Название: Widerstand gegen den Nationalsozialismus
Автор: Lenelotte Möller
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: marixwissen
isbn: 9783843803809
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Die Taten des Widerstands waren offen, wie z. B. Protestaktionen, Predigten oder publizistische Werke zur Aufklärung im In- und Ausland, offen und gleichzeitig anonym wie Flugblätter, sie geschahen heimlich, wie etwa Sabotageakte, die Rettung von Verfolgten durch Verstecken oder Fluchthilfe, sie reichten von Kurierdiensten zwischen Stellen des Widerstands bis zu Attentaten und Umsturzversuchen. Viele Maßnahmen wurden lange geplant und gründlich organisiert, einige wenige ergaben sich spontan.
Das Risiko für die Träger des Widerstands reichte von persönlichen Nachteilen über den Verlust von Heimat, Freiheit und Gesundheit bis hin zur Lebensgefahr. Widerstand fand weder – wie es die Alliierten lange behaupteten – nur im Exil, noch – wie manche in Deutschland Verbliebenen glauben machen wollten – nur in Deutschland statt.
Schließlich unterschieden sich Akte des Widerstands in ihrer Wirkung. Während es den Kirchen gelang, in einzelnen Bereichen ihre Selbstbestimmung zu wahren und sogar zum Teil die sogenannten Euthanasie-Programme aufzuhalten, während Verfolgte in Deutschland und den besetzten Gebieten manchmal bis Kriegsende und damit endgültig vor dem Zugriff der Nationalsozialisten gerettet werden konnten, erzielten z. B. viele Aufklärungsmaßnahmen in Büchern oder Flugblättern keine messbare Wirkung.
Die Grenze zwischen der Nichterfüllung nationalsozialistischer Erwartungen und echtem Widerstand ist vor dieser unübersichtlichen Lage schwer zu bestimmen. Ian Kershaw gelangt nach einer gründlichen Untersuchung verschiedener Forschungsansätze der letzten Jahrzehnte zu folgenden Kriterien für Widerstand im engeren Sinn: »aktive Beteiligung an organisierten Bemühungen […], die […] auf die Unterminierung des Regimes oder auf Vorkehrungen für den Zeitpunkt seines Zusammenbruchs zielen.«2
Nicht zum Widerstand gehören demnach reine Abwehrversuche gegen nationalsozialistische Vereinnahmung: der Rückzug ins Private, der Versuch, Situationen der Mitwirkung oder des Mitmachens auszuweichen oder z. B. heimlich ausländische Radiosender zu hören, Ungehorsam aus wirtschaftlichen Erwägungen und dergleichen.
Mitwirkung – Anpassung – Widerstand
Widerstand kann nicht ohne den Blick auf Mitwirkung und Anpassung verstanden werden, weshalb diese Verhaltensweisen auch im vorliegenden Buch immer wieder im Kontrast betrachtet werden. Während einige Personen schon 1933 und vorher über Hitler und seine Partei aufklärten und sich andere während der Herrschaft der Nationalsozialisten auf verschiedene Weise dem Regime und seinen Taten widersetzten, gab es eine zu große Zahl von Menschen in Deutschland, die bis – und zum Teil noch lange nach – 1945 nicht bereit war, die Verbrechen der Gewaltherrschaft und des Kriegs in ganz Europa einzugestehen und dafür Verantwortung zu übernehmen. Dies ging bisweilen so weit, dass die Überlebenden und Hinterbliebenen des Widerstands noch lange Zeit von vielen wie in der NS-Zeit selbst als Verräter betrachtet und behandelt wurden.
Im Inland und während des Kriegs auch in den besetzten Staaten hatten die von den Nationalsozialisten geleiteten Behörden freiwillige Unterstützer in der Bevölkerung. Weder die Bespitzelung von Deutschen, noch die – in den europäischen Staaten unterschiedlich durchgreifende – Verhaftung, Deportation und Ermordung von Juden und anderen Verfolgten wären ohne die jeweils einheimischen Denunzianten in diesem Ausmaß nicht möglich gewesen, in dem sie stattfanden.
Grund für die Teilnahme an Verbrechen war bei den Tätern zuerst und vor allem der Wunsch, diese Verbrechen zu begehen, sowie die Ablegung aller Hemmungen, die in der menschlichen Fähigkeit des Mitgefühls liegen oder sonst in den letzten 2500 Jahren in der europäischen Geistesgeschichte entwickelt wurden.
