Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
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Название: Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band)

Автор: Joachim Ringelnatz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027203697

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СКАЧАТЬ sollten, damit kein offizieller Ton aufkäme. Worauf Tante Mary die Baronin, die Baronin die Gäste, die Braut Biegemanns Verwandte und der Pastor alle Freunde und Bekannten hochleben ließen. Nachdem zuletzt die Telegramme verlesen waren, wurde die Tafel aufgehoben und Kaffee und Zigaretten serviert. Selbstverständlich war für die Dienerschaft und das Gesinde mit gleicher Freigebigkeit gesorgt.

      Um sechs Uhr nahm das Brautpaar an der Düna Abschied. Die Fähre und die Equipage darauf waren über und über mit Rosen geschmückt. Die lettischen Leute fidelteten und sangen. Alles winkte den Neuvermählten noch lange nach, und viele hatten Tränen der Rührung in den Augen.

      Ich war den ganzen Tag über schweigsam und traurig. Das Benehmen des Barons war so kränkend gewesen, daß ich darüber nicht hinwegkam. Und ich konnte doch nicht mit einer Klage die allgemeine festliche Stimmung trüben. Andererseits hatte in dem Trubel wirklich niemand die Zeit, sich um mich zu kümmern. Nun ging ich bald zu Bett. Am anderen Morgen sandte ich das Gedicht »Freundschaft« an die »Woche«. Gleichzeitig fragte ich an, ob mich die Redaktion gegen ein monatliches Fixum von 200 Mark nach China schicken wollte.

      Bilderlingshof

       Inhaltsverzeichnis

      Ich wollte, ich mußte fort aus Halswigshof. Fanjka hatte mir ihr zweistöckiges Sommerhaus in Bilderlingshof zur Verfügung gestellt, das im Herbst und Winter sowieso leer stand. Sie wie Wanjka rieten mir zwar dringend davon ab, dort zu wohnen. Ich würde vor Kälte umkommen. Aber ich hatte darauf bestanden und führte nun schon die Schlüssel in der Tasche.

      Der Abschied von Halswigshof war so, wie er ohne Seebach sein mußte. Das Gesinde hatte keine Gelegenheit, mir Zuneigung auszudrücken. Mit der Baronin speiste ich noch einmal an der Bahnstation. Sie war aufrichtig gütig bis zum letzten Moment. Sie war die Perle der Baronei und der Idee Halswigshof.

      Auf der Fahrt nach Riga und von dort nach Bilderlingshof sprach ich ein Mädchen an und nahm es mit mir. Austria, eine komische, beschränkte Jüdin. Wir logen uns gegenseitig an, aber spürten dabei eine unraffinierte Sympathie füreinander.

      In Bilderlingshof trug mir ein dunkler Mann meinen schweren Rohrplattenkoffer durch Dunkelheit und Dünensand nach dem Holzhaus. Ich fand alles von Fanjka mit liebevoller Fürsorge vorbereitet, packte aber vorläufig nur Frack und Waschutensilien aus, weil ich mich Austria widmen und sie andererseits überwachen wollte. So, wie sie sich nach Laune mit umherliegenden Sachen kostümierte, sah sie reizend aus. Doch sie war märchenhaft dumm. Sie hatte falsches Haar. Ich bestand darauf, daß sie das in eine Tüte verpackte.

      Am nächsten Morgen entließ ich Austria mit Geschenken, indem ich eine eifersüchtige Ehefrau vorschützte. Als sie fort war, genoß ich zum erstenmal voll und innig, daß ich allein ein ganzes Haus bewohnte, sozusagen besaß. Ich überheizte den Ofen mit schönen Klötzen von Buchenholz und lief hinaus auf die Straße, die aus Dünensand mit einem Trottoir aus Holzbrettern bestand, um mir »den Rauch meiner Hütte« anzusehen. Und wieder einmal genoß ich zutiefst das Robinsonglück einsamer Freiheit.

      Ich packte meine Sachen aus und richtete mich ein. Von den letzten Rubeln kaufte ich mir Leberwurst, Brot und Feuerholz. Einige türkische Zigaretten besaß ich noch. Dann durchforstete ich mein neues Reich, fand eine Spieluhr, die den Faustwalzer spielte. In der Veranda, wo es so kalt war, daß ich meinen Hauch sah, schrieb ich an Biegemann und teilte ihm meine Adresse mit. Draußen regnete es. Ich hörte das Meer brausen und kämpfte vergeblich gegen eine wachsende Melancholie an.

      Mitunter fuhr ich nach Riga, meistens um zunächst mal meinen Chapeau claque oder Kleidungsstücke zu versetzen, oder auch wieder einzulösen. Hinterher verlebte ich mit Fanjka und Wanjka frohe Stunden, einmal auch ein Fest in der »Kunstecke«. Das »Fest im Hut« hieß es. Eine Dame, à la directoire gekleidet, tat mir's an. Auf diesem Fest sah ich auch Peter von Osten-Sacken wieder.

