Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr
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Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

Автор: Hermann Stehr

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831040

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СКАЧАТЬ du, Kastner,« begann er dann, »das ist das Ende der Kette, die mein Leben erwürgt. Ich habe Wally getötet, wenn sie gestorben ist, und in Schande gestoßen, wenn sie noch lebt. Und darum durfte ich nach dem reinen Herzen, nach Liese Plaschke, meine Hand nicht ausstrecken. Ich durfte nicht und wollte nicht, wollte nur an ihr gut machen, was ich an der andern verbrochen habe.

      Vielleicht, daß ich dadurch ein zweites Mal schuldig geworden bin, weil ich dies kindhafte Mädchen zu meiner Buße mißbraucht habe. Dann – ja – dann gibt es keine Rettung mehr für mich aus diesem grauen Wirrsal!!« –

      Faber schrie die letzten Worte fast wie einen Notruf aus. Sie klangen noch in der stillen Stube, da wich, wie von Geisterhänden gelöst, die Tür aus dem Schloß und schwang, langsam knarrend, in den Angeln weit auf, bis sie ans Bett anschlug.

      Auf der Schwelle kniete Liese, noch in der Stellung einer Lauschenden, die Arme weit ausgebreitet und das Gesicht bestürzt über ihre Bloßstellung. Sie hatte sicher, von Sorge und Neugier getrieben, die ganze Nacht vor der Tür auf dem Flur zugebracht und die Erzählung Fabers mit angehört. Aus seinen letzten verzweifelten Worten mußte sie die Überzeugung gewonnen haben, daß die Macht über das Schicksal meines Freundes in ihren Händen liege. Halbbewußt hatte sie dem Drang, sich zu opfern, nachgegeben und kauerte nun da wie ein Mensch, um den sich Gram und Freude streiten. Ich war von dem Sitz aufgesprungen, und auch Faber hatte sich ein wenig aufgereckt, erstaunt über den Einbruch des Mädchens, das jetzt zu zittern begann, als sie seine verstörten Züge gewahrte. Doch bald wich diese herzliche Angst von ihr. Sie faltete die Hände nach unten und senkte, einen Augenblick sinnend, den Kopf. Als sie ihn hob, war alle Beklemmung von ihr gewichen, strahlte ihr Gesicht im Glanz eines schmerzvollen Glückes, und immer mit den Blicken an meinem Freund hängend, flüsterte sie zu ihm herauf: »Herr, warten Sie bloß eine kleine Weile!«

      Dann huschte sie die Treppe hinunter und erschien bald darauf mit demselben Bündel, das sie vor acht Tagen in die Birken getragen hatte. Sie legte es vor den Füßen Fabers auf den Boden, kniete daneben und fing an, es eilig aufzubinden und darin herumzusuchen. Ein Paar Schuhe, eine Taille, ein Rock, Strümpfe, ein Tüchelchen und ein Stück vertrockneten Brotes wurden von ihren hastigen Händen über die Diele gestreut. Zu unterst lag ein kleines Päckchen in Papier, vielfältig mit einem roten Wollfaden verschnürt. Das reichte sie Faber herauf und sagte: »Lieber Herr, da nehmen Sie, was ich Ihnen wiedergeben muß. Das andere freilich werden Sie mir lassen müssen; das, was da liegt, und was ich in mir trage von Ihnen. Denn, daß ich anders seh'n und sinnen kann, anders lachen und geh'n, anders sein und Besseres tun kann, das alles, was Sie mir gegeben haben, gelt, mein Herr, das darf ich behalten?!«

      Sie sprach leise, vielfältig stockend, die Augen verschämt niedergeschlagen.

      Faber öffnete das Päckchen, und ein dürres Sträußchen Blumen, mit einem Faden Seide umschlungen, eine Schleife und ein trockener Tannenzweig kamen zum Vorschein.

      »Und was soll das?« fragte er.

      »Ach, mein Herr, das sein doch die Blumen und die Schleife, die Sie mir am Kommuniontage gegeben haben und das Zweigel aus'm Busche, wissen Sie, wo Sie mir den Packs getragen haben, weil ich nicht mehr fort konnte.«

      »Warum soll ich das nehmen?« sprach Faber.

      »Weil Sie mir genug gegeben haben und jetze fortgehen müssen von hier«, antwortete das Mädchen.

      »Liese, habe ich dir wehgetan?« fragte Faber ergriffen.

      Sie lenkte ihr Auge auf ihn, und unter glücklichen Tränen antwortete sie: »O ja, Herr, wie die Sonne dem Baume wehtut, wenn sie auf ihn scheint, daß er blühen muß vor lauter Schmerze, also haben Sie mir wehgetan. Aber jetze, jetze is Zeit, daß Sie fortgehn.«

      Sie schnürte eilig ihr Bündel, erhob sich und trat an Faber heran, dessen Gesicht in heiliger Blässe leuchtete.

