Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
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Название: Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band)

Автор: Joachim Ringelnatz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027203697

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СКАЧАТЬ Der hielt das Tau umklammert, war von den Stufen abgeglitten und pendelte nun an dem Tau. Ich eilte ihm zur Hilfe, geleitete ihn nach oben und fragte, was mir die Ehre verschaffe. Als er zu Atem kam, berichtete er, daß er schon bei Herrn Telschow gewesen wäre, der aber noch im Bette lag und nicht aufzuwecken war. Es handelte sich um folgendes. Der vollbärtige Herr war der Direktor der Virchowquelle. Er meinte, unser Kalifenstreich und der Artikel in der Rheinisch-Westfälischen Zeitung wären von einer Konkurrenzfirma aufgezogen und gegen seine Quelle gerichtet. Ich schwur, daß ich von der Existenz einer Virchowquelle erst durch jenen Zeitungsartikel mir unbekannten Verfassers erfahren hätte. Aber er glaubte mir nicht recht. Es rührte mich, daß ein alter Herr sich so erregt zu mir bemühte, und es schmeichelte mir, daß man unseren Scherz so ernst nahm. Deshalb versprach ich, eine berichtigende Erklärung in verschiedenen Zeitungen zu publizieren. Das tat ich dann auch, sehr ungern.

      Das Leben war lustig, aber mein Frankfurter Chef war kein Hamburger, und ich wünschte mich fort.

      (Ich nehme jetzt an gegebener Stelle wieder den Faden der Erzählung auf »Das Abenteuer um Wilberforce«.)

      »Das Abenteuer um Wilberforce«

       (Schluß)

       Inhaltsverzeichnis

      Ich wog die Freuden und Sorgen meiner Seefahrten gegeneinander ab, dachte an die wechselvollen Erlebnisse in fremden Orten, auch an Hull, an Blooms cook und an das Abenteuer mit dem geschminkten, nach Himbeeren duftenden Girl, das ich am Wilberforce – ich wußte inzwischen, wer Wilberforce war –, das ich am Wilberforcedenkmal angesprochen hatte.

      Eine unbändige Sehnsucht nach Hull erfaßte mich. Ich kündigte plötzlich meine Stellung, und fünfzehn Tage später war ich reisebereit.

      Meine Eltern sollten nichts davon erfahren. Weil mir aber nach Begleichung der Miete und verteilter anderer Schulden nur noch ein paar Mark verblieben, wandte ich mich telegraphisch an meinen besten, eigentlich einzigen Freund Martin Fischer mit der Bitte, mir zehn Mark zu leihen. Ihm wäre das leicht gefallen. Auch war es das erstemal, daß ich ihn um eine solche Gefälligkeit anging.

      Aber ich erhielt weder Geld noch Antwort und schrieb dem Freund nie wieder und sah und hörte von ihm nichts mehr.

      Nun suchte ich zunächst Telschow in Eltville auf, der mir zwar auch nicht zu Geld verhalf, aber sich sonst sehr freundschaftlich zeigte und von meinem Vorsatz, nach England zu reisen, begeistert war. Noch einmal ließen wir unsere Freundschaft und unsere Begeisterung in unserem Leibsekt »M.M.« treiben.

      Ich hatte mir ausgesonnen, mich zu Fuß mit meiner Mandoline als fahrender Musikant bis nach Holland durchzuschlagen und dann per Dampfer nach Hull zu fahren. Dieser Plan war insofern phantastisch und frech, als ich von Natur aus durchaus unmusikalisch war, niemals Mandolinenunterricht genossen hatte und auf diesem Instrument mit Mühe und Not nur fünf Lieder ganz dilettantisch und kindlich spielen konnte. Von Noten, von Akkorden wußte ich nichts.

      Dennoch machte ich mich auf den Weg, an einem Abend, da Hunderte von Nachtigallen am Ufer sangen, und mein Freund gab mir ein Stück das Geleit.

      Ich trug einen grünen Lodenanzug, ein Jägerhütlein, in einem Wachstuchfutteral meine Mandoline und in einem dürftigen Köfferchen aus Segeltuch einen überlangen Gehrock sowie etwas Wäsche. Den Rhein abwärts von Dorfkneipe zu Dorfkneipe.

      Ich spielte »Wie die Tage so selig verfließen«, dann »Hans und die Ella saßen im Keller«, dann »Santa Lucia«, dann »Daß ich so klein und niedlich bin, das hab' ich von meiner Mama«, und bevor ich das fünfte, das letzte Lied, mein Lieblingslied »La Paloma« zugab, sammelte ich ein.

