Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band) - Joachim Ringelnatz страница 54

Название: Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band)

Автор: Joachim Ringelnatz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027203697

isbn:

СКАЧАТЬ hatte.

      Der Arzt kam zur vorgeschriebenen Untersuchung an Bord.

      Am 24. November musterte ich in Altona ab.

      Einjährig-Freiwilliger

       Inhaltsverzeichnis

      Herr Ristelhüber nahm mich wieder in seinem Geschäft auf, zahlte mir aber diesmal weniger Gehalt. Ich war eifrig. Auf Botengängen lernte ich neue Stadtteile Hamburgs kennen.

      Weihnachtsgeschenke von den Eltern und Geschwistern trafen ein. Wie anders war mir dieser Heilige Abend als der im verflossenen Jahr. Mein Chef hatte mich zu sich eingeladen. Außer seiner Frau war auch noch die Tochter mit ihrem Bräutigam zugegen. Alles warme und rege Menschen. Ein Tisch voll reicher Gaben war für mich aufgebaut. Fräulein Ristelhüber sang schön, und mein Chef trank auf das Wohl meines »prächtigen« Vaters. Er war sehr lustig aufgelegt und unterbrach mich mit freundlichen Klapsen, wenn ich etwas von Dank äußern wollte.

      Ich ging ins einundzwanzigste Jahr und mußte nach Kiel fahren, um mich dort auf Diensttauglichkeit untersuchen zu lassen. Anfangs zu meinem Schrecken, dann aber zu meiner Freude, auf jeden Fall aber zu meiner Verwunderung wurde ich angenommen und auch gleich dort behalten, durfte nicht erst noch einmal nach Hamburg zurück. Ich verabschiedete mich schriftlich von Herrn Ristelhüber.

      Mit dreizehn anderen Einjährigen kam ich zur Zweiten Kompanie der Ersten Matrosendivision. Die meisten dieser Einjährigen waren wenig gebildete Leute. Sie hatten das Examen auf der Steuermannsschule gemacht. Dafür waren sie gute Seeleute.

      Wochenlang sollten wir die Kaserne nicht verlassen. Wir badeten, wurden rasiert, eingekleidet und instruiert. Unsere Zivilsachen schickten wir heim.

      Nun begann der stramme Dienst bei der Kaiserlichen Marine. Um sechs Uhr morgens weckten uns Tambour und Spielmann mit der laut tönenden Melodie »Freut euch des Lebens«. O Gott! Es war gar nicht Zeit, sich des Lebens zu freuen. Rasend schnell mußten wir uns waschen, rasend schnell anziehen, rasend schnell alles Weitere ausführen. Stiefel putzen, Strohsack in Ordnung bringen, Kaffee mit trockenem Brot hinunterschlingen, Wasser holen, Stube fegen usw. Dann Instruktionsstunde, zunächst über das Thema »Militärischer Gruß«. Dann Freiübungen, Kopfrollen, Rumpfbeuge. Dann exerzieren, daß die Knochen sich bogen und die Gelenke knackten. Mir fiel das leichter als den anderen Dreizehn, weil ich der Jüngste war. Ich war auch der Kleinste und deshalb linker Flügelmann. Es gab sich leider so, daß ich alle Wochen einmal mit dem baumlangen rechten Flügelmann zusammen die großen und überfüllten Pißkübel, die nachts im Korridor aufgestellt waren, vier Treppen hinab auf den Hof tragen mußte. Ich kam dann nie mit trockenen Strümpfen zurück.

      Mittags ein Gang, Steckrüben oder dergleichen, an glücklichen Tagen Erbsen. Dann Zeugwäsche, ordnen, die einzelnen Kleidungsstücke und Ausrüstungsgegenstände mit Stempeln versehen oder Namenläppchen hineinnähen usw. Zum Abendbrot Tee mit trockenem Brot. Mit dem Zapfenstreich neun Uhr zu Bett. Und dazwischen immer wieder Appell, Musterungen, Abzählen usw.

      Für Geld erhielt man in der Kantine besondere Lebensmittel. Für Geld übernahmen die Feldwebelsfrauen das Einnähen der Namenläppchen. Wer Geld hatte, gab seine Wäsche an Waschfrauen, denn sonst mußten wir sie in kaltem Wasser waschen. Wir bekamen alle Dekaden ein paar Pfennig Löhnung. Damit war nicht auszukommen, obwohl wir weder eine Extra-Uniform tragen, noch eine Privatwohnung halten durften. Vater zahlte mir monatlich fünfzehn Mark, und Mutter sandte Freßkisten. Zivilschuhe wurden erlaubt, wenn ihre Bauart gewissen Vorschriften entsprach. Wir lernten eine Million Vorschriften auswendig.

      Ich lag mit elf Einjährigen in einer Stube. Hinter einer Schrankwand hausten ein Obermatrose und ein Obermaat. Die erzogen uns und sammelten Geld von uns zum Einkauf von Gardinen, Spindtapeten u. dgl. Denn die Stuben wetteiferten miteinander in bezug auf Sauberkeit und Schmuck.

