Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen
Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075831040
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Also, basta, sann ich, die Pfarrer sündigen eben. Damit drehte ich mich gegen die Wand, um einzuschlafen. Aber dem Blick des Auges, der auch hinter dem geschlossenen Lide sich nicht beruhigen konnte, schien die Mauer erst leicht schwefelgelb, dann leuchtend orange zu glühen. Aus dem tief goldigen Licht wurde ein durchsonntes Kirchenschiff. Der Pfarrer Zimbal stand auf der Kanzel und schrie: »Tut euch auf, ihr Pforten des ewigen Heils!«, und mein Vater und ich schlichen beschimpft davon.
Das regte mich so auf, daß ich bald wieder auf dem Rücken lag und weiter bohrte: Im Katechismus steht doch, der heilige Geist sucht sich die Priester aus, und sie wohnen gleichsam in dem Alkoven, neben des Herrgotts guter Stube und verwalten seinen Gnadenschatz. Wie ist's da möglich, daß sie sündigen? Entweder ist Gott nicht klug genug, ihre Arglist schon im voraus zu erkennen, oder es fehlt ihm die Gewalt, die Unwürdigen aus den Kirchen zu schmeißen. Denn auch die bösen Pfarrer hören Beichte, kommunizieren, segnen Ehen ein und taufen, bleiben also immer noch das Rohr, durch das uns Gottes Gnadenschätze zuströmen. Ist da Gottes Gnade noch dieselbe, wenn sie durch solche Seelen gegangen ist? Schadet das Wasser meiner Gesundheit nicht, und wird es nicht ekelhaft verderbt, wenn es durch ein Jauchenrohr mir zufließt? Kommen da nicht Unheiligkeiten auch unter die Lehre und das Gesetz? Am Ende ist alles anders, als es im Katechismus steht, und Luther, Calwin, Zwingli und unser heimischer Schwenkfeld, die gegen arge Mißbräuche zu Felde zogen, behaupteten ein gutes Recht.
Ich lag in einem seelischen Wundfieber. Eine Hitze, die mir ins Gesicht schlug, sog mich in immer tiefere Zweifel hinein. Es waren Stunden wollüstiger Angst, wie zuletzt alles, losgenietet und abgebrochen, in buntem Wirbel um mich flog. Gegen das Ende, als sich meine Phantasie müde getobt hatte, fielen eine solche Öde und das Gefühl einer solch völligen Ratlosigkeit über mich her, daß ich zu beten versuchte, um mich aus der Not zu retten. Ich hauchte wohl lange, heiße Worte in meine Kissen hinein, aber sie hatten keine Kraft, sondern vermehrten nur die Betäubung, in die, bis zur schmerzvollen Pein, immer wieder Rinkes Stimme freche und gemeine Witzeleien krähte. Wie ein Trunkener, verwüstet und dumpf, kroch ich in den Schlaf, der mich mit verwildertem Träumen durch die ganze Nacht hetzte und am Morgen in den Tag, wie in ekelhaftes, gemeines Beginnen entließ.
Darum entschloß ich mich, der Anstalt und somit dem Lehramte den Rücken zu kehren und fühlte mich erlöst und geborgen, als mein Brief in der Wäschekiste unterwegs war. Ich zog es vor, das Schreiben mit dem Fuhrmann Feige nach Hause gelangen zu lassen, weil es nur so sicher in die Hände meiner Mutter kam, der ich, ohne Angabe von Gründen, meine Absicht als Wunsch kundgab und sie bat, den Vater unauffällig über seine Meinung auszukundschaften. Der Jugend bedeutet jeder feste Entschluß schon seine Erfüllung, und während die Antwort noch ausstand, verfügte ich über mein Leben, als sei es schon nicht mehr gebunden. Das Erlebnis mit dem Kapitän Gläsner hatte meine kindliche Begeisterung für den Schiffsdienst abgekühlt, und so fand ich, im Bestreben, mich dem Einfluß der Kirche möglichst zu entziehen, die Laufbahn eines Försters als schön und erstrebenswert. Ich sah mich schon, die Flinte auf dem Rücken, den Hund an der Seite, durch den hohen Wald gehen, und ob ich auch keinem Menschen etwas von dem Plane verriet, es ruckte mir doch den Kopf höher und ließ mich zu einer Art überheblicher Gleichgültigkeit kommen.
Dieser Episode der inneren Befreitheit bereitete der Brief meiner Mutter ein jähes Ende. Mit ihrer schweren Arbeitshand hatte sie in großen, hilflosen Buchstaben die letzten Vorgänge in unserem Hause und an meinem Vater niedergeschrieben. Wie ein freudiger Schreck durchfuhr es mich, als ich unter der Wäsche den großen Bogen hervorzog, der kraus mit den lieben Schriftzügen bedeckt war. Stube und Garten wurden mir zu eng. Auf einer Anhöhe, unweit der Stadt, las ich die Worte meiner Mutter immer und immer wieder, und was mir von dem bunten Rauch der Abenteuerlust in den Ferien fast verdeckt worden war, das trübe Schicksal, das sich immer fester in den Wänden unseres Hauses einnistete, stand Plötzlich scharf und drohend vor mir: Mein Vater litt zwar nicht mehr unter den Anfeindungen und Verunglimpfungen seiner Mitbürger, aber alles mied ihn wie einen Verfemten und sein Geschäft wie eine Spelunke. Das Hufeisen auf der Ladentürschwelle rostete, weil die Füße der Kunden seine beuligen Nägel nicht mehr blank kratzten. Die Werktafeln donnerten nicht mehr unter Hammerschlägen. Vor Wochen war der letzte Gesell davongegangen, denn er hatte es nicht ausgehalten, den ganzen Tag auf dem Rössel zu sitzen und die Daumen umeinanderzudrehen. Die Freude an meinen Fortschritten hielt meinen Vater allein noch aufrecht und brachte von Zeit zu Zeit den alten Mut in seine Augen.