      Die Bauern, mehr oder weniger von der Musik gerührt – es kam vor, daß dem einen oder anderen Tränen in den Augen standen –, gaben mir Kupferpfennige und Wein, und in den Gasthöfen, wo ich übernachtete, forderten die Wirte keine oder höchstens geringe Bezahlung. In größeren Orten, in vornehmen Restaurants, eleganten Gartenlokalen, setzte ich mich bescheiden in einen Winkel, holte mir auch zuvor beim Wirt die Erlaubnis zum Spielen ein. Die Gäste dort, gerührt oder belustigt durch mein klägliches Geklimper, legten Fünfer oder Zehner in meinen Teller und spendeten mir im Übermaß Essen und Trinken. Solcherweise geriet ich auch in Hochzeiten und sonstige Festlichkeiten, da ich denn noch freigebiger beschenkt wurde.

      Meine Hosentaschen waren voll und schwer von Münzen. Es gewährte einen wundersamen Reiz, mit beiden Händen darin zu wühlen. Ich war meines Glückes voll bewußt. So reich, so frei und dabei ein Landstreicher zu sein, den niemand beneidete noch ausnutzte, dem alle Wohlwollen oder Mitleid entgegenbrachten, dem schlimmstenfalls mißtrauende Menschen auswichen.

      Nur wenige Male ereignete es sich, daß ein Landgendarm mir bedeutete, es wäre nun an der Zeit, mich weiterzuscheren. Ich sah auch bald sehr nach Landstraße aus. Mein Gewand, meine Schuhe waren abgenutzt, verschwitzt und verstaubt. Haar und Bart ließ ich wachsen, wo und wie sie wollten.

      Bei den Schlächtern und Milchhändlern, die mein Kleingeld gegen größere Münzen einwechselten, zu welchem Zwecke ich die Pfennige, Fünfer und Groschen hübsch gleichmäßig in Häufchen auf den Tisch zählen mußte, erhielt ich nachdem fast jedesmal ein Zipfelchen Wurst, einen Trunk frischer Milch.

      Es waren malerische Straßen, die ich zurücklegte. Da mein Geld wuchs und mir die Gelegenheit, es zu verausgaben, meist gastfrei abgeschnitten wurde, so konnte ich mir's bald leisten, für längere Strecken die Rheindampfer zu benutzen, und auch auf diesen Fahrten schlug ich Geld aus meinen wimmernden Saiten.

      Vor Rotterdam ballten sich Besorgnisse in mir. Ob man mich an der Grenze anhalten und ausforschen, für einen Stromer halten und zurückweisen würde. Aber alles verlief dann gut. Ich überschritt mit Herzklopfen, doch unbehelligt die Grenze und bezog ein Quartier in einem schlichten Gasthaus, wo ich die Miete für eine Nacht im voraus entrichtete.

      Am nächsten Morgen forderte ich im Büro der Wilson-Line ein Ticket zweiter Klasse nach Hull für einen Dampfer, der noch am selbigen Abend abdampfen sollte. Das Billet kostete fünfzehn Schillinge; dar über hatte ich mich bereits in Frankfurt orientiert.

      Der Herr am Schalter sprach gut deutsch. Bevor er mir den Fahrschein einhändigte, fragte er, wieviel Geld ich bei mir hätte. So oft am Tage hatte ich meine Schätze überzählt, ich wußte bis auf den Pfennig, was ich besaß. Ich antwortete prompt und lustig: »Neunundvierzig Mark und zweiundzwanzig Pfennige.«

      Der Schalterbeamte zuckte die Achseln. »Ich bedaure«, sagte er, »Sie können nicht reisen. Sie müssen in England fünf Pfund, also hundert Mark, vorweisen können. Ich darf Ihnen den Fahrschein nicht ausliefern.«

      Es gab ein Hin und Her von Reden, die meinerseits entrüstet, flehend, verbittert klangen. Der Angestellte der Wilson-Line blieb ruhig und höflich und unerschütterlich. Ich wankte hinaus durch Straßen, nach dem Hafen.

      Der Anblick der Schiffe und alles, was mich sonst seemännisch hätte anheimeln müssen, ließ mich nun kalt, war beschattet von dem Gedanken, daß ich so nahe am Ziel wieder umkehren sollte. Ich sann auf einen Ausweg. – Der Herr am Schalter war nicht allein höflich, sondern sogar herzlich gewesen. Ich wollte ihn noch einmal bestürmen.

      Er hörte mich freundlich an. Er überlegte. Mir ward heiß vor Hoffnung. Er fragte: »Haben Sie noch einen anderen – einen besseren Anzug?«

      »Jawohl!« sagte ich eisern, und mein Gehrock, ein schneeweißes Hemd und ein nagelneuer Kragen blähten sich in meinem Hirn.

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