Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
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Название: Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band)

Автор: Joachim Ringelnatz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027203697

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СКАЧАТЬ ja, wir sind nicht von die Gesellschaft.«

      Sie sagte das deutsch sehr rührend. Ihre Gesinnung war eine durch und durch revolutionäre. Andrerseits litt sie ein wenig an Verfolgungswahn. Da sie kränklich und still war, mochte ich sie leiden.

      Endlich traf das Honorar vom »März« ein. Heiß er sehnt, denn ich wollte dafür Geschenke für alle Nolckens besorgen, um mich auch einmal erkenntlich zu zeigen. Ich fuhr also nach Riga und erstand zwei Flaschen alten Ungarweines für die Baronin, sowie andere Sachen für den Baron, für Ingeborg, Fräulein Dieckhoff und Biegemann. Das packte ich in eine Handtasche. Dann traf ich mich mit Wanjka, die inzwischen aus München zurückgekehrt war, und mit Fanjka. Lachend und scherzend stiegen wir in den Vorortszug nach Bilderlingshof, setzten uns – plumps – auf eine Bank, Fanjka, Wanjka, meine Handtasche und ich. Wir hatten viel zu erzählen. Im Coupé roch es sonderbar, obwohl nicht schlecht. Auf einmal entdeckte Wanjka, daß sie hinten naß war. Auch Fanjka. Auch ich. Zwei Flaschen Ungarwein waren zerbrochen. In dem Holzhäuschen in Bilderlingshof hängten wir unsere nassen Kleider zum Trocknen auf und amüsierten uns kostümiert. Auf der Rückfahrt schnauzte mich der Schaffner an, weil ich ahnunglslos im »Nichtraucher« rauchte. Ich antwortete auf all seine Reden nur mit den drei mir geläufigsten russischen Vokabeln »Nichts – Bleistift – Großmutter«. Darüber wurde er noch wütender und übergab mich in Riga sofort einem Schutzmann. Der brachte mich zur Wache. Ein Dutzend Polizisten saßen dort. Die wußten nichts mit mit mir anzufangen, weil sie mich nicht verstanden. »Protokoll! Protokoll!« riefen sie schließlich und legten mir ein Papier vor. Darauf schrieb ich ein Zitat: »Ich weiß von nichts. Mein Name ist Hase.« Dann bot ich ihnen Zigaretten an, die nahmen sie erfreut, und ich ging bedankt davon. Wanjka und Fanjka hatten draußen gewartet. Wir besorgten neuen Ungarwein.

      Nolckens freuten sich über meine Kleinigkeiten. Seebach war geradezu gerührt. »Ich war in letzter Zeit schlecht zu dir«, sagte er. Ich liebte Biegemann sehr. Abends am einsamen Ufer schrieb ich vor dem leuchtenden Kupfer der Kiefern ein Gedicht über Freundschaft.

      Seebach reiste nach Königsberg, um eine Wohnung für sich und Ingeborg zu suchen und einzurichten. Ich war dadurch wie verwaist.

      Das Laub färbte sich herbstlich. Ich hatte mit Ingeborgs Malgerät zwei kleine Ölbilder gemalt, davon eins Gartenland, das andere ein Stück Düna zeigte. Diese Bilder sandte ich auf eine lettische Ausstellung nach Friedrichstadt. Verkaufspreis zweihundert Rubel und fünfzig Rubel. Als ich dann einmal nach Friedrichstadt kam, sah ich mir die Ausstellung an. Sie war in der Hauptsache eine landwirtschaftliche. Meine Bilder hingen sehr dunkel über einem Glas mit konservierten tuberkulösen Gedärmen.

      Eines Morgens hörte ich, daß es »heute keine Post« gäbe, weil die Kutscher anderweitig beschäftigt wären. Ich war darüber ungehalten, weil ich sehr auf gewisse Briefe wartete. »Fahren Sie doch allein nach Friedrichstadt«, sagte die Baronin.

      »Ich?!«

      »Ach, Lieberchen, ein bißchen kutschen kann doch jeder.«

      Es half nichts. Ich wurde in den zweirädrigen Einspänner gesetzt. Der Knecht, der meine Pferdeangst kannte, machte sich den Spaß, dem Pferd noch eins mit der Peitsche aufzubrennen, daß es in wilden Sprüngen davongaloppierte. Ich hielt krampfhaft die Zügel fest und sah mich im Geiste schon im nächsten Graben liegen. Aber auf der freien Chaussee verfiel das Tier in einen ganz langsamen Schritt. So langsam, daß ich zu Fuß schneller vorwärts gekommen wäre. Das ertrug ich auf die Dauer nicht. Ich schnalzte mit der Zunge. Half nichts. Ich rief: »Mischka, he! – Hoppla! – Hallo, Mischka! Vorwärts! – Marsch! Sei brav, Mischka!« Half nichts. Ich griff – wollte nach der Peitsche greifen. Aber sowie ich sie nur berührte, machte Mischka sofort einen aufsässigen Seitensprung. Ich mied die Peitsche und ergab mich, ließ das Pferd wandern, so langsam es wollte. Es kannte ja den Weg. Spät erreichte ich Friedrichstadt und holte die Briefe von der Post. Für mich war nichts dabei. Dann trat ich die Heimfahrt an. Wieder war das Pferd nicht von seinem Zeitlupenschritt abzubringen. Ja, ich schwöre, daß es sogar gelegentlich sich nach mir umsah und lachte. Es wurde Nacht. Mischka fand auch im Dunkeln den Weg. In Halswigshof umringte mich spöttische Heiterkeit.