      »Und wirst du nie denken, ich habe dich betrogen, Liese?« fragte er das Mädchen leise.

      Statt aller Antwort beugte sie sich und küßte seine Hand. Dann war sie verschwunden. Bald hörten wir ihre Schritte durch das Gras rauschen, wie wenn ein Vogel im Laube davonfliegt. – – – – – – – –

      Faber stand lange wie ein Erlöster und schwieg gleich einem Menschen, der aus bleiernem Schlafe zu lichtem Traume erwacht ist.

      »So sind Willmanns Worte doch wahr geworden, daß meine Liebe ins Sonnenhafte gedeihen soll«, sagte er dann und schüttelte voll Verwunderung das Haupt.

      Nach einigem Sinnen setzte er hinzu: »Menschen binden uns, und Menschen lösen uns. Wir werden von einigen gerichtet, von andern erhoben.«

      Darauf sah er sich mit umfangendem Blick in der Stube um, als nehme er Abschied, langte von der Wand das kleine Bild seiner Mutter, brach es aus dem Rahmen und steckte es zu sich. »Komm, laß uns gehen, Kastner, denn der Morgen ist nahe«, sprach er dann fest und ruhig, ergriff Stock und Mantel und verließ, vor mir herschreitend, das Zimmer.

      Einige Steinwürfe von der Schule entfernt, dem Birkenwäldchen gegenüber, durch das der Weg über Raspenau in die Welt hinausführte, häufelte sich am Rand des Wecknitzer Kessels ein kleiner Hügel, auf dem ein breitschirmiger, dichter Feldbirnbaum im lichten Weiß seiner brechenden Knospen stand. Dorthin lenkte Faber seine Schritte, und während des Hinganges sprach er: »Menschen binden uns, und Menschen lösen uns, und deren Hände uns aus dem Grabe heraus noch fesseln, denen muß man das Knie auf die kalte Brust setzen und den Griff ihrer Finger aufbrechen. Die Stunde, da ich dies darf, ist heute für mich gekommen, denn nun sind meine Hände ohne Makel. In all den Jahren meiner Buße und des leidvollen Wartens hatte ich nur die Form des Lebens. In Wirklichkeit aber irrte ich als Toter um die Hügel meiner Toten und rang mit ihnen, daß sie mich entließen in meine Sehnsucht, die immer ferner und ferner her lockte. Denn wie der Baum dem Samen, den er entläßt, seine Art aufzwingt, wie die Welle in die andere vergeht, um sich zu wiederholen: so erben auch die Menschenkinder die Fesseln derer, die sie zeugten, und Tausende und Abertausende wachsen und welken nutzlos hin wie das Gras der Gräber.«

      Unter diesen Worten waren wir an dem Baum des Hügels angekommen. Faber breitete seinen Mantel aus und lud mich ein, neben ihm Platz zu nehmen, indem er sprach: »Hier wollen wir warten, bis die Sonne kommt. Ich bitte dich, Kastner, bleibe diese letzten Stunden noch bei mir.«

      Links von uns schnitt zwischen Weiden, die silbriggrau wie schwach bewegter Rauch wallten, der Fingergraben durch den engen Kessel und zog weiter hinten eine sanfte Furche zwischen den Feistelbergen ins Land hinaus. In dieser Einsattelung quoll jetzt der erste Schimmer des Tages herauf, ein weißes, machtloses Licht, schon zu stark zum Vergehen und noch zu schwach zum Blühen. Dort hinein sah Faber lange, als warte er, daß etwas daraus herkomme in ihn. Und da er eine Weile vergeblich geharrt hatte, senkte er den Kopf und ward wieder traurig.

      »Viele Nächte«, sprach er, »habe ich durchwacht, bin in Feldern und Wäldern umhergeirrt und habe mich wohl auch auf den Kirchhof in Raspenau geschlichen, um an den Gräbern zu sitzen. Denn wo immer ein Mensch unter dem Hügel ruht, da liegt unser Vater, unsere Mutter, unsere Schwester, oder unser Bruder. Aber die Erlösung für den Lebendigen steigt ja nicht aus den Gräbern. Trotzdem wartete ich in verblendeter Treue, daß sich mein Morgen aus dem Leibe von Gespenstern gebäre. Die Sonne kam dann wohl; aber es wurde nicht Tag für mich. Denn der Tod meiner Eltern war schwer und trostlos und nahm den Bann nicht von mir, mit dem ihr Leben mich gekettet hatte.

      Etwa ein Jahr nach meinem Weggange aus Heisterberg fand meine Mutter eines Morgens den Vater tot vor dem Werktisch sitzen, mit dem Oberkörper über seine Arbeit gesunken, den Hammer in der kalten Hand. Obwohl er seit Jahren keine Beziehung mehr zur Kirche hatte, wurde ihm auf das inständige Bitten meiner frommen СКАЧАТЬ