Menschen und Straßen. Clara Viebig
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Название: Menschen und Straßen

Автор: Clara Viebig

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788711466964

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СКАЧАТЬ betrunken. „Wo is der Junge?“ lallte er.

      Hans zog zitternd die Decke über seinen Kopf und wagte keinen Atemzug.

      „Er is krank“, sagte die Mutter.

      „Nanu? Morjen — morjen — der verdammte — Bengel!“ Der Vater warf sich aufs Bett; schon schnarchte er.

      Morjen! Wusste er’s — wusste er’s nicht?!

      Im Fieberfrost schüttelte sich der Körper des Knaben; mit weit aufgerissenen, glühenden Augen starrte er ins Dunkel. Er konnte nicht schlafen, eine brennende Sehnsucht war in ihm, noch grösser als die Angst; eine brennende Sehnsucht, sich irgendwo anzuschmiegen, Schutz zu suchen für den müden Kopf.

      Pluto —! Der Knabe lächelte plötzlich. Ja, der war gut! Zu dem wollte er gehen, wenn der Morgen graute — zu Pluto — Pluto — — —

      Seine Gedanken verwirrten sich, allerhand Bilder kamen und gingen, immer war Pluto dabei. Und dann schlief er ein, die dünnen Hände auf der Decke gefaltet, den Mund halb geöffnet. —

      Es war sehr früh, als er aufwachte; er hatte sanft geschlafen. Noch schien bleicher Frühmond, kein Tageslicht. Leise stand er auf, er wusch und kämmte sich geräuschlos, aber mit mehr Sorgfalt als sonst.

      Im blauen Kittel, die grünumrandete Mütze auf dem Kopf, schlich er durch die Stube ans Bett der Mutter; er guckte ein paar Augenblicke auf sie nieder, dann schlüpfte er zur Tür hinaus.

      Herr Stibike schnarchte noch dröhnend, wie mitten in der Nacht, als Frau Stibike von einem gellenden Aufschrei erwachte. Das kam vom Hof!

      „Stibike — Frau Stibike — Sti — bi — ke —!“

      Was war denn los? Im Bett fingen die Kleinen an zu quarren. Schlaftrunken sprang die Frau auf, sie warf einen Rock über und tappte mit blossen Füssen zum Fenster. Da pochte es auch schon an die Scheiben.

      „Stibike — Frau Stibike — Sti — bi — ke —!“

      „Was ’s denn los?“ Die Frau bekam das Zittern, das Rufen klang so graulich.

      „Kommen Se man raus — schnell, schnell — Ihr Junge — ’s was passiert!“

      „Was passiert?“ Eine schreckenvolle Neugier durchrieselte Frau Stibikes Glieder, sie schrie ihren Mann an: „Stibike!“ Der drehte sich auf die andere Seite und schnarchte weiter.

      Draussen das Rufen laut und lauter. Ein Stimmengemisch, ein wirres Durcheinandersprechen und dazwischen Hundegeheul, schauerlich dumpf und anhaltend. Zitternd fährt das Weib in die Kleider.

      Nun ist sie draussen, ein allgemeiner Aufschrei empfängt sie.

      Im Winkel bei der Hundehütte drängen sich alle, in einem dichten Haufen stehen sie.

      „Was ’s denn los, was ’s denn los?!“

      „En Unjlück — Stibiken, Ihr Junge — Jott in ’n Himmel!“

      „Hans —?!“

      Man weicht zurück, die Mutter drängt sich durch, und nun gellt ihr Entsetzensschrei, dass die Hofwände widerhallen.

      Das Hundeheulen antwortet.

      Über der Hundehütte ragt eine rostige Klammer aus der Mauer und daran baumelt, am schwarzen Ledergurt aufgehängt, der magere Körper eines Knaben im blauen Leinenkittel; die grünumrandete Mütze ist zu Boden gefallen, die Morgenflut spielt in den fahlblonden, verklebten Haaren. Der Mund steht offen, die Augen sind gebrochen.

      Wie ein Rasender schnappt der Hund nach den hängenden Beinen — er kann sie nicht erreichen. Und dann duckt er sich nieder, hebt nur den Kopf und heult gen Himmel. Er lässt niemanden heran.

      Auf der dunklen Bretterwand der Hundehütte steht leserlich in grossen Kinderbuchstaben, mit Kreide geschrieben:

      ‚Ich habe den Iroschen nich jestohlen seid jut zu Pluton

      Hans Stibike Klingeljunge.‘

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