Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
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Название: Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band)

Автор: Joachim Ringelnatz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027203697

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СКАЧАТЬ nagelneuen Regenschirm auf und sprang vor Vergnügen mit beiden Füßen hinein. Freiheit!

      Seebachs Braut hatte mich auf das Gut ihrer Eltern nach Kurland eingeladen. Biegemann selbst erwartete ein paar tausend Mark, die ihm ein Geschäftsmann verschaffen wollte. Mit diesem Geld gedachte er nach Kurland zu reisen, um zu heiraten. Ich hatte Biegemann manchmal ein kleines Geldchen zugesteckt. Aus Dankbarkeit wollte er mich nun auf seine Kosten mit nach Kurland nehmen. Wir verabredeten, daß ich ihn in Kufstein erwarten sollte. In zwei bis drei Tagen wollte er mich dort abholen oder mir Nachricht geben. Ich hatte noch für etwa sechs Tage zu leben. Also gab ich ihm meinen Paß, um das Visum zu besorgen, und fuhr nach Kufstein.

      Ich bezog das beste Hotel und lebte gar nicht sparsam, weil mir Seebach gesagt hatte, ich sollte nur anschreiben lassen. Er würde mich auslösen.

      Nun bot sich mir die Zeit zum freien Dichten, die ich mir so lang gewünscht hatte. Aber ich schrieb nichts. Die herrliche Umgebung lockte zu Spaziergängen. In einer sternenlosen Nacht geriet ich im Wilden Kaiser in einen Wolkenbruch mit furchtbarem Gewitter. Ich befand mich gerade in einem finsteren Walde und hatte den Weg verloren. Da mußte ich schließlich auf allen vieren kriechen und, nachdem ich sechs Revolverpatronen verschossen hatte, für jeden Schritt den kurzen Schein der Blitze ausnutzen, die links und rechts von mir in die Bäume schlugen. Später konnte ich mich davon überzeugen, welchen gefährlichen Weg ich da passiert hatte. Als ich frierend, naß und müde eine Hütte erreichte, machte ich mir keine Hoffnung, dort noch Leute wach anzutreffen oder gar ein Unterkommen zu finden. Ich klinkte. Die Tür gab nach. In einem hellen Raum saßen Touristen beim Wein, eine Harfe erklang, von einem Tiroler in kurzer Wichs gespielt. Zwei von den Gästen schrien gleichzeitig auf: »Der Hausdichter von der Kathi!« Ich erfrischte mich an einem Sahnengericht, das man Maibutter nannte, und es wurde eine fröhliche Nacht. Andern Morgens marschierte ich weiter, stieg bis zum Stripsenjoch hinauf. Die Hütte dort war auf der einen Seite ganz vereist. Von der anderen Seite blühten liebliche alpine Pflanzen.

      Ich erkor mir den Hilfsarbeiter Alex zum Freund, weil ich Gesellschaft in Kufstein vermißte. Alex war auch Wilderer, im übrigen unsagbar dumm und faul, jedoch ein hübscher Bursche. Wir unternahmen Ausflüge. Eines Nachts lud ich ihn feierlich zu einer Flasche Sekt ein, um mit ihm Brüderschaft zu trinken, dann streiften wir durch einen dunklen Wald. Da kamen wir auf Mord und Totschlag zu sprechen. Plötzlich blieb Alex stehen, drückte mir treuherzig die Hand und sagte in seinem Dialekt: »Das eine kannst mir glauben, daß ich dich nie von hinterwärts erstechen werde.«

      Ich liebte mein Hotelzimmer und ging gern zu den Bauern und in deren Ställe. Es waren vier bis fünf Tage vergangen, ohne daß Seebach etwas von sich hören ließ. Aber ich vertraute eisern auf ihn. Ein Honorar half mir weiter. Ich lernte neue Bekannte kennen, so einen lustigen Herrn Busch, der früher in Afrika gewesen war und jetzt künstliche Blumen fabrizierte. Durch ihn wurde ich Stammgast in der bekannten Weinkneipe Schicketanz. Der langbärtige Schicketanz hatte einen Hund, der Pfeife rauchte.

      Kufstein wurde mir zu teuer. Ich gab mein Hotelzimmer auf. Als ich die Rechnung bezahlen wollte, fehlten mir noch sechs Kronen. Verlegen schützte ich einen Spaziergang vor, wanderte vor die Stadt und ließ mich in einem Garten nieder. Da hatte ich ein kleines Erlebnis, das mich später in Träumen verfolgte. Im Sande kroch ein Tier, das so aussah wie ein großer Tausendfuß. Ein vorbeitrottender Bernhardiner machte einen spielerischen Satz und quetschte dabei mit seiner Tatze die eine Hälfte des Tieres im Sande fest. Nun arbeitete das halb verschüttete Tier mit den Beinen, die es noch frei hatte, verzweifelt um sich.

      Als ich bedruckst nach dem Hotel zurückging, las ich in einem Trafik, daß ich für wenig Heller im Lotto dreißig Kronen gewonnen hatte. Im Hotel erwartete mich eine zweite Überraschung. Ein Honorar, das ich allerdings erwartete, war telegraphisch eingetroffen.

