Das Bildnis des Dorian Gray. Oscar Wilde
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das Bildnis des Dorian Gray - Oscar Wilde страница 6

Название: Das Bildnis des Dorian Gray

Автор: Oscar Wilde

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788726619256

isbn:

СКАЧАТЬ zu verwirklichen — das ist es, wofür jeder von uns geboren wurde. Aber heutzutage haben die Menschen Angst vor sich. Sie haben die höchsten aller Pflichten, die Pflicht gegen das eigene Selbst, vergessen. Natürlich sind sie wohltätig. Sie füttern den Hungrigen und kleiden den Bettler. Aber ihre eigenen Seelen hungern und frieren. Es ist kein Mut mehr in unserer Rasse. Vielleicht war er nie wirklich darin. Furcht vor der Gesellschaft, der Grundlage der Moral — Furcht vor Gott, dem Geheimnis der Religion —, das sind die zwei Dinge, die uns beherrschen. Und doch —“

      „Dreh’ deinen Kopf ein wenig mehr nach rechts, Dorian, wie ein braver Bub“, sagte der Maler, ganz in die Arbeit vertieft und nichts bemerkend, als dass ein Ausdruck in des Jünglings Gesicht getreten war, den er dort noch nie gesehen hatte.

      „Und doch,“ fuhr Lord Henry fort mit seiner leisen, melodischen Stimme und jener anmutigen Handbewegung, die so bezeichnend für ihn war und die ihm schon als Schulknaben eigen gewesen war, „ich glaube, wenn ein Mensch sein Leben voll und ganz auslebte, jedem Gefühl Gestalt, jedem Gedanken Ausdruck, jedem Traum Verwirklichung gebend — ich glaube, die Welt würde einen solchen frischen Antrieb von Freude gewinnen, dass wir alle Krankheiten des Mittelalters vergessen und zum hellenischen Ideal zurückkehren würden — ja vielleicht zu etwas Schönerem und Reinerem als selbst das hellenische Ideal gewesen ist. Aber auch der Tapferste unter uns hat Angst vor sich. Die Selbstverstümmelung der Wilden lebt tragisch fort in der Selbstverleugnung, die unser Leben entstellt. Wir werden gestraft für unsere Entsagungen. Jeder Trieb, den wir zu ersticken suchen, brütet in unserer Seele und vergiftet uns. Der Leib sündigt einmal und ist dann mit seiner Sünde fertig, denn Tun ist eine Art Reinigung. Nichts bleibt zurück als die Erinnerung an eine Lust oder der Luxus eines Bedauerns. Das einzige Mittel, eine Versuchung loszuwerden, ist, ihr nachzugeben. Widerstehe ihr, und deine Seele wird krank vor Sehnsucht nach den Dingen, die sie sich versagt hat, vor Verlangen nach allem, was ihre ungeheuerlichen Gesetze ungeheuer und ungesetzlich gemacht haben. Man hat gesagt, die grossen Ereignisse der Welt gingen im Gehirn vor sich. Aber es ist im Gehirn, und nur im Gehirn, wo die grossen Sünden der Welt Ereignis werden. Sie, Herr Gray, Sie selbst mit Ihrem rosenroten Mund und Ihrer rosenweissen Jugend, Sie haben Leidenschaften empfunden, die Sie mit Furcht erfüllt haben, Gedanken, die Sie erschrecken liessen, Träume in Schlaf und Wachen, deren blosse Erinnerung Ihre Wangen mit Erröten färben würde —“

      „Hören Sie auf!“ stammelte Dorian Gray, „hören Sie auf! Sie verwirren mich. Ich weiss nicht, was ich sagen soll. Es gibt eine Antwort auf all das, aber ich kann sie nicht finden. Sprechen Sie nicht. Lassen Sie mich nachdenken. Oder besser, laffen Sie mich versuchen, nicht nachzudenken.“

      Fast zehn Minuten lang stand er so, unbeweglich, mit geöffneten Lippen und einem seltsamen Glanz in den Augen. Er war sich dunkel bewusst, dass ganz neue Einflüsse in ihm arbeiteten. Und doch war ihm, als gingen sie im Grunde aus ihm selbst hervor. Die wenigen Worte, die Basils Freund zu ihm gesprochen hatte — zufällige Worte, kein Zweifel, und keck parador — hatten eine geheime Saite berührt, die nie vorher berührt worden war, die er aber jetzt in rätselhaften Schlägen schwingen und zittern fühlte.

      Musik hatte ihn so erregt. Musik hatte ihn oft verwirrt. Aber Musik war Dumpfheit des Gefühls. Was sie in uns schuf war nicht etwa eine neue Welt, sondern ein zweites Chaos. Worte! Nichts als Worte! Wie furchtbar waren sie! Wie klar, wie lebendig, wie grausam! Man konnte ihnen nicht entrinnen. Und doch, welche feine Magie lag in ihnen! War es nicht, als vermochten sie dem Gestaltlosen Gestalt zu geben und ihre Melodie in sich selbst zu tragen, süss wie die der Viola oder der Laute. Nichts als Worte! Was war wirklicher als Worte?

      Ja; es hatte Dinge in seiner Kindheit gegeben, die er nicht verstanden hatte. Jetzt verstand er sie. Das ganze Leben wurde plötzlich feuerfarben. Es schien ihm, er sei durch Feuer gegangen. Warum hatte er es nicht gewusst?

