Название: Wachtmeister Studer
Автор: Friedrich Glauser
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783843800075
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Die Frau nickte, ihr Gesicht wurde traurig.
Das sei eine heillose Geschichte, meinte sie. Der Wachtmeister möge doch eintreten, sie sei allein, ihr Mann sei hausieren gegangen, ob der Wachtmeister nicht ein wenig in die Küche kommen wolle, sie habe gerade Kaffee gemacht, er könne auch eine Tasse trinken, wenn er wolle.
Ganz ungeniert.
Auf Kaffee hatte Studer gerade Lust …
Und er bereute es nicht, denn der Kaffee war gut, keine laue Brühe wie im ›Bären‹. Die Küche war klein, weiß, sehr sauber. Nur der Stuhl, auf dem Studer Platz genommen hatte, war ein wenig zu schmal …
Studer begann vorsichtig zu fragen.
– Ob der Schlumpf pünktlich gezahlt habe? – O ja, jeden Monat, am letzten, wenn er Zahltag gehabt hätte, sei er gekommen und habe 25 Franken auf den Tisch gelegt. – Und sei am Abend immer daheim geblieben? – Das erste Jahr schon, aber seit dann sei er am Abend oft spät zurückgekommen. – Aha, meinte Studer, eine Liebschaft?
Frau Hofmann lächelte. Es war ein freundliches, mütterliches Lächeln. Studer freute sich im Stillen über die Frau. Sie nickte.
– Aber das Mädchen sei nie zum Schlumpf ins Zimmer gekommen? – Nie, nein. Solche Sachen wolle sie nicht haben. Nicht dass sie etwas daran finde, aber in einem Dorf! … Der Wachtmeister werde verstehen …
Studer verstand. Es war an ihm zu nicken, und er nickte überzeugt. Er saß da in seiner Lieblingshaltung, die Schenkel gespreizt, die Unterarme auf den Schenkeln und die Hände gefaltet. Sein magerer Kopf war gesenkt.
– Das Mädchen sei auch nie gekommen, um den Schlumpf abzuholen? – Nein … Das heißt, wohl einmal … am Mittwochabend …
»Um welche Zeit?«
»Um halb sieben. Der Schlumpf ist gerade von der Arbeit zurückgekommen, hat sich im Zimmer gewaschen … Er war gerade am Waschen, da ist das Meitschi in den Laden gekommen, ganz blass war sie, aber das hat mich weiter nicht gewundert, weil doch ihr Vater ermordet aufgefunden worden war … Sie hat gesagt, sie müsse den Schlumpf sprechen und ob ich ihn rufen wolle. Er ist dann gekommen, ich hab’ die beiden in der Küche allein gelassen, aber sie haben kaum eine Minute miteinander gesprochen. Dann ist das Meitschi wieder fortgegangen. Und der Schlumpf ist erst nach Mitternacht heimgekommen …«
»Das war am Mittwoch, also am Abend nach der Entdeckung des Mordes, nicht wahr?«
»Ja, Herr Wachtmeister. Ich hab schlecht geschlafen in der Nacht, um vier Uhr hab ich den Schlumpf gehört, wie er auf den Socken die Treppe hinuntergeschlichen ist. Um sieben Uhr ist dann schon der Murmann gekommen und hat den Schlumpf verhaften wollen. Aber da war der Erwin schon fort …«
Der Erwin … Der Name klang zärtlich im Mund der grauen Frau. Zwei Jahre hatte der Erwin also bei den gleichen Leuten gewohnt, er musste sich gut aufgeführt haben, sonst hätten sie ihn wohl nicht so lange behalten …
»Und habt Ihr sein Vorleben gekannt?«
»Ach, Wachtmeister«, sagte Frau Hofmann. »Er hat Unglück gehabt, der Erwin. Mein Vater hat immer gesagt: ›Richtet nicht, auf dass Ihr nicht gerichtet werdet‹. Nein, nein, ich geh’ nicht zu den Stündelern, aber Ihr wisst ja, Wachtmeister, wie es manchmal gehen kann. Der Erwin hat uns in der zweiten Woche alles erzählt, von seinen Einbrüchen und von Thorberg und von der Zwangserziehungsanstalt … Einmal hat ihn seine Mutter besucht … Eine gute Frau … Der Erwin hat viel von seiner Mutter gehalten … Habt Ihr die Mutter gesehen?«
Studer nickte. Er hörte die alte, ruhige Stimme, die fragte: »Aber er darf noch z’Morgen nehmen?«
Über der Küchentür schrillte die Klingel. Es sei wohl jemand im Laden, meinte die Frau, stand auf, füllte vorsorglich Studers Tasse – mit Zucker und Milch solle er sich nur bedienen, meinte sie –, und dann ging sie ihre Kunden bedienen.