      So reiste ich mit fünfzig Mark nach Straß im Zillertal, wo ich unter unfreundlichen Menschen acht verregnete Tage verbrachte. Zwar fing ich eine kleine Liebelei mit der Postexpedientin an und sah ferner zu, wie man mit österreichischen Militärhengsten ländliche Stuten belegte. Aber das bäurische Postmädchen war blöde, und das Belegen dauert auch nicht ewig. Ich war froh, als mich Seele nach ihrer Sommerfrische ins Ötztal einlud. In Lengenfeld wohnte sie. Eine schöne Gegend. Aber dumm! Infolge Inzucht gab es unter den Einwohnern viele Idioten. Ich konnte mich stundenlang mit den idiotischen Kindern unterhalten. Seele war reizend zu mir. Ich lachte sie freundlich aus, weil sie die Manie hatte, auf Ausflügen so viel Blumen und Zweige abzurupfen, daß sie vor Schlepperei nie zu einem vollen Genuß kam. Aber sie liebte und pflegte die Blumen daheim zärtlich. Als ich auf einem Spaziergang ganz unnötigerweise, nur um kühn zu sein, in einer schmalen und kurzen, aber ganz steilen Felsspalte hochkletterte, von Busch zu Busch, mußte ich – da ich nicht mehr umkehren konnte – durch den Kadaver einer abgestürzten Kuh kriechen. Das war entsetzlich.

      Ich wollte endlich wissen, wie es um Seebach stand, und fuhr nach München. Ich wußte, daß er ins Hotel Wagner übersiedelt war. Als ich nun dort sein Zimmer betrat, traf ich nur eine fegende, ältliche Zimmerfrau. Der Baron wäre soeben fortgegangen. Sie wüßte nicht, was der Baron eigentlich hätte. Er sagte immer was von Blutgeruch. Die Zimmerfrau hielt im Fegen inne und schnüffelte nach allen Seiten: »I riach fei nix!«

      Biegemanns Geldangelegenheit hatte sich verzögert. Ein paar Tage logierte ich bei einer zärtlichen, klugen Frau, dann fuhr ich mit meinem Gepäck nach dem Hotel Wagner. Seebach und ein Oberkellner, Seite an Seite, waren gerade damit beschäftigt, unter laut anfeuernden Rufen und gleichmäßigen Stößen den Deckel eines überfüllten Rohrplattenkoffers zuzudrücken. Beide waren vor Anstrengung und Frühschoppen krebsrot im Gesicht.

      Wir reisten ab. Zunächst nach Berlin, wo wir zwei Tage im Hotel Töpfer wohnten. Dann für einen Tag nach Danzig, wo Seebach seine Mutter besuchte, mit der er nicht sonderlich herzlich stand. Dann weiter nach Riga.

      Halswigshof

       Inhaltsverzeichnis

      Ich war schon lange darauf bedacht gewesen, meinen Wäschebestand zu ergänzen. Seelchen hatte mir einen weißen Anzug gekauft und einen Chapeau claque. Sogar einen Frack besaß ich. Den hatte mir ein Simplgast, der Rechtsanwalt Siegfried Herzberg geschenkt.

      Unterwegs bekam ich zum erstenmal Streit mit Seebach. Ich flüsterte ihm im Speisewagen zu, daß ich mir sechs Schachteln Zigaretten in die Unterhose gesteckt hätte, die ich durch den Zoll nach Rußland einschmuggeln wollte. Biegemann war darüber empört. Das wäre unvornehm. Das wäre ein Betrug. Daraufhin zog ich beleidigt die Schachteln aus der Unterhose, was sich gewiß sehr komisch ausnahm, und warf sie aus dem Fenster.

      In Riga stiegen wir aus. Ich suchte mir ein kleines Hotel mit dem vertrauenerweckenden Namen Parkhotel.

      Ich wollte, daß Biegemann beim Wiedersehen mit seiner Braut allein wäre. Deshalb reiste er verabredeterweise voraus nach dem Gute Halswigshof. Er wollte mich nach zwei Tagen telephonisch abrufen.

      Das Parkhotel kam mir bald sehr merkwürdig vor. Ein unheimlicher Wirt oder Portier hatte mir ein kahles Zimmer angewiesen und verhielt sich in jeder Weise mißtrauisch zu mir. Tagsüber war das Hotel totenstill. Nachts aber schlugen Türen zu, flüsterten, lachten, weinten Stimmen. Und ich war dumm genug, daraus keine Schlüsse zu ziehen.

      Allerdings trieb ich mich den ganzen Tag über neugierig in der fremdartigen Stadt umher, die soviel Neues für mich und die drei Sprachen und drei Gesichter hatte.

      Ich war zunächst nach dem Vorort und Badeort Bilderlingshof gefahren, um meine Freundin Fanjka zu überraschen, die dort mit ihrer Schwester ein Sommerhäuschen bewohnte. Sie wurde rot und blaß vor Aufregung, als ich an der Tür stand. Ich glaube, sie liebte СКАЧАТЬ