihr, und wir, d. h. ich und du, haben nicht das Recht, diesen Koffer anzurühren, denn er gehört nicht uns. Das stimmt doch? Du hast deine Pferdchen und Bildchen … Ich nehme sie doch nicht? Vielleicht möchte ich sie auch nehmen, aber sie gehören nicht mir, sondern dir!«

      »Nimm sie, wenn du willst!«, sagte Serjoscha, die Brauen hebend. »Bitte, Papa, genier’ dich nicht, nimm! Das gelbe Hündchen auf deinem Tisch gehört ja auch mir, und doch sage ich nichts … soll es nur hier stehen!«

      »Du verstehst mich nicht«, versetzte Bykowskij. »Das Hündchen hast du mir geschenkt, es gehört jetzt mir, und ich darf damit alles tun, was ich will; den Tabak habe ich dir aber nicht geschenkt! Der Tabak gehört mir! (– Ich erkläre es ihm ganz falsch! – dachte sich der Staatsanwalt. – Es ist nicht das Richtige! –) Wenn ich fremden Tabak rauchen will, so muss ich vor allen Dingen um Erlaubnis bitten …« Bykowskij begann, träge einen Satz an den andern hängend und sich der Kindersprache anpassend, seinem Sohne zu erklären, was Eigentum bedeutet. Serjoscha starrte ihm auf die Brust und hörte aufmerksam zu (er liebte es, sich in den Abendstunden mit dem Vater zu unterhalten); dann lehnte er sich gegen den Tisch und fing an, seine kurzsichtigen Augen zusammenkneifend, die Papiere und das Tintenfass zu betrachten. Sein Blick schweifte über den Tisch und blieb am Fläschchen Gummiarabikum hängen.

      »Papa, woraus macht man Leim?«, fragte er plötzlich, das Fläschchen zu seinen Augen hebend.

      Bykowskij nahm ihm das Fläschchen aus der Hand, stellte es auf seinen Platz und fuhr fort:

      »Zweitens rauchst du … Das ist sehr schlimm! Wenn ich rauche, so folgt daraus noch nicht, dass man rauchen darf. Ich rauche und weiß dabei, dass es nicht gut ist, ich mache mir deswegen Vorwürfe und liebe mich nicht … (– Ein guter Pädagog bin ich! – dachte sich der Staatsanwalt.) Der Tabak ist für die Gesundheit sehr schädlich, und jeder, der raucht, stirbt früher, als er sonst hätte sterben sollen. Besonders schädlich ist es aber für so kleine Kinder wie du. Du hast eine schwache Brust und bist noch nicht kräftig genug; bei schwachen Menschen ruft aber der Tabakrauch Schwindsucht und andere Krankheiten hervor. So ist auch Onkel Ignatij an der Schwindsucht gestorben. Hätte er nicht geraucht, so wäre er vielleicht auch heute noch am Leben.«

      Serjoscha sah nachdenklich auf die Lampe, berührte mit den Fingern den Lampenschirm und seufzte.

      »Onkel Ignatij spielte gut Geige!«, sagte er. »Seine Geige ist jetzt bei den Grigorjews!«

      Serjoscha lehnte sich wieder gegen den Tischrand und wurde nachdenklich. Auf seinem blassen Gesicht war ein Ausdruck erstarrt, als lausche er oder verfolge die Entwicklung seiner eigenen Gedanken; Trauer und etwas wie Schreck zeigten sich in seinen großen, unbeweglichen Augen. Wahrscheinlich dachte er jetzt an den Tod, der vor so kurzer Zeit seine Mutter und den Onkel Ignatij geholt hatte. Der Tod bringt die Mutter und die Onkels ins Jenseits, ihre Kinder und Geigen bleiben aber auf der Erde zurück. Die Toten wohnen im Himmel, irgendwo bei den Sternen und blicken von dort auf die Erde herab. Ob sie die Trennung ertragen können?

      – Was soll ich ihm sagen? – dachte sich Jewgenij Petrowitsch. – Er hört mir gar nicht zu. Offenbar hält er weder seine Vergehen, noch meine Gründe für wichtig. Wie soll ich es ihm klar machen? –

      Der Staatsanwalt erhob sich und fing an, auf- und abzugehen.

