Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
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Название: Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band)

Автор: Joachim Ringelnatz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027203697

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СКАЧАТЬ von Ankerketten und Bootsankern klopfen, bis mir die Augen weh taten und ich deutlich spürte, wie sich Rost und Eisenstaub in meiner Lunge festsetzten.

      Der Bootsmann hatte uns inzwischen verlassen. Es hieß später, er habe auf einem russischen Segelschiff, das zwischen dem »Papenburger« und der »Elli« verankert lag, Stellung gefunden.

      Merkwürdig war, daß die Matrosen, seitdem er fort war, recht gut auf ihn zu sprechen waren. Alle, auch ich, hatten ihm zuletzt noch freundlich die Hand gedrückt. Es war wohl die mutige Entschlossenheit, mit der er hier im Auslande aufs Geratewohl seine Stellung aufgab, was uns so gefiel und uns manches aus seinem Schuldbuche streichen ließ. Nur der Steuermann schied mit ganz anderen Gefühlen und getraute sich seitdem nicht, an Land zu gehen, da er die Rache des Bootsmannes fürchtete.

      Am selben Tage, als der Bootsmann auf dem Deutschen Konsulat abmusterte – übrigens fungierte in Belize ein Neger als deutscher Konsul, der nicht einmal der deutschen Sprache mächtig war –, brachte der Alte einen neuen Matrosen namens August Berger mit. Das war ein alter Janmaat, hoch in die Vierzig, der sein ganzes Leben auf dem Wasser zugebracht hatte. Er war meistens auf ausländischen Schiffen gefahren, also, wie die Seeleute sagen, ein echter »Yankeesailor«. Seine lange, hagere Gestalt, der verwegene Schnurr- und Spitzbart, die finsteren Augenbrauen und die spitze, knochige Nase machten ihn zu einer Don-Quijote-Figur. – –

      Wenn den Kapitän auch keine direkte Schuld an den Schikanen traf, denen ich ausgesetzt war, so duldete er sie doch und kränkte mich oft durch seine ironischen Bemerkungen. So fragte er mich manchmal lächelnd, ob es mir vorn besser gefiele als achtern. Ich entgegnete dann, das wäre mir ganz gleich. Als ich eines Abends wie gewöhnlich die Mahlzeit für die Matrosen aus der Kombüse holte, ein kleines Häufchen Bratkartoffeln, blieb er stehen und fragte höhnisch, auf das Essen zeigend: »Ist das für dich?« Ich antwortete mit einem verachtenden Blick. Solcher Hohn tat weh.

      Ich dachte daran, meinem Vater zu schreiben, er möchte Kapitän Pommer bitten, mich in Belize zu entlassen.

      Der Steuermann zeigte wieder einmal eine merkwürdig scheinheilige Freundlichkeit. Er erzählte mir, daß der Bootsmann schon wieder von dem russischen Schiff fortgegangen wäre. Offenbar wollte er mich ausforschen, ob im Matrosenlogis etwas über den jetzigen Aufenthalt seines alten Feindes bekannt sei. »Seppl«, begann er eines Tages, als ich gerade damit beschäftigt war, eiserne Ketten mit Teer anzustreichen, »wenn es dir hier auf dem Schiff nicht gefällt, warum gehst du eigentlich nicht fort?«

      »Nun, ich darf doch nicht«, entgegnete ich erstaunt.

      »Ja, deine Papiere bekommst du freilich nicht!«

      Das glich einem sehr deutlichen Wink, heimlich Reißaus zu nehmen; aber ich kannte Steuermann Karsten und fühlte heraus, daß er damit auf den Busch klopfen wollte. Ich tat deshalb so, als ob ich derartige Pläne längst aufgegeben hätte.

      Als ich nach einiger Zeit das Vertrauen meiner Vorgesetzten wieder erworben zu haben glaubte, fragte ich den Steuermann, ob ich nicht abends an Land gehen dürfe, da ich notwendig Seife und mancherlei anderes brauche.

      »Nein, das besorgt dir alles der Alte.«

      »Ja, aber ich möchte doch gern für meine Angehörigen etwas kaufen.«

      »Ich kann das auch nicht«, erwiderte der Steuermann mit halb ernstem, halb ironischem Lächeln, »ich darf auch nicht mehr an Land, sonst schlägt mich der Bootsmann tot.«

      Es schien gar keine Möglichkeit, von Bord zu kommen, aber ich gab die Hoffnung doch nicht auf.

      Einmal war ich gerade im Zwischendeck mit Rostklopfen beschäftigt, als der Steuermann plötzlich nach vorn kam und laut rief: »Wer von euch will auf den Russen? Zwei Pfund Heuer.«

      »Ich!« schrie ich laut und stürmte an Deck.

