Название: Maigret lässt sich Zeit
Автор: Georges Simenon
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Red Eye
isbn: 9783311701880
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»Also gut … Weil Sie es sind … In der Nähe von Lagny gibt es einen Gasthof, den Namen habe ich vergessen. Er wird von einem alten, fast tauben Mann und seiner Tochter betrieben. Soviel ich weiß, ist Mariani ganz versessen auf das Mädchen, weshalb er gern dort absteigt …«
Aber jedes Mal, wenn Palmari in den letzten zwanzig Jahren anzumerken gewesen war, dass sein Vermögen zugenommen hatte, war es kurz zuvor auch zu einer Häufung von Juwelendiebstählen gekommen.
»Hat man den Wagen gefunden?«, fragte Maigret Janvier.
»In einer kleinen Straße nicht weit von Les Halles.«
»Fingerabdrücke?«
»Keinen einzigen. Moers hat sie sozusagen mit der Lupe gesucht.«
Es war Zeit für den Rapport, und Maigret gesellte sich zu den anderen Kommissaren ins Büro des Direktors.
Jeder schilderte kurz den Fall, mit dem er gerade beschäftigt war.
»Und Sie, Maigret?«
»Wissen Sie, Herr Direktor, wie viele Juweliergeschäfte es in Paris gibt, ganz zu schweigen von denen in den Vororten? Mehr als dreitausend. Einige von ihnen stellen nur Schmuck und Uhren von geringem Wert aus. Trotzdem kann man grob geschätzt sagen, dass die Auslagen von an die tausend Juweliergeschäften eine organisierte Diebesbande interessieren könnten.«
»Was schließen Sie daraus?«
»Nehmen wir das Juweliergeschäft am Boulevard Montparnasse. Monatelang lagen dort im Schaufenster nur wertlose Sachen. Vor einer Woche hat der Juwelier sehr wertvolle Stücke kaufen können. Am Samstag ist ihm die Idee gekommen, die kostbarsten auszustellen. Am Donnerstag hat man die Scheibe eingeschlagen und die Schmuckstücke gestohlen.«
»Sie glauben …«
»Ich bin fast sicher, dass ein Fachmann die Juweliergeschäfte abklappert, wobei er regelmäßig das Viertel wechselt. Sobald er im Schaufenster eines günstig gelegenen Geschäfts wertvolle Stücke entdeckt, benachrichtigt er jemanden. Man lässt junge Leute aus Marseille oder anderswoher nach Paris kommen, denen man die Technik beigebracht hat und die der Polizei noch unbekannt sind. Ich habe schon zwei oder drei Mal eine Falle gestellt, indem ich die Juweliere gebeten habe, seltene Stücke auszustellen.«
»Aber die Bande ist nicht darauf reingefallen?«
Maigret schüttelte den Kopf und zündete seine Pfeife wieder an.
»Ich habe Geduld«, brummte er nur.
Der weniger geduldige Direktor verbarg seine Unzufriedenheit nicht.
»Und das geht jetzt schon …«, begann er.
»Seit zwanzig Jahren, Herr Direktor.«
Wenige Minuten später kehrte Maigret in sein Büro zurück. Er war froh, seine Ruhe und gute Laune bewahrt zu haben. Wieder einmal öffnete er die Tür zum Büro der Inspektoren, denn er hasste es, sie telefonisch zu sich zu rufen.
»Janvier!«
»Ich habe schon auf Sie gewartet, Chef. Gerade hat jemand angerufen …«
Er betrat Maigrets Büro und schloss die Tür hinter sich.
»Etwas Unerwartetes ist passiert. Manuel Palmari …«
»Sag nicht, er ist verschwunden!«
»Er ist ermordet worden. Jemand hat mehrmals auf ihn geschossen, während er in seinem Rollstuhl saß. Der Kommissar vom 17. Arrondissement ist am Tatort und hat die Staatsanwaltschaft benachrichtigt.«
»Und Aline?«
»Anscheinend hat sie die Polizei gerufen.«
»Fahren wir hin.«
Als er schon an der Tür war, kehrte Maigret noch einmal um und nahm eine zweite Pfeife vom Schreibtisch.
