Название: Arche Noah
Автор: Anna Croissant-Rust
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788711466681
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„Des sell ischt doch nir g’wesen,“ meint sie, „aber das Feiern!“ Sie war glücklich, als sie sich wieder vor ihren Wagen spannen konnte; unnütz sein, das war schlimmer als krank sein, das war beinahe der Tod!
Was sie wohl machen wird, die Alte?
„Alleweil ziahchen und ziahchen.“
Tirili-Tirili
Der kleine Bahnbeamte, der soeben mit hochgeschlagenem Kragen, die Hände in den Taschen seines langen Mantels vergraben, den Zug abgefertigt hatte, drehte sich auf dem Absatz herum, warf einen kurzen Blick nach dem Bureau und schlug fröstelnd einen schnellen Trab an über die Strasse herüber nach der „Post“. Schnee lag in der Luft, ein wüster Wind wehte vom Brenner her und wirbelte den Staub der hartgefrorenen Strasse hoch auf. Es dämmerte, die Wolken hockten förmlich wie Klumpen auf den Tannen der Vorberge, und die Lärchen am Abhang schwankten wild hin und her.
Da und dort in den engen Gassen des Dorfes taten sich die kleinen rötlichen Glühbirnen wie viele müd blinzelnde Augen auf, und das Nebenzimmer der „Post“ mit seinem grellgelben Vorhange strahlte dem Erfrorenen wie eine Verheissung entgegen. Nur ein paar Minuten Zeit hatte er, zu einem heissen Schwarzen, oder zu einem „Stamperl“ Schnaps. Aber er freute sich auf die paar Minuten, er freute sich auf die kurze Ruhe am grossen, runden Tisch, auf die Stammtischgenossen, den neuen Gast, den jungen Adjunkten, der den Bezirksrichter zu vertreten hatte und so prachtvoll zu erzählen verstand, freute sich auf die ganze, aus Lärm, Tabaksqualm, Weindunst und fröhlicher Laune gemischte Atmosphäre, die er ein paar Augenblicke unter der Dienstpause geniessen wollte.
Anspruchsvoll war er nämlich gar nicht, der kleine, geschniegelte Bahnbeamte, der zuvor auf einem ganz verlorenen Posten gewesen, so dass ihm Brunnach, mit allem, was drum und dran war, bis jetzt noch als Paradies erschien. „Das unbeschriebene Blatt“ hiess ihn sein älterer, eleganter Kollege noch immer, obwohl der kleine Geschniegelte zwar etwas tappig, aber mit allem Jugendfeuer Anstrengungen machte, dass dies Blatt baldigst beschrieben werde; vor allem wollte er es den Even des Brunnacher Paradieses nach jeder Richtung hin erleichtern, sich auf diesem bis jetzt noch schneereinen Blatt einzuschreiben. Und besonders viel Mühe hatte er sich gegeben, die imposante Kellnerin in der „Krone“ um diese Gunst zu bitten; jedoch die hochbusige Walküre, eine echte Saisonkellnerinnen-Erscheinung, deren Frisur, Füsse und weisse Schürzen gleich achtunggebietend waren, hatte bis jetzt noch keine Zeit zu der kleinen Uebung gefunden, da sie zu sehr anderweitig beschäftigt war.
„Schnee kriegen wir,“ sagte das unbeschriebene Blatt beim Eintreten und rieb sich halb vor Kälte und halb vor Behaglichkeit die roten Hände. Dann setzte sich der Kleine, seinen angelaufenen Zwicker eifrig putzend, im Mantel zwischen die Stammtischler. Herrgott wie gemütlich! Alle waren sie da, gerade heute, wo er Dienst hatte! Nur der Adjunkt fehlte, aber sein Gedeck stand bereit.
„Schnee!“ äffte ihn der fuchsrote Doktor mit seiner heiseren Stimme spöttisch nach. „Da sagen’s uns was Neues! Da brauchen wir grad Ihnen dazu! Da schaun’s meine g’frörten Händ’ an! Des weiss ich schon lang!“ Und er streckte dem Eingetretenen seine blauroten, hochangeschwollenen Hände hin, die dieser, etwas eingeschüchtert durch des Doktors Schreien, an das er sich noch immer nicht gewöhnt hatte, blöde durch seinen Zwicker betrachtete.
„Ja, schauen’s nur!“ schrie der Doktor wieder. „Sie sitzen fein im warmen Bureau.“
„Oder in der ‚Krone‘,“ zeterte in der höchsten Fistel der blasse, sanftgescheitelte Kontrollor entgegen, und ein gurgelndes Lachen erhob sich am untern Tisch.
