Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band) - Joachim Ringelnatz страница 55

Название: Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band)

Автор: Joachim Ringelnatz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027203697

isbn:

СКАЧАТЬ In rasender Eile anstrengendste Arbeit. Schweiß gemischt mit Kohlendreck. Hinterher Belohnung: »Antreten zum Schnapsempfang.« »Nymphe« war ein Torpedoversuchsschiff. Und auch für funkentelegraphische Versuche bestimmt. Kommandant war der Korvettenkapitän Stahmer. Unsere Übungen in der Nordsee und in der Ostsee führten uns nach den meisten deutschen Häfen. Dann fuhren wir für eine Zeit nach Norwegen. In Arendal empfingen uns die Bewohner mit großer Begeisterung. Schöne Damen und Mädchen kamen an Bord. Man tanzte. An Land wurde abends weitergefeiert. Die Nationalhymnen stiegen. Beim Abschied winkten zarte Tücher.

      Wir hatten einen Ersten Offizier, der nicht ganz richtig im Kopf war und uns arg zusetzte. Er gab Befehle wie: »Alle Mann antreten zum Durchfrieren auf der Back.« Dann mußten wir regungslos in der Kälte strammstehen. Zur Abhärtung. Es hagelte Strafen. Ich kam aber zunächst gut davon. Obwohl ich eines Abends, da ich angeheitert die Barbarossabrücke betrat, beinahe Prinz Heinrich umgerannt hätte.

      Einmal fuhren wir den Prinzen Ludwig von Bayern von Bremen nach Helgoland. Ein Graf Zeppelin war unter seinen Begleitern. Der hat mir in späteren Jahren erzählt, daß es auf der »Nymphe« eine große Wuling gegeben hätte, weil der Prinz darauf bestand, daß die bayrische Standarte gehißt würde. Der Kommandant aber wollte diese teure Flagge nicht extra für diese Fahrt anschaffen. Ich merkte damals davon nichts. Ich hatte nur die Ehre, als Signalgast dicht neben dem hohen Herrn zu stehen und ihm einmal eine Hanf matte unter die Füße zu schieben, wobei er mich »sehr ungeschickt« nannte. Von Helgoland fuhren wir nach Hamburg. Ein Sturm der Entrüstung erhob sich, als der Kommandant uns Stadturlaub verweigerte. Daraufhin erhielt ein Teil der Mannschaft Urlaub. Von dem andern Teil entfernten sich viele heimlich, indem sie an der Ankerkette herunter in ein Zivilboot kletterten. Da sich sogar die Fälle von Desertionen mehrten, verließ das Schiff nach zwei Tagen Hamburg und fuhr nach Kiel.

      Als Signalgast mußte ich auf der Brücke alles beobachten, was ringsum auf dem Wasser und an Land vorging. Das war sehr abwechslungsreich und spannend. Da sah ich morgens das Bäckerboot, das den vielen verankerten Schiffen die Semmeln brachte. Das Boot kenterte, und nun schwamm der Bäcker zwischen Hunderten von Semmeln. Andermal passierte ein Boot, das mit Huren besetzt war. Als es dicht an uns vorbeiruderte, hoben die Weiber ihre Röcke hoch und zeigten uns ihren Hintern.

      Wenn sich nachts unser Routineboot von Land zurückkommend näherte, mußte ich es durchs Megaphon anrufen: »Boot ahoi!« Der Bootsführer rief dann zurück: »Nein! Nein!« Das hieß: Ich bringe nur Mannschaften. Oder er rief: »Ja! Ja!« Das hieß: Es ist ein Offizier im Boot. Oder: »Nymphe!« Das hieß: Wir bringen den Kommandanten. Wäre der Kaiser auf dem Boot gewesen, so hätte die Antwort »Standart« gelautet. Solche und hundert andere Dinge mußte ich beherrschen.

      War die »Nymphe« Wachschiff im Hafen, so hatte sie mittags um zwölf Uhr einen blinden Schuß abzufeuern, nach dem sich alle Schiffsuhren richteten. Das mußte äußerst pünktlich geschehen. Manchmal verzögerten aber die Geschützführer den Schuß ein wenig, um ein ahnungslos vorbeifahrendes Zivilboot mit dem Knall zu erschrecken. Denn die Schnelladekanonen tönten gewaltig. Wenn die Kriegsschiffe im Hafen bei feierlichen Anlässen Salut schossen, bebten in ganz Kiel die Fensterscheiben.

      Sehnlich wurde die tägliche Post erwartet. Grüße und Neues von daheim. Mein Bruder Dipl.-Ing. suchte eine Stellung als Bergdirektor. Ottilie studierte Musik am Konservatorium. Mutter sandte mir Butter aufs Brot und Putzpomade für mein Geschütz. – Ich las Auerbachs Spinoza und was mir sonst der Zufall in die Hände spielte. Einmal besuchte mich mein Schulfreund Adam, der auch zur Marine gegangen war. Wir sprachen unter anderem von dem dritten Seemann aus unserer Klasse, dem genialen Mitschüler Harich. Als ich einmal auf einem Schiff in Hamburg ankam, erkannte ich ihn auf einem auslaufenden Schiff. Wir winkten einander zu und tauschten einen frohen Zuruf. Harichs Schiff ging dann unter, er ertrank.