Als Janvier den kleinen schwarzen Wagen die vom Sonnenschein erleuchteten Champs-Élysées hinauffuhr, hatte Maigret noch immer dieses Lächeln im Gesicht, und seine Augen funkelten noch genauso wie am Morgen, als er aufgewacht war; sie spiegelten die gleiche unbeschwerte Stimmung, die er auch bei seiner Frau bemerkt hatte.
Dennoch war da in seinem Inneren, wenn nicht Trauer, so doch eine gewisse Nostalgie. Manuel Palmaris Tod würde sicher nicht von vielen bedauert werden, mit Ausnahme vielleicht von Aline, die seit Jahren mit ihm zusammenlebte und die er von der Straße aufgelesen hatte, sowie einiger armer Kerle, die ihm alles verdankten. Der ganze Rest würde sich anstelle einer Trauerrede mit einem vagen »Das war wohl zu erwarten …« begnügen.
Einmal hatte Manuel Maigret anvertraut, dass auch er in seinem Heimatdorf Ministrant gewesen war. Das Dorf sei so arm gewesen, dass die meisten jungen Leute, um dem Elend zu entkommen, von dort wegzogen, sobald sie fünfzehn Jahre alt waren. Er hatte sich in der Hafengegend von Toulon herumgetrieben, war später dort Barkeeper geworden und erkannte bald, dass Frauen ein Kapital darstellten, mit dem sich hohe Einnahmen erzielen ließen.
Hatte er ein oder mehrere Verbrechen auf dem Gewissen? Es war hier und da gemunkelt worden, aber man hatte ihm nie etwas nachweisen können, und eines Tages war Palmari Besitzer des Clou-Doré geworden.
Er hielt sich für gerissen, und tatsächlich war er geschickt genug gewesen, bis zu seinem sechzigsten Lebensjahr kein einziges Mal verurteilt zu werden.
Zwar war er den Kugeln aus der Maschinenpistole nicht entkommen, aber auch im Rollstuhl genoss er sein Leben, dank seiner Bücher und Schallplatten, Fernsehen und Radio. Und Maigret glaubte sogar, dass er diese Aline, die ihn Papa nannte, noch leidenschaftlicher und zärtlicher liebte als je zuvor.
»Es ist falsch, dass du den Kommissar empfängst, Papa. Ich kenn doch die Polizei. Wegen denen habe ich Blut und Wasser geschwitzt. Und der ist auch nicht besser als die anderen. Du wirst schon sehen, eines Tages wird er das, was er dir aus der Nase zieht, gegen dich verwenden.«
Es kam vor, dass das Mädchen vor Maigret ausspuckte, ehe sie würdevoll aus dem Zimmer stolzierte, wobei sie mit ihrem kleinen, straffen Hintern wackelte.
Noch keine zehn Tage war es her, seit Maigret zum letzten Mal in der Rue des Acacias gewesen war, und nun kehrte er schon wieder dorthin zurück, in dasselbe Haus, in dieselbe Wohnung, wo ihm einmal, als er am offenen Fenster stand, eine Eingebung gekommen war, die es ihm ermöglicht hatte, die Verbrechen des Zahnarztes gegenüber zu rekonstruieren.
Zwei Autos hielten vor dem Haus, und der vor der Tür stehende Polizist legte, als er Maigret erkannte, die Hand an die Mütze.
»Vierter Stock links«, murmelte er.
»Ich weiß.«
Der Polizeikommissar, ein Mann namens Clerdent, unterhielt sich im Wohnzimmer mit einem kleinen, dicken, sehr blonden Mann mit einer zarten Haut wie die eines Babys und unschuldig wirkenden blauen Augen.
»Guten Tag, Maigret.«
Da er sah, dass der Kommissar zögerte, dem anderen die Hand zu reichen, fügte er hinzu:
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