Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr
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Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

Автор: Hermann Stehr

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831040

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СКАЧАТЬ beschränkt, er ist anpassungsfähiger als alle Mikroben der Welt.«

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      Faber hielt lauschend inne, stützte die Ellenbogen auf den Tisch und starrte mit gesenktem Kopf vor sich hin.

      Das Licht der Petroleumlampe summte in die peinvolle Stille. Der Wind stieß plump aufs Dach, und dann klang wieder nichts als dieser leise, leise Ton des Lichtes. Auch an Fabers Ohr mußte er gerührt haben, denn er hob langsam den Kopf und blickte versonnen in die Flamme, als wolle er erforschen, wie sie diesen Laut hervorbringe. Mit Millionen goldglänzender Füßchen trippelte sie auf dem rußigen Docht, sehr ängstlich und sehr ungeduldig. Er lächelte schwach, ohne seinen Ernst zu verändern und begann aufs neue:

      »Eine Flamme hat etwas unlösbar Geheimnisvolles. Schon als Knabe habe ich abseits von dem schwatzenden Kreis, der sich allabendlich in der Stube meiner Eltern auf der kurzen Burgzeile versammelte, in einem Winkel gehockt und auf die Decke gestarrt, wo die Tischlampe die bekannten konzentrischen Zitterkreise malte. Wie auf ein Geheimnis sah ich hin in stummem Staunen und konnte es nie begreifen, daß all die Leute, die am Tisch saßen, so eifrig zu reden imstande seien, wenn das Licht so eigen brannte. Es fanden sich immer dieselben Leute bei uns ein, wenn sie auch nicht jedesmal alle anwesend waren: Eine lange, magere Frau, welche so eigen lachen konnte, so wehend, zwischen den gespreizten Fingern hindurch, erzählte die Geistergeschichten von dem Burggrafen von Grafenort, der nach seinem Tode allnacht mit dem Kopf unter dem Arm umgehen mußte, weil er als Freimaurer seine Seele dem Teufel verschrieben hatte; von dem feurigen Hunde im Gänsewinkel und den tanzenden »Jesuitergebeinen« auf dem Schwedenkirchhof. Ein alter Junggeselle, Maler von Profession, log unter fortwährenden Wahrheitsbeteuerungen die tollsten Sachen zusammen, hörte aber sofort tiefgekränkt auf, wenn des Pfeffer-Gerbers Tochter, ein mildes, bleichwangiges Mädchen, hereintrat. Dann brummte der unverheiratete etwas von »dummen Gänsen«, saß noch eine Weile stumm und beleidigt da und verschwand dann stillschweigend. Der Dorn-Schuster hatte seinen Sitz immer auf der Holzbank, die ihre steife Lehne gegen das Brett des ersten der beiden Fenster preßte. Er ließ sich nur in Intervallen sehen, dann nämlich, wenn eine Wolke des Mißgeschicks um unser Haus stand. Dieser sanfte, verschwommene Mann lebte des Glaubens, meinem Vater sei geholfen, wenn er ihm die plumpe Zutraulichkeit, das rührende Ungeschick und die vollkommene Hilflosigkeit seines Herzens leiblich näher bringe. Vielleicht auch wollte er gar nicht helfen, sondern ward von seiner Ohnmacht instinktiv in den Luftkreis des Außergewöhnlichen getrieben. Kurz, er saß hinter dem Tisch, breit, gelassen und sicher. Die großen Hände lagen vor ihm ausgebreitet. Seine ausdruckslosen Augen sahen immer erstaunt umher, und die ewige Verwunderung hatte die semmelblonden Brauen hoch in die Stirn hinaufgezogen. Jedes herankreisende Gespräch fand ohne weiteres seinen Beifall, wohl deswegen, weil er immer Gelegenheit fand, seine belanglosen, ja törichten Zwischenbemerkungen zu machen, um dann, wenn es mit dem Austausch der Meinungen hoch herging, auch mit seinen Geschichten herauszurücken, da er bei solchen Gelegenheiten sicher sein konnte, daß niemand recht ihrer achtete. Er erzählte stets von seiner Arbeit: von ein- und zweinähtigen Stiefeln, von Kinder- und Knöchelschuhen. Die meisten fanden es komisch, daß er sich jedesmal dabei ungewöhnlich erregte. Aber sie übersahen, daß er darin seine Lebensanschauung vortrug. Diese gipfelte in dem Ausruf: ›Das nimmt amal kee gut' Ende!‹ Aus den Veränderungen im Geschmack der Käufer schloß er auf Wandlungen im Weltgetriebe. In jener Zeit verloren sich die zweinähtigen, gewichsten Langschäfter vom Markte. Da prophezeite er nun das Aussterben der Bauern und Knechte und das Heraufkommen der »Ökonome«, er tat das mit leidender, durchdringender Stimme, einem schmerzvollen Zug im Gesicht, mit feuchten, ängstlichen Augen. Immer versicherte er sich der Zustimmung meines Vaters, und hatte er es mit seinem Geschrei endlich dahin gebracht, daß jedes auf ihn hörte, brach er bestürzt ab und sah beschämt umher.