      Mit der Zeit wurden wir geimpft, erhielten Gewehre, dann fand die feierliche Vereidigung statt. Wir durften nun abends allein die Kaserne verlassen.

      Im militärischen Gewimmel in den Straßen Kiels gab's dann zunächst die komischen oder folgenschweren Verwechslungen beim Grüßen der Vorgesetzten. Wir hielten einen betreßten Hotelportier für einen Admiral und umgekehrt und ähnliches.

      Zu Kaisers Geburtstag war großer Trubel. Man gab uns Kuchen und Schokolade und zu Mittag pro Mann ein Streifchen Renntierbraten sowie eine Flasche Bier. Die Hauptfeier fand abends in einem großen Etablissement statt, wozu der höchste Admiral und die Offiziere mit ihren Damen erschienen. Die Mannschaften durften sich Köchinnen und andere Mädchen mitbringen. Theatervorstellung, lebende Bilder. Dann großer Ball. Alles in Gala, wir Matrosen in Paradeuniform. Ich fühlte mich aber sehr einsam. Weil ich nicht tanzen konnte, kehrte ich schon um elf Uhr in die Kaserne zurück.

      Unsere Freude an unseren Uniformen war natürlich anfangs eine sehr stolze gewesen. Wir alle hatten uns bei der ersten, sich bietenden Gelegenheit photographieren lassen, mit fürchterlicher Seeschlacht im Hintergrund. Da aber in Kiel nur wenig Zivilisten, hingegen Tausende von Marinern waren, merkten wir bald, daß ein Matrose dort keine Rolle spielte. Die Mädchen nannten uns verächtlich »Kulis« und sahen nur nach den Offizieren. Und die Kaufleute, die doch von uns lebten, wußten, daß wir auf sie angewiesen waren und behandelten uns hochmütig. Andererseits war auch ein unbeschreiblich rohes Pack unter uns. Eine Dame durfte sich nachts nicht auf die Straße wagen, wo die Urlaubsboote anlegten.

      Mir fiel der Dienst nicht schwer, zumal wir einen sehr netten Sergeanten hatten. Er redete uns zwar nur mit »dämliches Roß«, »Schwammnase« oder »Besoffene Lerche« an, aber das kam nicht von Herzen. Ich hoffte im stillen, nach meiner Ausbildung nach Südwestafrika abkommandiert zu werden, wo damals die Hereros aufständisch waren.

      Meta Seidler sandte mir folgende Zeitungsnotiz zu:

      »Einem Schiffsjungen namens (mein Name war entstellt) scheint das Seefahren im letzten Augenblick leid geworden zu sein. Er war im Oktober 1902 für das Schiff ›Ramses‹ angenommen worden, hatte auch seine Effekten bereits an Bord gebracht, trat aber die Reise nicht mit an, ließ seine Sachen im Stich und kümmerte sich auch später nicht darum, trotzdem er einige Zeit nach der Ausreise des Schiffes hier noch gesehen worden ist. Wer über ihn, der ein Süddeutscher sein soll, Auskunft geben kann, wird gebeten, dies im Stadthause, Zimmer 27, zu tun.«

      Ich wußte, daß ich eine recht gute Ausrüstung an Kleidern und Wäsche, außerdem einen See-Atlas und sonstige praktische Gegenstände auf der »Ramses« zurückgelassen hatte. Das sollte ich nun wiederbekommen. Ich schrieb der Polizei meinen Aufenthalt und bat, meinen Kleidersack dem Heuerbas Krahl in Hamburg auszuliefern. Der bewahrte ihn dann ein paar Wochen auf und sandte ihn meiner Mutter zu. Die schrieb: Was ist mir da für ein abscheulicher Sack zugesandt, für den ich viel Geld zahlen mußte und der nur entsetzliche Lumpen und stinkende Abfälle enthält?

      Dienst – Appell – Musterungen. Jede Nähnadel hatte ihren bestimmten Platz. Jedes Wäschestück mußte zusammengerollt und mit einem blauen, manchmal mit einem weißen Läppchen umwickelt werden.

      Heimlich mietete ich mir nun doch ein Privatzimmer im Christlichen Hospiz, wo ich abends dichtend meine Urlaubsstunden verbrachte oder mit dem netten Wirt Schach spielte.

      Ich wurde auf den Kreuzer S.M.S. »Nymphe« kommandiert. Zu meiner infanteristischen Ausbildung kam nun noch die artilleristische und die bootsdienstliche. Da ich außerdem Signalgast wurde, mußte ich viele Signalsprachen nach geheimen oder internationalen Systemen erlernen. Meinen Augen wurden verantwortungsvolle Aufgaben gestellt. Doch standen mir die besten Fernrohre und Doppelgläser zur Verfügung.

СКАЧАТЬ