„Schtad!“ kommandierte der Doktor und putzte seine Pfeife so energisch aus, dass die Asche überall herumspritzte. „Ihr sitzt’s alle im Bureau und in die Wirtshäuser und mich fragt koan Mensch, ob ich fort will oder nit. Glaubt’s, das ist ein Vergnügen, bei zwanzig Grad Kält’ umeinander kraxeln, wenn’s vom Brenner ower pfeift?“
„Jojo,“ sagte in der untern Ecke eine Stimme. „Sie fahren jo alleweil, Doktor.“ Das war der zweite Bahnbeamte, ein sehr grosser, schlanker, schwarzhaariger Kerl, der einstmals ganz Brunnach in Aufregung gebracht hatte, als er, direkt von Wien importiert, in Zylinder und Lackschuhen beim Sonntagsfrühschoppen erschienen war. Die Aufregung fing beim weiblichen Teil auf eine, für den schönen Jungen sehr angenehme Weise an, endete aber nicht gerade siegreich im Herrnstüberl. Da er indes ein Mann von Humor und Geschmack war, lachte er selbst tüchtig mit, trug seinen Zylinder noch ein paar Sonntage und zwar etwas aufs linke Ohr gerückt, welch kleine Nuance einer gutmütigen und feinen Selbstverspottung glich und auch so aufgefasst wurde. Dann begrub er ihn und seine Lackschuhe zum Bedauern der Witib Strasser endgültig in deren, das heisst seinem grossen Kleiderschrank. Besagte Witwe war mitsamt ihrer Tochter so tief in die Bewunderung des jungen Adonis verstrickt, dass er in ihrem Hause sass wie’s Häschen im Kraut, etwas zum Schaden des zweiten Zimmerherrn, des k. k. Gerichtssekretärs, aus dessen Zimmer verschiedene Kissen und Decken und Bilder verschwanden, um drüben bei dem schönen Wiener zu erscheinen. Deshalb liebte auch der k. k. Gerichtssekretär, der dick und schwammig war und eine Glatze hatte, den eleganten Bahnbeamten durchaus nicht, und setzte sich — auch heute war dies der Fall — möglichst weit von ihm weg.
Die allgemeine, fast hysterische Entflammung der Damenwelt hatte allmählich abgeflaut, weil der also Verehrte seine Siege denn doch allzu gelassen trug. „Er ischt decht unnahbar,“ sagten zornig und traurig die Damen. „Er ist blasiert,“ fassten die Herren unter Anführung des k. k. Sekretärs ihre Meinung zusammen. In Wahrheit langweilten den Angeschwärmten sowohl die Liebe, wie sie ihm von der Brunnacher Damenwelt entgegengebracht wurde, wie die Unterhaltung und die Witze, die ihm die Herren kredenzten. Zuerst hatte er sondiert, — vielleicht gab es doch den einen oder andern am Stammtisch, mit dem man ein wirkliches Gespräch führen konnte; dann hatte er es mit der Musik versucht, es blieb aber nur bei den Versuchen, alles Ernsthafte glitt an den Stammtischlern ab. Nun tat er eben mit, da er keine energische, widerstandsfähige Natur war, versank langsam in dem allgemeinen Schlammbach, aber mit der Miene eines Halbschlafenden, den dies alles nicht berührt, und der gut eines Tages mit zwei Füssen ans Land springen und sich schütteln konnte, um mit einer schönen Verbeugung zu verschwinden.
Vorderhand sass er aber noch jeden Tag in der „Post“, wenn er keinen Dienst hatte, machte seine schönen Augen nur halb auf und sah elegant und gelangweilt aus, wie eben jetzt. Und das reizte den Doktor jedesmal.
„Wos? Reden’s doch nit so dalket! Weil Sie mich anmal haben einsteigen sehen! Was wissen denn Sie von Gebirg, Sie Salontiroler! Als ob man überall hinfahr’n kannt’! Wegen jeden alten Krachzer muss i am Berg auffi, und wegen jeden Lackl muss i mir d’ Füass’ und d’ Händ’ derfrörn!“
„Wie viel Füss’ und Händ’ sich der schon derfrört hat!“ gluckste der dicke, stoppelköpfige Steuereinnehmer, und hob prustend und grunzend das Fett seines rundlichen Leibes auf und ab, „derweil sitzt er alleweil do in der Poscht, wenn mir da sein, und trinkt.“
„Du spar dir deine Reden! Vom Trinken derfst grad du reden!“ fauchte ihn der Doktor über den Tisch hinüber an; aber der Dicke lachte und prustete unbekümmert und schäkernd weiter, wobei er die sehr kleinen und listigen Aeuglein hinter der Brille zusammenkniff. So sass er da, wie ein feister, fröhlicher, verkleideter Franziskaner, der, soeben dem Kloster entlaufen, sich einen winzigen Schnurrbart aufgeklebt hat, der nicht recht halten will und sich mit allen Borsten auf der Oberlippe sträubt.
Den Doktor erbost dies Lachen: „Ja,“ schreit er, „du giebsch’ koan Ruah, bis di’ a Schlagerl trifft, und a Schlagerl trifft di’ so g’wiss wie nur was.“
Doch je zorniger der Doktor wird, desto aufgeräumter wird der Dicke: СКАЧАТЬ