Название: Hereinspaziert!
Автор: Johannes Reimer
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Edition IGW
isbn: 9783862567614
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Evangelisation ist somit eine lokale Angelegenheit. Man kann nicht wirklich allgemein evangelisieren. Wer evangelisieren will, der wird sich seines „Evangelisationsfeldes“ bewusst werden müssen.58 Die Gute Nachricht ist da gut, wo sie auf konkrete Bedürfnisse der Menschen trifft. Der Kampf gegen das allgemeine Übel der Sünde, wie er seit Jahr und Tag in der evangelikalen Szene geführt wird, ist mehr als problematisch. Sünde darf man nicht abstrahieren. Sie kann als Prinzip nicht bekämpft werden. Ihre soziale Gestalt ist es, die ihr das greuliche Gesicht verleiht. Paulus ermutigt deshalb die Gemeinde immer wieder, konkrete Schuld zu bekennen und zu lassen. Er meint ganz konkrete Menschen, wenn er schreibt: „Wer gestohlen hat, wer gelogen hat, wer …“ (Eph 4,25–32). In unterschiedlichen Kulturen werden diese Übel recht unterschiedliche Erscheinungsformen haben und auch einen variierenden Umgang erfahren. So wäre in einer schamorientierten Kultur nichts schlimmer als der Verlust des Gesichts in der Gesellschaft. Eine gute Nachricht ist deshalb immer mit der Wiederherstellung der Ehre verbunden. Dagegen geht es in schuldorientierten Kulturen weniger um Ehre, sondern um Gesetzestreue. Hier ist die gute Nachricht: Die Unfähigkeit so zu leben, wie es wünschenswert erscheint, wird überwunden. Je nach Orientierung der Kultur wird die Botschaft entsprechend ausfallen müssen. Darüber hinaus spielen aber auch noch die lokalen wirtschaftlichen, sozialen oder auch weltanschaulichen Konditionen eine Rolle. Man wird doch nicht einem verdurstenden Menschen allein mit einer Predigt entgegen treten oder einem Menschen, der unter sozialer Kälte und Ablehnung leidet, allein mit einem Bibelwort. Wer die Lage der Menschen nicht berücksichtigt, der wird sie auch nicht gewinnen können.
Die Notwendigkeit einer kontextuellen Evangelisation macht verständlich, wieso die Ortsgemeinde von besonderer Bedeutung ist. Sie ist es, die den Kontext der Menschen am besten kennen sollte. Sie ist es, die unter den Menschen lebt, die sie erreichen möchte, und mit ihnen den gleichen kulturellen und sozio-politischen Raum teilt. Deshalb ist Evangelisation deshalb primär die Aufgabe der lokalen Gemeinde. Nicht die begnadeten Reiseevangelisten sind die primären Agenten der Evangelisation, nicht die speziell für diesen Dienst aufgebauten Missionswerke, sondern die Ortsgemeinde. Sie ist am besten dafür geeignet zu evangelisieren.
2.6Liebeswerke als Grundlage
Evangelisation ist ein ganzheitliches Geschehen. Es zieht einen Menschen außerhalb der Herrschaft Gottes in die Gemeinschaft mit Gott, wobei das Leben des Betroffenen grundsätzlich verändert und neuorientiert wird. Ein solches Geschehen kann nur ganzheitlich verwirklicht werden. Recht verstandene Evangelisation ist daher Verkündigung durch Tat und Wort. So hat Jesus, das Vorbild aller Evangelisten, evangelisiert. Bei ihm gingen Worte und Taten nicht auseinander, wie das bei seinen Zeitgenossen, den Schriftgelehrten und Pharisäern, der Fall war. Er predigte und heilte, er sprach und tat! So gewannen Menschen zu Jesus Vertrauen, was eine wesentliche Voraussetzung ist für Evangelisation. Das Wirken Jesu in Wort und Tat stellt deshalb den wichtigsten „Ausgangspunkt für das Gespräch über die Mission der Gemeinde“59 dar.
Ohne ein etabliertes Vertrauensverhältnis werden Worte nicht ernst genommen, ja in der Regel sogar abgelehnt. Mayers60 verlangt daher mit Recht, jede missionarische Aktion mit der „prior question of trust (PQT)“, der Frage nach dem Basisvertrauen, zu beginnen. Wer sich um ein solches Basisvertrauen bemüht, der wird klären müssen, welches Verhalten, Reden und Tun in der jeweiligen Kultur Vertrauen schafft; und dann wird er sich darum bemühen, genau dieses Verhalten zu suchen. Nur wenn ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Evangelisten und dem Evangelisierten hergestellt ist, kann eine Beziehung zwischen dem Adressaten des Evangeliums und dem Evangelium entstehen.61 Die Frage nach dem Basisvertrauen ist somit zentral und kann nicht umgangen werden. Die Antworten auf diese Frage entscheiden wesentlichen über die zu wählenden evangelistischen Instrumente. Ob evangelistische Bemühungen Erfolg haben, wird entscheidend davon abhängen, dass Vertrauen besteht.
