Название: Ekkehard
Автор: Joseph Victor von Scheffel
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783966510820
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Die Herzogin nickte. Da führte sie der Abt zur äußeren Klosterschule, wo zumeist vornehmer Laien Söhne und diejenigen erzogen wurden, die sich weltgeistlichem Stand widmen wollten. Sie traten in die Klasse der Ältesten ein. Auf der Lehrkanzel stand Ratpert, der Vielgelehrte, und unterwies seine Jugend im Verständnis von Aristoteles' Logica. Geduckt saßen die Schüler über ihren Pergamenten, kaum wandten sich die Häupter nach den Eingetretenen. Der Lehrmeister gedachte Ehre einzulegen. Notker Labeo! rief er. Der war die Perle seiner Schüler, die Hoffnung der Wissenschaft; auf schmächtigem Körper ein mächtiges Haupt, dran eine gewaltige Unterlippe kritisch in die Welt hervorragte, das Wahrzeichen strenger Ausdauer auf den steinigen Pfaden des Forschens und Ursache seines Übernamens.
Der wird brav, flüsterte der Abt, die ganze Welt sei ein Buch, hat er schon im zwölften Jahre gesagt, und die Klöster die klassischen Stellen drin.
Der Aufgerufene ließ seine klugen Äuglein über den griechischen Text hingleiten und übersetzte mit gewichtigem Ernst den stagiritischen Tiefsinn:
.... »Findest du an einem Holze oder Steine einen als Linie laufenden Strich, der ist der eben liegenden Teile gemeine March. Spaltet sich an dem Striche der Stein oder das Holz entzwei, so sehen wir strichweise zwei Durchschnitte an dem sichtbaren Spalte, die vorher nur ein Strich und Linie waren. Und überdies sehen wir zwo neue Oberflächen, die also breit sind, als dick der Körper war, da man vor die neue Oberfläche nicht sah. Darum erhellet, dass dieser Körper vorhin zusammenhängend war..«
Aber wie dieser Begriff des Zusammenhängenden glücklich herausgeklaubt war, streckten etlich der jungen Logiker die Köpfe zusammen und flüsterten und flüsterten lauter, – selbst der Klosterschüler Hepidan, der unbeirrt von Notkers trefflicher Verdeutschung seine ganze Mühe aufwandte, einen Teufel mit doppeltem Flügelpaar und Ringelschwanz in die Bank einzuschneiden, stellte seine Arbeit ein... jetzt wandte der Lehrmeister sich an den Folgenden: Wie wird aber die Oberfläche eine gemeine March? Da las der seinen griechischen Text, aber die Bewegung in den Schulbänken ward stärker, es summte und brummte wie ferne Sturmglocken, zur Übersetzung kam's nicht mehr, plötzlich stürmten die Zöglinge Ratperts lärmend vor, sie stürmten auf die Herzogin ein, rissen sie von des Abts und des Kämmerers Seite: gefangen! gefangen! schrie die holde Jugend und begann sich mit den Schulbänken zu verschanzen: gefangen! wir haben die Herzogin in Schwaben gefangen! Was soll ihr Lösegeld sein?
Frau Hadwig hatte sich schon in mancherlei Lebenslagen befunden. Dass sie als Gefangene unter Schulknaben fallen könne, war ihr noch nie in den Sinn gekommen. Weil die Sache neu war, hatte sie Reiz für sie; sie fügte sich.
Ratpert, der Lehrmeister, holte aus seinem Holzverschlag eine mächtige Rute hervor, schwang sie dräuend zur Umkehr und rief, ein zweiter Neptunus, die virgilischen Verse ins Getümmel:
»So weit hat das Vertrauen auf euer Geschlecht euch verleitet? Himmel und Erde sogar, ohn' alles Geheiß von mir selber, Wagt ihr zu mischen, ihr Winde, und solchen Tumult zu erheben?! Quos ego!!« |
Erneuter Halloruf war die Antwort. Schon war der Saal durch Schulbänke und Schemel abgesperrt. Herr Spazzo überlegte den Gedanken eines Sturms und kräftiger Faustschläge an die Haupträdelsführer. Der Abt war sprachlos, die Keckheit war ihm lähmend in die Glieder gefahren.
Die hohe Gefangene stand am unteren Ende des Hörsaals in einer Fensternische, umringt von ihren fünfzehnjährigen Entführern.
Was soll das alles, ihr schlimmen Knaben? frug sie lächelnd.
