Название: Phantomschmerzen
Автор: Susan Hill
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783311701248
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Könnte sein, dass sie gerade gelächelt hat, dachte Simon.
Am nächsten Morgen hielt sie seinen rechten Arm, und eine andere Schwester schob den Infusionsständer, als Simon zum ersten Mal aufstand und mit langsamen Schritten über den Flur ging. Seine Beine waren unsicher, als warteten sie auf eine Anleitung, wie sie sich vorwärtsbewegen sollten, erst das eine, dann das andere, und als sie an die Kreuzung mit einem anderen Flur kamen, funktionierten sie wieder.
»Ich kann jetzt allein weitergehen.«
»Was habe ich gesagt?«
»Ich soll’s nicht übertreiben?«
»Dann halten Sie sich daran. Das war schon sehr gut, und Sie können später noch einen Ausflug machen.«
Simon freute sich wie ein Kind über fehlerfreie Hausaufgaben.
Zwei weitere Spaziergänge durch die Flure, und er wurde schneller. Das Gehen fühlte sich wieder normal an. Die Prellungen und Quetschungen, die er am Körper, an den Beinen, am rechten Arm festgestellt hatte, ließen nach und heilten rasch. Im Spiegel sah er, dass seine Haare inzwischen über die meisten Narben und Stiche vorn am Kopf gewachsen waren. Ob man sie wieder abrasieren würde, wenn die Fäden gezogen wurden? Würde man sie ziehen? Er wollte fragen, doch die Schwestern waren gegangen. Er fühlte sich plötzlich erschöpft, dann wurde ihm sehr kalt. Die Betten waren gewöhnungsbedürftig. Er brauchte eine Daunendecke, nur gab es die in Krankenhäusern nicht.
»Abendessen.«
Das Tablett mit dem Blechdeckel über dem Teller. Eine Beilage, die wie Obstsalat aus der Dose und Vanillepudding aussah. Der junge Mann hob den Deckel mit einem Tusch hoch, und der Geruch von Blumenkohl stieg auf. Blumenkohl. Ein Stück Quiche. Drei kleine Kartoffeln.
»Ich habe eigentlich gar keinen Hunger. Würden Sie das bitte wieder mitnehmen?«
Der Mann lächelte und sagte: »Sie müssen probieren.« War er Pole? Rumäne? »Essen ist wichtig. Nicht essen, nicht gesund werden. Okay?«
Und er ging schwungvoll zur Tür hinaus. Die Räder des Rollwagens quietschten im Flur, und die Blechdeckel über den Tellern schepperten.
Er konnte nicht essen. Er hätte keinen Bissen runtergebracht, obwohl er das Glas Wasser trank und versuchte, sich zum Krug auf seinem Nachttisch hinüberzubeugen, um nachzuschenken. Aber er kam nicht dran.
Ihm war so warm, dass er sich krank fühlte. Krank vom Essensgeruch und der Hitze, von Kopfschmerzen und dem Pochen im linken Arm.
Nachdem er lange Zeit still gelegen und sein Zustand sich verschlimmert hatte, fragte er sich, ob jemand kommen würde und was er mit seinem Tablett anfangen sollte, fragte sich am Ende, wo er war und warum. Da fiel ihm etwas auf der Bettdecke auf. Er war verwirrt, was es sein könnte, streckte aber die Hand aus und stellte fest, dass da ein Knopf war, den er drücken konnte.
»Der Alt ist noch immer nicht im Einklang. Ich weiß, es ist kompliziert, aber bitte noch einmal.«
Es war kompliziert. Sie probten das Stück von John Tavener jetzt seit einem Monat und bekamen es kaum in den Griff. Der Alt hatte Schwierigkeiten. Cat quälte sich. Das Mozart-Requiem, das die St.-Michael-Singers im selben Konzert aufführten, war im Vergleich dazu ein Kinderspiel.
