Название: Wachtmeister Studer
Автор: Friedrich Glauser
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783843800075
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Die letzten Worte waren sehr stockend herausgekommen.
»Was ist’s mit dem Onkel Aeschbacher?« fragte Studer.
Schweigen …
»Und doch bist du ihn holen gegangen, wie du mich hast zur Frau Hofmann gehen sehen?«
Viel Qual drückte das Gesicht aus. Studer hatte Mitleid. Er wollte nicht weiter fragen. Nur eines noch:
»Wer ist der Lehrer Schwomm?«
Sonja wurde rot, holte Atem, wollte sprechen, die Stimme versagte, sie hustete, suchte nach einem Taschentuch, wischte sich die Augen mit dem Handrücken, stotterte dann:
»Er ist an der Sekundarschule, er ist Gemeindeschreiber, auch Sektionschef, und den gemischten Chor leitet er auch …
»Dann hat er viel mit dem Gemeindepräsidenten zu tun? Mit dem ›Onkel‹ Aeschbacher?«
Sonja nickte.
»Leb wohl.« Studer streckte ihr die Hand hin. »Und wein’ nicht. Es kommt schon besser.«
»Lebet wohl, Wachtmeister«, sagte Sonja und streckte ihre kleine Hand aus. Die Nägel waren sauber.
Sie stand nicht auf und ließ Studer allein hinausgehen. Im Hausgang blieb Studer stehen und suchte nach seinem Schnupftuch, fand es nicht, erinnerte sich, dass er es in der Küche gebraucht hatte, kehrte an der Haustüre um und betrat, ohne anzuklopfen, die Küche.
Sie war leer. Die Tür zum andern Zimmer war offen … Vor dem schweren schwarzen Büffet stand Sonja. Sie hielt die Vase mit den Wachsrosen und dem künstlichen Herbstlaub in der Hand und schien das Gewicht der Vase zu prüfen. Ihre Augen waren auf das Bild des Vaters gerichtet.
Auf dem Boden neben dem Küchentisch lag Studers Nastuch.
Studer ging leise zum Tisch, hob es auf, schlich zur Türe zurück:
»Gut’ Nacht, Meitschi«, sagte er.
Sonja fuhr herum, stellte die Vase ab. Sie riss sich zusammen:
»Gut’ Nacht, Wachtmeister …«
Merkwürdig, ihr Blick erinnerte Studer an den des Burschen Schlumpf: Erstaunen lag darin und viel verstockte Verzweiflung.
Der Fall Wendelin Witschi zum Zweiten
Nehmet Platz, Studer«, sagte Frau Murmann. Auf dem Tisch stand eine große Platte mit Aufschnitt und Schinken, es gab Salat, und an der einen Tischecke, dicht neben Murmanns Platz, standen vier Flaschen Bier.
»Und, Studer, ziehet den Kittel ab«, meinte Frau Murmann noch. Dann empfahl sie sich. Sie müsse das Kind stillen, sagte sie.
– Ob Studer etwas gefunden habe, fragte Murmann, ohne aufzublicken. Er war damit beschäftigt, ein Büschel Salatblätter auf seine Gabel zu spießen. Dann kaute er, andächtig und abwesend.
»Ich hab’ den Cottereau gefunden …«, sagte Studer und beäugte prüfend ein Stück saftigen Schinkens.
»So, so«, meinte Murmann. »Allerhand …« Er leerte sein Bierglas auf einen Zug. Dann schwiegen die beiden.