      – Früher, zu meiner Zeit, wurden solche Fragen höchst einfach gelöst, – dachte er sich. – Jeder Junge, den man beim Rauchen erwischte, bekam seine Tracht Prügel. Die Kleinmütigen und Feigen gaben dann das Rauchen wirklich auf, die Klügeren und Tapferen fingen aber nach der Strafe an, den Tabak im Stiefelschaft zu verwahren und in der Scheune zu rauchen. Und wenn man so einen in der Scheune erwischte und wieder bestrafte, so rauchte er von nun an am Fluss … und so ging es, bis der Junge heranwuchs. Meine Mutter beschenkte mich, um mich vom Rauchen abzuhalten, mit Geld und Süßigkeiten. Heute erscheinen aber alle diese Mittel als nichtig und unmoralisch. Der moderne Pädagoge stellt sich auf den Boden der Logik und bemüht sich, dass das Kind sich die guten Prinzipien nicht aus Angst, nicht aus dem Bestreben, sich auszuzeichnen oder belohnt zu werden, sondern bewusst zu eigen mache. –

      Während er auf- und abging und dachte, war Serjoscha mit den Beinen auf den Stuhl gestiegen und hatte zu zeichnen angefangen. Damit er die Geschäftspapiere nicht beschmiere und das Tintenfass nicht anrühre, lagen für ihn ein Stoß eigens für ihn zurechtgeschnittenes Papier und ein Blaustift bereit.

      »Die Köchin hackte heute Kraut und schnitt sich dabei in den Finger«, sagte er, ein Häuschen zeichnend und die Brauen bewegend. »Sie schrie dabei so, dass wir alle erschraken und in die Küche liefen. Wie dumm sie ist! Natalja Semjonowna sagt ihr, dass sie den Finger in kaltes Wasser stecken soll, aber sie nimmt ihn in den Mund und saugt … Wie kann man nur den schmutzigen Finger in den Mund nehmen! Papa, das ist doch unanständig!«

      Dann erzählte er, dass während des Mittagessens ein Leierkastenmann mit einem kleinen Mädchen in den Hof gekommen war und das Mädchen zu seiner Musik gesungen und getanzt hatte.

      – Er hat seine eigenen Gedankengänge! – sagte sich der Staatsanwalt. – In seinem kleinen Kopf ist eine eigene Welt, und er hat seine eigene Anschauung darüber, was wichtig und was unwichtig ist. Um seine Aufmerksamkeit und sein Bewusstsein zu fesseln, genügt es noch nicht, seine kindliche Sprache nachzuahmen; man muss auch auf seine Weise zu denken verstehen. Er verstünde mich sehr gut, wenn der Tabak mir wirklich leid täte, wenn ich mich gekränkt fühlte und weinte. Darum sind auch die Mütter als Erzieherinnen so unersetzlich, weil sie es verstehen, mit den Kindern zu fühlen, zu weinen, zu lachen … Mit der Logik und der Moral kann man aber nichts ausrichten. Was soll ich ihm noch sagen? Was? –

      Jewgenij Petrowitsch erschien es sonderbar und komisch, dass er, der gewiegte Jurist, der sich sein halbes Leben lang in allerlei Vorbeugungs- und Strafmaßregeln geübt hatte, auf einmal ratlos war und nicht wusste, was diesem Jungen zu sagen.

      »Hör’ mal, gib mir dein Ehrenwort, dass du nicht mehr rauchen wirst«, sagte er.

      »Mein Ehrenwort!«, sang Serjoscha, stark auf den Blaustift drückend und sich über die Zeichnung beugend. »Mein E – eh – renwo – ort! Ja! Ja!«

      – Weiß er denn auch, was das Ehrenwort bedeutet? – fragte sich Bykowskij. – Nein, ich bin ein schlechter Lehrer! Wenn jetzt irgendein Pädagoge oder Jurist in meinen Kopf hineinblickte, so würde er mich einen Waschlappen nennen und mir übermäßiges Klügeln vorwerfen … Aber in der Schule und vor Gericht werden alle diese verdammten Fragen viel einfacher gelöst als zu Hause: zu Hause hat man es mit Menschen zu tun, die man wahnsinnig liebt, die Liebe ist aber anspruchsvoll und macht die Sache kompliziert. Wäre dieser Junge nicht mein Sohn, sondern mein Schüler oder Angeklagter, so wäre ich nicht so feig und hielte meine Gedanken zusammen! … –

      Jewgenij Petrowitsch setzte sich wieder vor den Tisch und nahm eine der Zeichnungen Serjoschas in die Hand. Die Zeichnung stellte ein Haus mit schiefem Dach und mit Rauch dar, der aus den Schornsteinen im Zickzack wie ein Blitz bis an den Rand des Blattes ging; neben dem Hause stand ein Soldat mit Punkten statt Augen und einem Bajonett, das an die Zahl 4 erinnerte.

      »Der Mann kann doch nicht größer sein als das Haus«, sagte der Staatsanwalt. »Schau nur: dein Dach reicht dem Soldaten gerade bis an die Schulter.«

      Serjoscha kletterte ihm wieder auf den Schoß und rückte lange hin und her, bis er endlich eine bequeme Lage fand.

      »Nein, Papa!«, sagte er, nachdem er seine Zeichnung betrachtet. »Wenn du den Soldaten klein zeichnest, wird man seine Augen nicht sehen können.«

      Sollte СКАЧАТЬ