»Das ist nicht schwerer als der Britten, den wir Weihnachten hatten – los jetzt, konzentriert euch.«
»Ist viel schwerer«, murmelte Cats Nachbarin, die im Alt sang. »Also echt, wir sind doch nicht der Chor der Londoner Philharmoniker.«
»Nein, Nancy – wir streben an, sogar noch besser zu sein. So, zurück zu Seite vier bitte.«
Andrew Browning, der Chorleiter, war ein strenger Zuchtmeister, der es viel genauer nahm als sein Vorgänger. Er hieß im Chor bereits Browning der Grausame.
»Eins, zwei, drei und …«
Cats Handy vibrierte in ihrer Tasche. Sie ignorierte es. Es vibrierte alle paar Minuten, und sie ignorierte es weiter. Wenn Sam wieder mal seinen Haustürschlüssel vergessen hatte, konnte er im Gartenschuppen warten.
Sie meisterten eine schwierige Partie, und plötzlich klappte es. Vielleicht war Tavener am Ende doch zu schaffen.
Sie machten Pause, um etwas zu trinken, und Cat sah auf ihr Handy. Sams Name tauchte auf dem Display auf. Nein, dachte sie, ein Mal zu viel, Sambo, das wird dich jetzt lehren, an deinen Schlüssel zu denken. Sie stellte sich vor, wie er im Schuppen hockte und darauf wartete, dass sie nach Hause kam.
»Cat, da möchte dich jemand sprechen.«
Sie blickte auf. Sam war nicht im Gartenschuppen, er kam durch den Vorraum auf sie zu, und seine Miene sagte ihr, dass es diesmal nicht um einen verlorenen Schlüssel ging.
»Wie bist du hergekommen?«
»Kieron. Er war der Einzige, der mir einfiel, weil du nicht ans Handy gegangen bist. Du musst mitkommen, der Wagen wartet.«
»Welcher Wagen? Wozu?«
»Simon. Das Krankenhaus hat angerufen. Mum – beeil dich.«
Kieron war in vielerlei Hinsicht nicht so wie ihr Mann Chris, aber in zwei Punkten – und beide spielten für sie eine große Rolle – stimmten sie überein. Chris war ruhig und unerschütterlich gewesen. Das war Kieron auch – wahrscheinlich sogar noch mehr. Die zweite Ähnlichkeit wurde ihr auf dem Heimweg zu später Stunde in dieser Nacht bewusst. Kieron fragte sie nicht, wie es ihr ging, versuchte nicht, das Geschehene schönzureden, sagte nicht ein einziges Mal über Simon »Na ja, wenigstens ist er …«. Er saß neben ihr auf dem Rücksitz des Wagens, hielt ihre Hand und sagte erst etwas, als sie zu reden begann. Sie fuhren rasch und zügig, mussten aber nicht rasen, um zu Simon zu gelangen. Es war passiert. Sie waren rechtzeitig eingetroffen und hatten noch gesehen, wie er vom Operationssaal zu seinem Zimmer gefahren wurde. Der Chirurg, der noch in seiner OP-Kleidung hinter ihm herauskam, winkte ihnen zu, ihm in eine leere Nische zu folgen. Er und Kieron standen, Cat setzte sich auf den einzigen Stuhl.
»Tut mir leid, ich konnte nicht auf Sie warten. Zeit ist entscheidend – die Infektion in seinem Arm hat sich rasch ausgebreitet, und wenn ich sie nicht in den Griff bekommen hätte, wäre er womöglich an einer Sepsis gestorben. Sah schlimm aus.«
»Also mussten Sie amputieren.«
»Mir blieb nichts anderes übrig. Es ist zum Verrücktwerden, denn ich war mir ziemlich sicher, dass ich den Arm gerettet hatte. Hat lange gedauert, aber es funktionierte. Alles lief nach meiner Vorstellung, und es sah besser aus, als ich zu hoffen gewagt hatte.«
»Und dann das.«
»Sepsis ist immer ein Risiko, auch wenn wir noch so vorsichtig sind.«
»Ich sage den Leuten oft, dass sie, was Infektionen angeht, außerhalb von Krankenhäusern sicherer sind als drinnen.«
Der Chirurg zuckte mit den Schultern. Er wirkte sehr erschöpft, СКАЧАТЬ