      Manchmal besuchten mich Fanjka und Wanjka in Bilderlingshof. Ich erwartete sie immer sehnsüchtig. Denn die Einsamkeit ertrug ich nicht lange. Es wohnten ja nur ungebildete und unfreundlich gesinnte Letten um mich, kein einziger Mensch, mit dem ich einmal ein Wort austauschen konnte.

      Der Briefträger kam einmal am Tag von weither. Ich erwartete ihn, wie ein Tier im Zoo den fütternden Wärter erwartet. Es gelang mir nicht, mich zum Schreiben zu zwingen. Nur Briefe schrieb ich. Nach München und nach Leipzig und lange, herzliche Briefe an Ingeborg und Biegemann. Dann wartete ich wieder auf Antwort, auf Nachricht, auf Menschen. Ich ging in der Glasveranda wie ein gefangenes Tier auf und ab. Ich ließ die Spieluhr tönen, preßte meine Stirn an die kalte Fensterscheibe und spähte auf die Straße, ob jemand käme.

      So verging der November. Von Seebachs kam kein Brief. Ich kam mir oft ganz fern und verlassen vor. Und die Geldsorgen nahmen mir alle Ruhe.

      Dezembertage vergingen. Als ich wieder einmal nach Riga fuhr, zeigte mir Fanjka einen Zeitungsausschnitt. »Etwas Trauriges«, sagte sie. Ich las, daß die Freifrau Ingeborg von Seebach, geborene Nolcken, in Königsberg verschieden sei. Ganz langsam kam eine tiefe Trauer über mich. Was war das für ein rätselhafter Tod. Lag da ein Unglücksfall vor, ein Selbstmord? Ich telephonierte an die Baronin Nolcken, ob ich zu ihr kommen dürfte.

      Am nächsten Tag war nach deutscher Rechnung der Heilige Abend. Ich war von Schmerz erfüllt. Auch besaß ich gar kein Geld mehr.

      Wanjka und Fanjka besuchten mich. Sie brachten mir liebevolle Überraschungen, auch einen Kiefernzweig als Christbaumersatz. Wir gingen an den Meeresstrand. Dort lag noch das Wrack, schon etwas zerfallen, und nun vereist. Wir lagerten uns in der Nähe, steckten brennende Lichter in den Schnee und sprachen Gutes. Als wir dann gingen, sahen wir uns noch oft nach diesen Lichtern um.

      Fanjka lieh mir drei Rubel, daß ich nach Halswigshof fahren konnte. Von Plattform 59 aus benutzte ich einen Bauernschlitten, der mich bis Jungfernhof fuhr. Dort ließ ich mich über die Düna setzen und legte die letzte Strecke zu Fuß zurück. Durch dick verschneiten Wald. Weihnachten war es.

      Ich traf den Kaufmann Abramowitsch. Er erzählte, der Sarg mit der toten Ingeborg sei soeben angelangt, mit Tannenreisern verziert. Der Sarg wäre aus doppeltem Zink, und Nolcken und Seebach hätten ihn in einem Boot von Königsberg bis Halswigshof gefahren. Dann begegnete ich dem Gärtnerspaar und drückte den guten Menschen die Hände. Sie waren damit beschäftigt, in der Kuhallee links und rechts Tannenbäume aufzustellen.

      Im Musikzimmer saß die Baronin mit Seebach und Fräulein Dieckhoff. Seebach erwiderte meinen Händedruck »Sag' nichts«. Ich konnte auch nichts sagen. Dann kam die Krankenschwester mit dem Baron.

      In dem Zimmer, wo noch vor kurzem ein Traualtar gestanden hatte, stand nun der Sarg. Mit einem weißen Damast bedeckt, der mit Tannenreisern und Nelken besteckt war. Auf einem Aufbau dahinter brannten Kerzen in großen Leuchtern und leuchteten Blumen, die niemand freuten.

      Alle Dienstboten begrüßten mich freundlich. Ich fragte Karling, wie Biegemann mit Ingeborg gelebt hätte. »O glücklich, o sehr glücklich!« sagte sie. Dann erzählte mir die Baronin ungefragt Näheres. Herzlähmung, nachts plötzlich Erbrechen, Kopf- und Brustschmerzen. Inges Augen fingen an zu flackern. Seebach holte einen Arzt, der aber nichts Bedenkliches fand. Biegemann mußte ihn aber bald nochmals holen und einen zweiten Arzt dazu. Ingeborg erkannte Seebach nicht mehr, verlor das Bewußtsein, war auf einmal tot. Seebach depeschierte an die Baronin »Ingeborg schwer erkrankt«. Und dann »Alles aus«, und dann nach Danzig an seine eigene Mutter »Mutter komme! Ingeborg eben gestorben.«

      Die treue Karling saß mit Biegemann am Sarg, las im Gesangbuch. Seebach sagte: »Geh schlafen.«

      Karling СКАЧАТЬ