Die Hoffnung, die er auf das Gelingen meines Lebens setzte, hatten ihn auch das Geschick leichter überwinden lassen, das über den Dorn-Schuster hereingebrochen war. »Schon lange«, so etwa schrieb meine Mutter, »lag ein schwerer Kummer wie ein grauer Schimmel über sein Gesicht. Er saß öfter als sonst an unserm Tisch; aber kaum, daß er sich niedergelassen hatte, regierte eine Unruhe in ihm, die ihn die Füße aneinanderstoßen, die Hände durchwinden ließ, in der Stube umhertrieb und unversehens zur Tür hinausjagte. Vor drei Wochen nun, in den Abendstunden, schlüpfte er ängstlich in unser Zimmer und schloß schon die Tür hinter sich, bevor er kaum die Füße umgestellt hatte, ganz wie einer, dem die Häscher auf den Fersen sind. Dann saß er eine Weile stumm auf der Fensterbank und starrte mit verzweifelter Aufmerksamkeit auf seine Hände. Ein Geräusch im Flur trieb ihn in die Höhe. Er steckte dem Vater schnell einen Beutel voll harten Geldes zu und zwängte sich dann in den engen Spalt zwischen Glasschrank und Wand. Anfangs verhielt er sich ruhig in seinem Versteck. Bald aber redete er wirr und halblaut von allem, was ihn getroffen hatte. Sein Sohn, der Robert, hatte seine Stelle in Wien verlassen und sich der Vagabondage ergeben. Vom Diebstahl war er zum Raub übergegangen und sah nun in einem Tiroler Kerker seiner Bestrafung entgegen. Dorns Frau hatte der Gram auf den Dachboden gelockt und sie dort mit der Wäscheleine erwürgt. Er müsse, so stotterte Dorn fortwährend in großer Angst, jetzt auf der Hut sein, daß man ihn nicht auch einsperre, weil er der Vater eines Räubers sei und seine Frau getötet habe. Leider erwiesen sich die Worte des Irren als Wahrheit. Der Vater beruhigte den Armen durch gütigen Zuspruch, zog ihn hinter dem Schrank hervor, führte ihn durch die Stadt, und als sie vor dem Krankenhause standen, redete er ihm vor, sie seien jetzt auf dem Bahnhof und wollten nach Berlin fahren. Nach einer Viertelstunde tobte der Beklagenswerte schon in der Zwangsjacke. Allein innerhalb vierzehn Tagen verließen ihn die Angstvorstellungen. Mit ihnen schwand jede Erinnerung an sein bisheriges Leben, und seine Seele blühte in wirrer, kindhafter Heiterkeit wieder auf.« Das schrieb meine Mutter, kürzer und treffender, wie ich es sagen kann, in jener kargen Art, zu der Menschen durch ein hartes Leben gelangen. Am Schlusse stellte sie es mir anheim, zu handeln, wie ich müsse. Natürlich konnte da von so oder anders wollen nicht mehr die Rede sein. Jetzt von der Anstalt abzugehen hieß, meinem Vater, der schon gebeugt dastand, von hinten unversehens einen Stoß versetzen, daß er auf das Gesicht hinschlug. Noch erblickte ich die ganze Welt durch meine Tränen hindurch als eine graue, formlose Masse, aber ich sprang auf und lief den Pfad hinunter der Chaussee zu, die sich im Tale hindehnte wie eine gelbe, endlose Pfütze. Mein Leiden, der Aufruhr des Zweifels, alles, was mich in den Tagen gleich einem hitzigen Fieber auf- und abgeworfen hatte, sank in mich hinein und lebte dort weiter als eine lauernde Unruhe, ein scheeles, verstohlenes Aufhorchen. Ja, es schwand zeitweise ganz aus meinem Bewußtsein, da mich die Arbeiten zur Aspirantenprüfung ganz in Anspruch nahmen. Eine fast krankhafte Sucht und Empfänglichkeit kam über mein ohnehin leicht- und treufassendes Gedächtnis. Aber wenn ich so aus dem Katechismus oder der Bibel memorierte, sagte es in mir: Es ist ja alles nicht wahr! Dann lächelte ich triumphierend, als habe ich etwas Wichtiges gefunden, und gieriger verschlang ich allen religiösen Lernstoff, nur um mir immer von neuem die Beteuerung geben zu können, daß man das alles den Menschen nur vormache.
Den Beweis für diese rein mechanische Leugnung lieferte mir vorderhand allein meine schlimme Erfahrung. Immer deutlicher klangen auch die Worte СКАЧАТЬ