Die Gründe für Passivität oder gar Unterstützung des Systems mögen neben persönlichen Vorteilen, das Einverständnis mit allen oder einigen Zielen des Nationalsozialismus gewesen sein, in Deutschland mag hier und da die Scheu hinzugekommen sein, während eines äußeren Kriegs gegen die eigene staatliche Obrigkeit zu kämpfen. Falsch verstandene Loyalität und bisweilen auch Angst um die eigene Person oder um Angehörige spielten eine Rolle, denn auch wenn das Risiko der möglichen Strafen nicht so groß war, wie oft gefühlt und behauptet, wenn es auch individuell sehr verschieden war – berechenbar war es gewiss nicht.
Widerstandsbegriff im vorliegenden Buch
Das vorliegende Buch trägt den Begriff »Widerstand« im Titel und soll eine Überblicksdarstellung sein. Es fasst zwar, gemäß der bereits gegebenen Abgrenzung, nicht jede Handlung als Widerstand auf, die die Forderungen und Erwartungen der Nationalsozialisten nicht erfüllte, geht aber über das Wortverständnis Kershaws hinaus:
Erstens zeitlich: Außer denen, die sich der NS-Regierung widersetzt haben, werden zunächst Gruppen und Personen vorgestellt, die sich schon vor Hitlers Amtsantritt als Reichskanzler, vor der Sicherung der Macht und der sogenannten Gleichschaltung der NSDAP entgegengestellt haben, ihrer Etablierung entgegenwirken wollten, und z. B. von Matthias Strickler daher eher als Opposition bezeichnet werden.3
Zweitens räumlich: Obgleich nicht ausdrücklich erwähnt, scheint sich Kershaws Definition doch im Wesentlichen auf den Widerstand von Deutschen zu beziehen. Im vorliegenden Buch werden aber auch Beispiele von Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht in den Blick genommen, ebenso die Versuche deutscher Exilanten, das Regime zu behindern oder sich für die Zeit nach dem Zusammenbruch vorzubereiten.
Drittens hinsichtlich der Zielsetzung der handelnden Personen: Als Widerstand werden neben Maßnahmen zur Schwächung oder Beseitigung des NS-Regimes, zu denen z. B. Versuche der Volksaufklärung und -aufrüttelung gehören, auch solche aufgefasst, die auf die Verhinderung oder Eindämmung von NS-Verbrechen zielten, auch wenn sie nicht geeignet waren, die Herrschaft Hitlers insgesamt zu gefährden, dafür aber mit hohem persönlichen Einsatz und Risiko verbunden waren. In diesem Sinne wird die Rettung fremder Menschenleben oder die Kriegsdienstverweigerung um den Preis des eigenen Lebens durchaus als Akt des Widerstands aufgefasst.
Die wichtigsten Personen und Personenzusammenschlüsse des Widerstands gegen Hitler sollen hier vorgestellt werden, denn die Entscheidung für Anpassung oder Widerstand oder das, was dazwischen lag, war immer persönlich. Deswegen stehen die Personen des Widerstands mit ihren Hintergründen im Mittelpunkt. Soweit sie, direkt oder indirekt, Textzeugnisse ihrer Tätigkeit hinterlassen haben, sind Ausschnitte davon in dieses Buch aufgenommen worden. Selbstverständlich ist eine vollständige Darstellung nicht möglich, da nicht alle genannt, geschweige denn ausführlich besprochen werden können; das gilt insbesondere für regionale Gruppen in Deutschland, für den Kampf in den im Zweiten Weltkrieg besetzten Staaten und für die zahllosen Exilanten, die an ihren Zufluchtsorten, etwa als Journalisten oder Schriftsteller, versuchten, Aufklärung nach Deutschland zu bringen und die NS-Herrschaft zu schwächen.
Nach chronologischen und geographischen Gesichtspunkten geordnet werden Beispiele des Widerstands vorgestellt, wobei der Schwerpunkt im Unterschied zu vielen Gesamtbetrachtungen nicht auf dem militärischen Widerstand und dem 20. Juli 1944 liegt, sondern einer – wie schon der Buchtitel anzeigt – auf den Fällen, in denen Menschen schon sehr früh vor Hitler und seiner Partei gewarnt und sich gegen deren Herrschaft gestellt haben. Nicht alle wollten speziell die Weimarer Verfassung retten oder waren Anhänger der Demokratie, wie sie das Grundgesetz festlegt, aber der Wunsch nach Rechtsstaatlichkeit, besonders nach Geltung СКАЧАТЬ