Da trat einer der Anführer vor, beugte sein Knie und sprach demütig: Wer als Fremder kommt, ist sonder Schutz und Friede, und friedlose Leute hält man gefangen, bis sie sich der Unfreiheit lösen.
Lernt ihr das auch aus euern griechischen Büchern?
Nein, Herrin, das ist deutscher Brauch.
So will ich mich denn auslösen, lachte Frau Hadwig, erfaßte den rotwangigen Logiker und zog ihn zu sich heran, ihn zu küssen; der aber riss sich von ihr los, sprang in den Kreis der lärmenden Genossen und rief:
Die Münze kennen wir nicht!
Was wollt ihr denn für ein Lösegeld? fragte die Herzogin. Sie war der Ungeduld nahe.
Der Bischof Salomo von Konstanz war auch unser Gefangener, sprach der Schüler, der hat uns drei weitere Vakanztage erwirkt im Jahre und eine Rekreation an Fleisch und Brot, und hat's in seinem Testament gebrieft und angewiesen. O nimmersatte Jugend! sprach Frau Hadwig, so muss ich's zum mindesten dem Bischof gleichtun. Habt ihr schon Felchen aus dem Bodensee verspeist?
Nein! riefen die Jungen.
So sollt ihr jährlich sechs Felchen zum Angedenken an mich erhalten. Der Fisch ist gut für junge Schnäbel.
Gebt Ihr's mit Brief und Siegel?
Wenn's sein muss!
Langes Leben der Frau Herzogin in Schwaben! Heil ihr! rief's von allen Seiten, Heil, sie ist frei! Die Schulbänke wurden in Ordnung gestellt, der Ausgang gelichtet, springend und jubelnd geleiteten sie die Gefangene zurück. Im Hintergrund flogen die Pergamentblätter der Logica als Freudenzeichen in die Höhe, selbst Notker Labeos Mundwinkel neigten sich zu einem gröblichen Lachen, und Frau Hadwig sprach: Sie waren recht huldvoll, die jungen Herren; wollt ihr die Rute wieder in den Verschlag tun, Herr Professor!
An ein Weitererklären des Aristoteles war heut nicht mehr zu denken. Ob die Ausgelassenheit der Schüler nicht in nahem Zusammenhang mit ihrem Studium der Logik stand? Der Ernst ist oftmals ein gar zu dürrer blattloser hohler Stamm, sonst hätt' die Torheit nicht Raum, ihn üppig grün zu umranken...
Wie die Herzogin mit dem Abt den Hörsaal verlassen, sprach dieser: Es erübrigt noch, Euch des Klosters Bücherei zu zeigen, die Arzneikammer lernbegieriger Seelen, das Zeughaus für die Waffen des Wissens. Aber Frau Hadwig war ermüdet, sie dankte. Ich muss mein Wort halten, sprach sie, und die Schenkung an Eure Schulknaben urkundlich machen. Wollt ihr die Handfeste aufsetzen lassen, dass wir sie mit Unterschrift und Siegel versehen.
Herr Cralo führte seinen Gast nach seinen Gemächern. Den Kreuzgang entlang wandelnd, kamen sie an einem Gelass vorüber, deß Türe war offen. An kahler Wand stand eine niedere Säule, von der in halber Mannshöhe eine Kette niederhing. Über dem Portal war in verblaßten Farben eine Gestalt gemalt, sie hielt in magern Fingern eine Rute. Wen der Herr lieb hat, züchtigt er; er stäupet einen jeglichen, den er zum Sohne annimmt (Hebr. XII. 6), war in großen Buchstaben darunter geschrieben.
Frau Hadwig warf dem Abt einen fragenden Blick zu.
Die Geißelkammer! sprach er.
Ist keiner der Brüder zur Zeit einer Strafe verfallen, fragte sie, es möcht' ein lehrreich Beispiel sein...
Da zuckte der böse Sindolt mit dem rechten Fuß, als wär' er in einen Dorn getreten, rückte sein Ohr rückwärts, wie wenn von dort eine Stimme ihm riefe, sprach: Ich komme sogleich, und enteilte ins Dunkel des Ganges.
Er wusste warum.
Notker, der Stammler, hatte nach jähriger Arbeit die Abschreibung eines Psalterbuchs vollendet und es mit zierlich feinen Federzeichnungen geziert; das hatte der neidische Sindolt nächtlicherweile zerschnitten und die Weinkanne darüber geschüttet. Drob war er zu dreimaliger Geißelstrafe verdammt, der letzten СКАЧАТЬ