      Die kleinen Kalkunen, die ich als Küken gefüttert hatte, waren groß und hochmütig geworden. Die Abende wurden kalt, man heizte bereits.

      Für die bevorstehende Hochzeit wurden umfangreiche Vorbereitungen getroffen. Mathison zimmerte Kisten für das Umzugsgut und drechselte einen Aufsatz für die Bettstellen. Die Baronin schnitzte heimlich an einem Schrank. Alle arbeiteten insgeheim an Überraschungen. Während ich acht Tage bei Fanjka und Wanjka gewesen war, hatte man schon das Umzugsgut für Ingeborg verpackt. Biegemann schrieb aus Königsberg, daß er eine nette Wohnung gefunden und manch hübsches Möbelstück erworben hätte. Karling, eine treue Dienerin, sollte als Dienstmädchen mit nach Königsberg ziehen.

      Es gab einen klein-häßlichen Klatsch, der bei der Baronin eine gewisse Mißstimmung gegen mich hinterließ, die ich hätte beseitigen können, wenn ich meinerseits wieder einen klein-häßlichen Klatsch entrollt hätte.

      Die meisten Kurgäste waren bereits abgereist. Man hatte den alten Lord erschossen, weil er sich nicht mehr bewegen konnte. Scheckige Kastanien lagen auf der Allee. »Als Kinder haben wir damit Kühe gespielt«, sagte Ingeborg. Auf den schwarzen Dachschindeln lag gelbes Laub, in der Sonne: Als hätte es Goldstücke geregnet. Ingeborg schenkte mir ein Zigarettenetui aus Kirschbaumholz. Auf den Deckel hatte sie ihr Wappen mit den drei Nelken gemalt.

      Das Hochzeitsgut wurde in vier geschmückten Wagen nach Römershof geführt. Meine Mischka war am schönsten aufgeputzt.

      Ich ging mit Mathison nachts zum Fischen. Auf Lachsforellen war es abgesehen. Vorm Bug des Bootes brannte auf einer Eisengabel ein Holzfeuer, bei dessen Schein man die schlafenden Fische erkennen und dann mit einem grausamen Fünfzack spießen konnte. Wie fingen ein großes Tier, das an zwanzig Pfund wog.

      Die Düna schwoll. Es war Ende Oktober. Seebach kam zurück. Zum Polterabend führte ich ein selbsterdachtes, lang vorbereitetes Theaterstück auf, bei dem außer mir nur eine künstliche Tipsi und ein künstlicher, ausgestopfter Seebach mitspielten. Ort der Handlung war Biegemanns neue Ehewohnung. Die Lampe, der Tisch, die Stühle, Vasen, das ganze Mobiliar ging zum Schluß in Trümmer, Splitter und Scherben, wie es zum Polterabend gehört. Ich hatte mir schon wochenlang vorher aus Speichern und Kellern zerbrochene Gegenstände gesammelt. Mit der Aufstellung und der geheimen Einstudierung hatte ich viel Mühe gehabt. Nur Fräulein Dieckhoff hatte mich unterstützt.

      Der Baron fand die Idee taktlos. Er hatte immer häufiger etwas an mir auszusetzen. Ich kam mir sehr gedemütigt vor und verbohrte mich tief und heimlich in diese Stimmung. Die andern aber hatten vor Arbeit keine Zeit, das zu bemerken.

      Zur Hochzeit war der Hauptsaal mit Girlanden aus Immergrün geschmückt. An hundert Kerzen brannten. Um zwölf Uhr erschien der Pastor und las eine Predigt ab.

      Seebachs »Ja« vor dem improvisierten Altar klang in ein heiseres, verkatertes Räuspern aus. Dann Choral, Ringewechseln, Segen und Gebet.

      Der Pastor hatte seine schlitzäugige Frau mitgebracht, die wir heimlich »die fidele Robbe« tauften. Außerdem waren Gäste aus Riga erschienen, unter anderem der Baron Kampenhausen, der so hübsch auf dem Parkett Schlittschuh laufen und einen Eisenbahnzug nachmachen konnte. Ich hatte drei Nelken ins Knopfloch gesteckt, das Wappenzeichen derer von Nolcken.

      Fräulein N. weinte am Klavier. Die junge Ingeborg in silbrigweißem Kleide mit langer Schleppe und behängt mit einem myrtengeschmückten Schleier sah bezaubernd aus. Hilja hatte ihr ganz früh schon auf den Pantoffel gespuckt und zehn Kopeken hineingelegt. Überhaupt wurde zahllosen abergläubischen Bräuchen Rechnung getragen. Die Tafel war phantastisch beladen und verziert. СКАЧАТЬ