Vertrauen gewinnt man nicht mit bloßem Reden. Jesus gewann das Vertrauen der Menschen, indem Er ihnen diente. Für Ihn stellte der Dienst das Herzstück seiner Mission dar. „Der Menschensohn [ist] nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele“ (Mt 20,28), sagte Jesus über sich selbst. Und entsprechend sahen auch sein Leben und seine Verkündigung aus. Er stand Kranken und Bedürftigen bei, kümmerte sich um Menschen in Not und sorgte sich sogar um fehlenden Wein bei einer Hochzeit (Joh 2). Dieses Wunder der Verwandlung von Wasser in Wein nennt der Evangelist Johannes ein Zeichen, das Glauben wirken soll.
Ähnlich wie Jesus soll auch die Gemeinde Jesu ihr Licht in den guten Werken vor den Menschen leuchten lassen, damit diese ihre guten Werke sehen und den Vater im Himmel preisen (Mt 5,16). Der praktische Liebesdienst am Nächsten ist eine unbedingte Voraussetzung und integraler Bestandteil der Evangelisation.62 Eine evangelistische Gemeinde liebt es, den Menschen zu dienen.63 Petrus bringt diese Tatsache auf den Punkt, wenn er im Bezug auf die Andersgläubigen schreibt: „Und führt ein rechtschaffenes Leben unter den Heiden, damit die, die euch verleumden als Übeltäter, eure guten Werke sehen und Gott preisen am Tage der Heimsuchung“ (1Petr 2,12). Wer Glauben erwartet, der sollte Werke vorleben, ist doch „der Glaube ohne Werke tot“ (Jak 2,17).
Evangelisation setzt somit das Liebeswerk voraus. Sie baut auf der Diakonie der Gemeinde auf und löst diese wiederum aus. „Diakonie und Mission stehen in einem engen Zusammenhang. Die Diakonie hat teil am Auftrag der Kirche, die Botschaft von der Liebe und Gerechtigkeit Gottes auszurichten und zum Glauben an Jesus Christus einzuladen“, fasst die EKD Synode in Leipzig 1999 richtig zusammen.64 Nur da, wo die Gemeinde ihre Nächstenliebe praktisch erfahrbar macht, entsteht Vertrauen – die einzige Grundlage, auf der das Gespräch über den Glauben und damit Evangelisation stattfinden kann.
2.7Dialogisches Dasein
Gegenseitiges Vertrauen entsteht nicht über Nacht. Aber wenn es einmal entstanden ist, dann entstehen Beziehungen, die das Gespräch ermöglichen. Und das Gespräch ist die Grundlage für jede erfolgreiche Evangelisation. Wer Menschen dient, wer mit den Menschen lebt, ihre Nöte, Bedürfnisse und Sorgen teilt, wer nach Lösungen im Alltag der Menschen sucht und diese hier und da findet, der verschafft sich Chancen zum Gespräch. Loewen sprach an dieser Stelle vom Prinzip der Reziprozität und Partnerschaft,65 dem Willen und der Bereitschaft beider Seiten, voneinander und miteinander lernen zu wollen – und das in gegenseitiger Akzeptanz und Respekt. Wie sonst sollten Menschen mit uns über die tiefsten Bedürfnisse ihres Herzens reden, wenn sie uns nicht vertrauen? Und wie sollen Menschen uns verstehen, wenn wir nicht Worte und Vorstellungen, Bilder und Symbole benutzen, die ihnen bereits vertraut sind?66 Das Gespräch ist eine natürliche Folge eines gesellschaftstransformativen Dienens.
Evangelisation verlangt nach Hörern, die bereit sind zu hören. Wo niemand hört, da kann man auch nicht evangelisieren. „Niemandem kann man nicht predigen“ – diese Worte Rudolf Bohrens stehen gerade und vor allem für die evangelistische Predigt. Wer findet aber Hörer, wenn nicht derjenige, der Vertrauen bei den Menschen gefunden hat und gelernt hat, mit ihnen über ihre Alltagsnöte zu reden? Evangelisation geht somit Hand in Hand mit einer gewissen Gesprächskompetenz des Evangelisten und der evangelisierenden Gemeinde. Sie setzt einen eingeleiteten Dialog mit den Menschen voraus. Ein solcher Dialog beginnt mit den praktischen Fragen des Lebens, im Vollzug des Dienstes und geht schließlich zu existenziellen Themen weiter. Wer mit den Menschen, die man evangelisieren will, nicht redet, kann sie auch nicht evangelisieren. Wer aber mit ihnen im Dialog steht, hat große Chancen, sie auch mit der Botschaft von der Erlösung in Christus zu konfrontieren. Freilich ist unter Gespräch mehr gemeint als eine einmalige Unterhaltung. Dialog setzt einen Prozess voraus, СКАЧАТЬ