Studer trank die Tasse in kleinen Schlücken leer, zog die Uhr: Es war bald sechs. Er hatte noch Zeit.
Er spazierte in der kleinen Küche umher, die Hände auf dem Rücken verschränkt, dachte an nichts und schüttelte nur von Zeit zu Zeit den Kopf, wenn ihn irgendein Gedanke belästigen wollte. Zweimal, dreimal kam er an dem weißen Küchenschaft vorbei, ohne ihn richtig zu sehen, bis er sich, bei einer brüsken Kehrtwendung, schmerzhaft an einer Ecke stieß. Nun betrachtete er erst das Möbel, aufmerksam und missbilligend. Es war ein weißer Küchenschaft, unten breit, mit Holztüren; auf diesem breiten unteren Teil erhob sich ein schmäleres Gestell mit Glasfenstern. Ein Stapel Teller, daneben Tassen und Gläser, einige Bratenschüsseln. Auf dem obersten Brett lagen alte Zeitungen, ordentlich aufgeschichtet und neben ihnen, durcheinander, altes Packpapier. Die Türen waren nur angelehnt. Studer starrte auf den unordentlichen Stoß Packpapier. Und da er sich langweilte, nahm er das Packpapier heraus – er packte es fest mit beiden Händen, damit nicht irgendein kleineres Blatt zu Boden flatterte –, legte den Stoß auf den Tisch und begann es sorgfältig zusammenzulegen.
Als er das fünfte Blatt hochhob (noch später erinnerte er sich an die Farbe dieses Papiers, es war blaues Papier, wie man es zum Einwickeln von Zuckerhüten braucht), sah er etwas Schwarzes liegen.
Studer stützte die Fäuste auf den Tisch und besah mit schiefgeneigtem Kopf das schwarze Ding. Kein Zweifel: eine Browningpistole, Kaliber 6,5, eine zierliche Waffe. Aber was hatte dieser Browning in der Küche der Frau Hofmann zu suchen? Wie war er unter dieses Papier gerutscht? Hatte der Schlumpf … ? Eine böse Geschichte. Wenn der Untersuchungsrichter in Thun von diesem Fund erfuhr …
Studer schwankte. Vielleicht waren Fingerabdrücke auf dem Kolben zu finden, obwohl der Kolben gerippt war und die Abdrücke sicher nicht so klar waren, dass man etwas mit ihnen würde beweisen können …
Wieder schrillte die Klingel über der Küchentür kurz auf. Die Kunden hatten wohl den Laden verlassen. Frau Hofmann würde gleich zurückkommen.
»Ah bah«, sagte Studer laut, nahm das zierliche schwarze Ding – und ganz kurz sah er das Loch, das dies Ding gemacht hatte, die Einschussöffnung drei Finger etwa vom rechten Ohr im Hinterkopf des Wendelin Witschi – dann steckte Studer die Pistole in seine hintere Hosentasche …
Die Küchentür ging auf. Frau Hofmann kam nicht allein zurück. Sonja Witschi begleitete sie.
Er habe ein wenig Ordnung machen wollen zum Dank für den Kaffee, sagte Studer, aber das sei ja nicht mehr nötig. Er nahm den Stoß Packpapier, warf ihn auf das obere Brett des Küchenschaftes und setzte sich wieder. Er schien das Mädchen gar nicht zu beachten.
»Im Dorf wissen sie schon, dass Ihr die Untersuchung führt, Herr Wachtmeister, und da hat die Sonja mit Euch reden wollen«, sagte Frau Hofmann. Und zu dem Mädchen gewandt: – Es solle sich setzen, Kaffee sei noch da …
Studer sah das Mädchen an. Das kleine Gesicht mit der spitzen Nase und den Sommersprossen an den Schläfen war bleich und sah verstört aus. Und immer wichen die Augen Studers Blick aus. Diese Augen blickten furchtsam in der Küche umher, wanderten vom Tisch, auf dem das Packpapier gelegen hatte, zum Schaft, in dem der Stapel nun lag. Die Lippen pressten sich aufeinander.
Am liebsten wäre Studer aufgestanden, hätte dem Mädchen die Haare gestreichelt und es beruhigt, wie man einen zitternden Hund beruhigt. Aber das ging nicht. Vielleicht wusste das Mädchen etwas von der versteckten Pistole? Hatte СКАЧАТЬ