      Mit seinem feinen Lächeln beobachtete Lord Henry ihn. Er kannte genau den psychologischen Moment, wann er schweigen musste. Er war ganz Aufmerksamkeit. Der plötzliche Eindruck, den seine Worte hervorgerufen hatten, überraschte ihn. Ein Buch fiel ihm ein, das er mit sechzehn Jahren gelesen, das ihm damals viel enthüllt hatte, was er nicht wusste, und er fragte sich, ob Dorian etwas Ahnliches erlebe. Er hatte lediglich einen Pfeil ins Blaue geschossen. Hatte er ins Schwarze getroffen? Wie faszinierend der Junge war!

      Hallward malte und malte mit seinem wunderbar kühnen Strich, der jene echte Feinheit und vollendete Zartheit hatte, die, in der Kunst wenigstens, nur aus der Stärke kommt. Er hatte das Schweigen nicht einmal bemerkt.

      „Basil, ich bin müde“, rief Dorian Gray auf einmal. „Ich muss hinaus und im Garten sitzen. Die Luft ist drükkend hier.“

      „Mein lieber Junge, das tut mir leid. Wenn ich male, kann ich an nichts andres denken. Aber du bist nie besser Modell gestanden. Du warst vollkommen still. Und ich habe den Zug eingefangen, den ich brauchte — die halbgeöffneten Lippen und den Glanz in den Augen. Ich weiss nicht, was dir Harry vorerzählt hat, aber er hat jedenfalls den wunderbarsten Ausdruck in dein Gesicht gebracht. Wahrscheinlich hat er dir Komplimente gemacht. Du darfst ihm nicht ein Wort glauben.“

      „Er hat mir alles andere als Komplimente gemacht. Vielleicht ist das der Grund, warum ich ihm kein Wort glaube.“

      „Sie wissen, dass Sie jedes Wort glauben“, sagte Lord Henry und sah ihn mit seinen verträumten, schmachtenden Augen an. „Ich will mit Ihnen in den Garten hinausgehen. Es ist schrecklich heiss im Atelier. Basil, lass uns irgendein eisgekühltes Getränk bringen, etwas mit Erdbeeren darin.“

      „Gewiss, Harry. Klingle nur, bitte, und wenn Parker kommt, werde ich ihm sagen, was du möchtest. Ich muss noch diesen Hintergrund fertig malen, ich komme euch dann nach. Halte Dorian nicht zu lange zurück. Ich war nie in besserer Verfassung zum Malen als heute. Dieses Bild wird mein Meisterwerk. Es ist es schon, so wie es jetzt dasteht.“

      Lord Henry ging in den Garten hinaus und fand Dorian Gray mit dem Gesicht in die grossen, kühlen Fliederblüten vergraben und ihren Duft wie Wein fieberisch einsaugend. Er ging ganz nahe an ihn heran und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Sie haben recht, das zu tun“, murmelte er. „Nichts vermag die Seele zu heilen als die Sinne, sowie nichts die Sinne heilen kann als die Seele.“

      Der Jüngling schrak zusammen und trat einen Schritt zurück. Er war barhäuptig, und die Blätter hatten seine rebellischen Locken durcheinandergebracht und ihre goldenen Fäden verwirrt. Ein Ausdruck von Furcht war in seinen Augen, wie ihn Menschen haben, die unversehens geweckt werden. Seine fein geschwungenen Nasenflügel bebten, und ein verborgener Nerv erschütterte den Scharlach seiner Lippen und liess ein Zittern darauf zurück.

      „Ja,“ fuhr Lord Henry fort, „das ist eines der grossen Geheimnisse des Lebens — die Seele durch die Sinne zu heilen und die Sinne durch die Seele. Sie sind ein wunderbares Wesen. Sie wissen mehr, als Sie ahnen, gerade wie Sie weniger wissen, als Sie möchten.“

      Dorian Gray runzelte die Stirne und wandte den Kopf ab. Er konnte nicht anders, als sich zu dem schlanken, anmutigen jungen Manne hingezogen fühlen, der neben ihm stand. Sein romantisches Gesicht mit der Olivenhaut und dem müden Ausdruck fesselte ihn. Es war etwas in seiner leisen, wohlklingenden Stimme, dem man einfach nicht widerstehen konnte. Selbst seine kühlen, weissen, blumenhaften Hände hatten einen eigenen Zauber. Sie bewegten sich, während er redete, wie Musik und schienen eine besondere Sprache zu haben. Aber er fürchtete sich vor ihm und schämte sich doch dieser Furcht. Warum war es einem Fremden überlassen geblieben, ihn sich selbst zu enthüllen? Er kannte Basil Hallward seit Monaten, aber diese Freundschaft hatte nichts in ihm verändert. Und nun war auf einmal jemand in sein Leben getreten, der ihm das Geheimnis des Lebens offenbart zu haben schien. Und doch, wovor sich fürchten? Er war kein Schulknabe und kein Mädchen. Es war sinnlos, Furcht zu haben.

      „Setzen wir uns doch in den Schatten“, sagte Lord Henry. Parker hat die Getränke gebracht, СКАЧАТЬ