      »Dann geh nach achtem!«

      Ich raste nach achtern. Ein Beiboot des russischen Segelschiffes lag an Steuerbord, und Kapitän Pommer, der eben eingestiegen war, rief mir von unten zu: »Willst du auf den Russen?«

      »Ja! Ja!«

      »Allright!«

      Ich jubelte. Nun sollte ich endlich mein ostfriesisches Gefängnis loswerden, und wenn ich auch wieder auf ein andere Schiff käme, so hatte ich dort doch sicher kein schlechteres, wahrscheinlich aber ein besseres Leben zu erwarten. Die Matrosen suchten mich von meinem Vorhaben abzuhalten, indem sie mir die üblen Verhältnisse auf russischen Schiffen schilderten. Die Mannschaft sollte dort weder erstes noch zweites Frühstück erhalten und vor Schmutz und Ungeziefer fast umkommen. Ich ließ mich nicht beirren.

      Zunächst hörte ich nichts weiter von der mir so wichtigen Angelegenheit, hütete mich aber auch, allzu große Neugier an den Tag zu legen. Der neue Matrose unterhielt uns jetzt immer während der Mahlzeiten und abends nach Ausscheiden mit seinen interessanten Reiseerzählungen. Er hatte ganz Yukatan durchquert, auf Plantagen gearbeitet, Walfischjagden mitgemacht und überhaupt sehr viel erlebt. Wir saßen beim Abendbrot mäuschenstill, wenn er uns eine Kronwaljagd beschrieb und uns erklärte, daß die Chinesen die Barten dieses Fisches haarfein zerschnitten und in die Seide verwebten, die daher, wenn man sie in der Hand zusammenballe, nach dem Öffnen der Hand wieder elastisch auseinanderspränge. Ebenso lauschten wir, wenn er uns zum Beispiel mit hochgelehrter Miene die Tatsache auftischte, daß aus Walfischexkrementen die herrlichsten Parfüme bereitet würden. Er erzählte auch von einem Eskimoweib, das, auf einer Eisscholle fortgetrieben und dem Hungertode preisgegeben, den eigenen Mann, das Kind und zuletzt den Hund aufgefressen habe. – Willy und Gustav berichteten eines Nachts, von Urlaub kommend, daß sie den Bootsmann an Land getroffen hätten, der mit einem russischen Matrosen herumbummelte und, wie er sich ausgedrückt hatte, »bei sich selbst« schlief. Er ließ mir sagen, ich möchte doch ja nicht auf das russische Schiff gehen.

      Wieder kam ein schöner Sonntag. Der Steuermann hatte mit Hermann, Paul und Gustav eine Bootsfahrt unternommen, auf der sie zwanzig große Seesterne erbeuteten. Der Kapitän vom »Russen« hatte unseren Alten besucht. Ich erfuhr aber zu meiner Enttäuschung nicht ein Wörtchen über meine Abmusterung.

      Ein Fischer, der gegen Abend in einem Ruderboot längsseit kam, verkaufte uns für einen Dollar zirka 20 Stück Hummer, die der Kapitän unter die Besatzung verteilen ließ, während er für die Kajüte einige Fische und für sich selbst sehr schöne Korallen erwarb. Ich hätte jetzt, wenn ich die Wahl gehabt hätte, eine deutsche Semmel entschieden dem Hummer vorgezogen, besonders, wenn ich die schlimmen Folgen desselben geahnt hätte. Ein Klosett war auf der »Elli«, wenigstens für die Mannschaft, nicht vorhanden. Der Klüverbaum und der darunter rauschende Ozean dienten uns als entsprechende Anlage. Dieser Platz, dessen Betreten mit einiger Lebensgefahr verbunden war, wurde am folgenden Montag auffallend viel in Anspruch genommen. Wir waren alle den ganzen Tag über merkwürdig still. Dann und wann hörte man den einen oder anderen kläglich stöhnen. Am Dienstag waren wir jedoch wieder hergestellt und erzählten uns nun, während wir das Deck teerten, unsere gestrigen Erfahrungen. Von dieser Unterhaltung wurden wir durch einen kleinen, aber eindrucksvollen Zwischenfall abgelenkt. Ein norwegischer Dampfer, der mit auf der Belizer Reede gelegen, lichtete die Anker. Als er an uns vorüberfuhr, erkannten wir den Bootsmann, der hinten am Heck stand und, seine Mütze schwenkend, zu uns herübergrüßte. Auch wir winkten ihm alle zu. Merkwürdig, wie schnell veränderlich unsere Gefühle sind. Der Abschied dieses Mannes, den ich so gehaßt hatte, stimmte mich jetzt wehmütig, und ich wünschte mir in Gedanken, diesen energischen Menschen zum Freund zu haben und ihn auf abenteuerlichen Fahrten begleiten zu dürfen.

      Wenn ich annehme, daß der Kapitän gleichgültig über ihn dachte, dann war nur einer auf der »Elli«, der ihm СКАЧАТЬ