In einer Ecke des Zimmers stand ein bunter Bauernschrank, dessen Türen Rosengirlanden umrankten …
Murmann trug die Teller hinaus. Dann setzte er sich, zündete seine Pfeife an. »Also, erzähl! …«
Aber Studer schwieg. Er griff in die hintere Hosentasche, zog die bei Frau Hofmann gefundene Pistole heraus und legte sie auf den Tisch. Dann suchte er in der Rocktasche, ließ die bei Witschis gefundene Patronenhülse im Licht der Lampe glänzen und fragte schließlich:
»Gehören die beiden zusammen?«
Murmann vertiefte sich in die Untersuchung. Er nickte ein paarmal …
»Das Kaliber ist das gleiche«, sagte er still. »Ob die Hülse von der Waffe da abgeschossen worden ist, kann ich nicht so ohne weiteres sagen. Es sind heikle Sachen. Man müsste den Einschlag prüfen … Wo hast du die Hülse gefunden?«
»In einer Vase auf dem Klavier im Wohnzimmer der Witschis. Es waren fünfzehn Hülsen in der Vase. Es hat so ausgesehen, als ob einer eifrig die Pistole probiert hätte …«
»Ja?« sagte Murmann.
»Die Sonja fürchtet sich … Ganz sicher vor mindestens vier Leuten: vor dem Coiffeurgehilfen, dem Lehrer Schwomm, vor ihrem Bruder und vielleicht auch vor dem »Onkel« Aeschbacher.«
»Ja«, sagte Murmann, »das glaub’ ich. Die Sonja meint, dass ihr Vater Selbstmord begangen hat. Aber wenn man Selbstmord annimmt, dann werden keine Versicherungen ausgezahlt. Und der Gerber, der Coiffeur, hat bemerkt, dass bei dem sogenannten Mord nicht alles stimmt. Und nun hat die Sonja Angst, er könne etwas sagen … Verstehst du?«
»Erzähl’ einmal die Geschichte von Anfang an. Ich brauch’ weniger die Tatsachen als die Luft, in der die Leute gelebt haben … Verstehst? So die kleinen Sächeli, auf die niemand achtgibt und die dann eigentlich den ganzen Fall erhellen … Hell! … Soweit das möglich ist, natürlich.«
Von großen Pausen unterbrochen, mit vielen Abschweifungen und ungezählten eingeschalteten ›Nid?‹ und ›Begriifscht?‹ erzählte Landjägerkorporal Murmann dem Wachtmeister Studer etwa folgende Geschichte:
– Der Witschi Wendelin hatte vor zweiundzwanzig Jahren geheiratet. Er war damals bei der Bahn gewesen. Das Ehepaar hatte zuerst eine Wohnung im Haus des Aeschbacher innegehabt, dann war eine Tante der Frau Witschi gestorben, die Erbschaft war ziemlich groß gewesen und da hatten sie sich entschlossen zu bauen …
»Wie heißt übrigens die Frau Witschi mit dem Vornamen? fragte Studer.
»Anastasia … Warum?«
Studer lächelte, schwieg eine Weile, dann sagte er:
»Nur so, erzähl’ weiter …«
– Sie hatten also das Haus gebaut, Kinder waren gekommen, das Ehepaar schien glücklich zu sein. Die Frau war fleißig, sie hielt den Garten in Ordnung, sie bediente im Laden. Am Abend sah man die beiden einträchtig auf einer Bank vor dem Hause sitzen, der Witschi las die Zeitung, die Frau strickte …
– Studer sah das Bild deutlich vor sich. Unter den Fenstern des ersten Stockes glänzte noch, neu und unverblasst, der Name des Hauses, ›Alpenruh‹, und über der Tür der Spruch: ›Grüß Gott, tritt ein, bring Glück herein.‹ Der Wendelin Witschi hockte auf der Bank, mit aufgekrempelten Hemdsärmeln, bisweilen legte er die Zeitung beiseite (er las sicher nur den Gerzensteiner Anzeiger), stand auf, um ein Zweiglein am Spalier anzubinden, das im Wind schaukelte, kam zurück … im Sand krabbelten die beiden Kinder. Die Luft war still. Heugeruch lag schwer in der Luft. Die Frau sagte: ›Du, loos einisch …‹ Sehr viel Frieden. Die Ladenklingel schrillte. Man stand gemütlich auf, ging zusammen in den Laden, besprach mit den Kunden das Wetter, die Politik СКАЧАТЬ