      Mein Vater schätzte ihn, wie man ein altes, unbrauchbares Möbel in seiner Stube gern hat, dessen vollkommene Zwecklosigkeit uns veranlaßt, ihm irgendeinen unbegreiflichen Sinn unterzuschieben. Nein, wenn ich mir den Ausdruck herzlichen Wohlwollens vorstelle, mit dem mein Vater seinen Schulkameraden oft unbemerkt betrachtete, so komme ich zu der Überzeugung, daß sein Gemüt von dem tiefen, reinen Klang schon damals getroffen wurde, der um diesen kindhaft hilflosen Mann hing. Aber er ließ es ihn nie allzu deutlich merken, sondern duldete es sogar, wenn unsere Gesellen und Lehrjungen sich hänselnd über ihn hermachten, lachte wohl dröhnend mitten hinein, lehnte sich dann in seine Sofaecke zurück, kümmerte sich anscheinend um nichts und sog große Wolken aus seinem Pfeifenrohr.

      Meine Mutter strickte und blickte mit ihren klaren, grauen Augen gutmütig im Kreise umher. Räusperte sich die Schwarzwälder Uhr neben dem Ofen, um neun zu schlagen, so gab der Vater meiner Mutter mit den schwarzen Augen einen Wink. Sie legte dann eilig die Arbeit auf den Tisch und sagte milde: »Nun, Kinder, es ist Zeit zu schlafen. Wir wollen beten!« Der Besuch empfahl sich, und jedes, Gesellen und Lehrjungen natürlich eingeschlossen, kniete vor einem Stuhle nieder. Mit schlaftaumelnder Zunge leierten wir den kleinen Rosenkranz her. Alle beteten. Nur mein Vater wandelte indessen gleichmütig hinter unserm Rücken auf und nieder. Und alle Abende, wenn ich so vor meinem Stuhle abwechselnd auf dem rechten und dem linken Knie hockte, überkam mich ein absonderlicher Gedanke. Es war mir, als sei er dadurch, daß er an unserem Gebet nicht teilnahm, weit von uns entfernt. Als gehe er in einer fremden Luft auf und nieder und sinne mit seinen funkelnden, schwarzen Augen in unbekannte Weiten. Ich kam mir so verlassen vor, und mir ward es oft um meinet- und meiner Geschwister willen wehe ums Herz. Schaute ich aber auf meine Mutter, dann wurde ich meinen kindlichen Kummer wieder los. Sie kniete unbeweglich neben mir, und ihre Augen ruhten auf dem Christusbilde über ihr. Dabei glänzten sie, von dem Lichte seitwärts getroffen, wie gute Sterne.

      Oh, und was für einen Gute-Nacht-Kuß preßte ich dann auf ihre schmalen, schönen Lippen, einen glühenden, wobei mir das Herz schlug. Dem Vater durften wir nur die Hand reichen. Stellten wir uns auf die Zehen, um nach einem Kuß zu langen, dann wies er uns wortlos ab mit seiner breiten, braunen Hand, die voller Schwielen war.

      Meine Geschwister empfanden nichts dabei und stürmten zankend und sich stoßend zur Tür hinaus. Mich traf Vaters Abweisung oft tief in die Brust wie kalter Atem, und ich ging, an den Nägeln kauend, langsam hinweg, wie Kinder gehen, denen ein Almosen verweigert worden ist. Dann trat wohl, wenn es des Vaters wegen sich tun ließ, meine Mutter an mich heran, drückte mir die Hand, zündete eine Laterne an, gab sie mir und sagte: »Du mußt dich nicht fürchten, sieh, du bist ein Junge. – Sei vorsichtig mit dem Licht! Lösch es aus, ehe du einschläfst!«

      Droben unter dem Dach aber lag ich dann noch lange wach, während das Schnarchen der Gesellen und Lehrlinge zu uns herüberdrang in die Kinderkammer.

      Über mir im Finstern zitterten die weißen, konzentrischen Lichterkreise weiter, zwischen denen Schattenringe schwebten. Sie lagen aber an keiner Decke, sondern schwammen in der Finsternis der Nacht. Heftete ich meine Äugen ganz scharf darauf, so flossen sie zu einem helleuchtenden Punkt zusammen, und es war mir dann, als habe die große, unendliche Nacht um mich ein Loch, durch das, wenn es gelänge, hinauszusehen wäre in eine ferne, golden-schöne Luft.

      Dann fiel mir ein, daß dort vielleicht mein Vater hinschaue, wenn er hinter unseren Rücken auf- und niederschritt, während wir beteten. Ich strengte mich an, den Strahl meines Auges auch hindurchzubohren bis in jene geheimen Weiten; aber zu meinem Schmerze floh das kreisende Licht so tief in die Nacht, daß es nicht größer als ein blitzender Nagelkopf war. Lange trieb ich das so, bis mir einfiel, meine Mutter habe mir Vorsicht mit dem Lichte angeraten. Und ich war damals erst ein Achtjährling und dachte, meine Mutter habe auch das Licht über mir, das Loch in der unendlichen Finsternis, meiner Vorsicht empfohlen. Da ich das nicht ausblasen konnte, da es auch vor meinen geschlossenen Augen gaukelte, wußte ich mir keinen anderen Rat, als zu beten, bis das Licht erlosch. Dann atmete mich die Nacht an mit ihren geheimnisvoll tiefen, lautlosen Atemzügen.

      Die Glocke der Stadtuhr schlug ganz lange, und ihr Schall zerfloß singend in der Luft. Wir aber war's, als ob meine Mutter aus den Lüften zu mir rede, ich solle mich nicht СКАЧАТЬ