      Wir beschossen zu Versuchszwecken alte, ausrangierte Torpedoboote, die man mit Kork gefüllt hatte. Andermal war ein großes Scheibenfloß das Ziel. Der Sturm zerbrach es. Wir zimmerten die Balken am Strande der dänischen Insel Aroe wieder zurecht. In dem dänischen Ort Gjedser entfernte ich mich heimlich und unbemerkt und brachte meine Bluse voll schöner Äpfel zurück, die mir ein hübsches Landmädchen geschenkt hatte.

      Zwischen den normalen Arbeiten auf »Nymphe« wurden immer wieder und ganz plötzlich die wichtigsten Bordmanöver geübt. »Feuerrolle«, »Klar zum Gefecht«, »Schotten dicht«. In der Kieler Bucht gewahrte ich weit draußen einen Menschen, der ganz unerklärlich hoch aus dem tiefen Wasser ragte. Ich rief sofort »Mann über Bord«. In wenigen Minuten wurde der Mann an Deck gebracht. Es war ein Student, der sich aus einem gekenterten Segelboot auf eine Life-Boje gerettet hatte. Er war sehr lange im Wasser herumgetrieben.

      Zur Kieler Woche hatten wir Signalgäste heiße Stunden auf der Brücke. Der Hafen lag voll von Kriegsschiffen, die über die Toppen geflaggt hatten. Denn der Kaiser war anwesend, und man erwartete ein englisches Geschwader mit dem König von England. Jedes Schiff wollte die englische Königsjacht zuerst entdecken. Auch ein dänisches Geschwader hatte Kiel besucht. Die glaubten die englische Jacht zu sehen und schossen Salut, und einige von unseren Schiffen fielen ein. Aber die Meldung stimmte nicht, und so wurde ein halber Salut umsonst verpufft. Abends war ein Bankett im Jachthaus. Als der Kaiser seinen Toast auf den König von England ausbrachte, wurde der ganze Hafen und wurden sämtliche Schiffe durch einen einzigen Knips märchenhaft illuminiert. Ich hatte Wache auf der Brücke und öffnete in diesem Moment eine halbe Flasche Sekt. Die trank ich feierlich ohne Glas, nicht auf das Wohl des kings.

      An den nächsten Tagen fanden die großen Ruderregatten statt, für die wir monatelang trainiert hatten.

      Es war stets ein Fest für mich, wenn ich einmal mit studierten oder künstlerisch orientierten Leuten zusammenkam. So besuchte mich Vaters Freund, Herr Gerlach, der Spezialzeichner der Leipziger Illustrierten Zeitung. Er traf mich an Bord, als ich gerade meine Hose ausgezogen hatte, um eine diskrete Stelle daran zu flicken. Komischerweise war mir das vor dem Gast sehr peinlich.

      Andermal wurde »Nymphe« zur Verfügung des Flottenvereins nach dem Seebad Warnemünde kommandiert. Abends trieben sich die Matrosen zwischen den Strandkörben herum. Sie trugen weiße Paradehemden und siegten damit. Nur ich wanderte lange allein herum. Bis mich zwei Rostocker Studenten ansprachen und zum Bier einluden. Einer von ihnen schenkte mir beim Abschied eine Rose. Dieses Erlebnis erfüllte mich sehr.

      Es fanden die großen Manöver statt. Weil der Kaiser zugegen war, herrschte eine fieberhafte Nervosität. Die wellte von den hohen Instanzen anschwellend nach den tieferen und brandete bei uns einfachen Soldaten.

      Es folgte ein Landungsmanöver bei Wismar. Die Schiffe näherten sich, soweit es die Meerestiefe erlaubte, dem Lande. Dann fuhren die Boote, soweit sie konnten, und dann mußten wir durchs Wasser waten, zum erstenmal infanteristisch und feldmarschmäßig ausgerüstet, mit Tornister, Gewehr und leichten Geschützen. Die Offiziere ließen sich von Matrosen auf den Schultern an Land tragen. Ich bot mich einem Oberleutnant an, den ich nicht leiden konnte, weil er so liebedienerisch nach oben war. Wenn der Kronprinz in Kiel im Segelboot zehnmal an unserer Nymphe vorbeikreuzte, brüllte dieser Leutnant sich die Lunge aus dem Hals: »Oberdeck stillgestanden! Front nach Backbord!« Nur um beim Kronprinzen angenehm aufzufallen. Diesen Oberleutnant nahm ich auf die Schultern und ließ es sich ereignen, daß ich stolperte und wir beide der Länge nach ins Wasser fielen.

      Nach Schluß der Manöver verlas man uns eine Kaiserliche Order, die Allerhöchste Anerkennung aussprach und jedem Unteroffizier eine Mark, jedem Matrosen fünfzig Pfennige bewilligte. Unser Kommandant hatte einen Orden mehr.

      Im September stellte »Nymphe« außer Dienst. Nach siebenmonatigem Borddienst war ich froh, wieder einmal in die Kompanie zu kommen. Dort hauste ich gemütlich mit alten Soldaten zusammen. Dem langweiligen Kasernendienst entzogen wir uns mit allen Schikanen der Drückebergerei.

      Mein Vater schrieb mir, daß СКАЧАТЬ