Verbrechen und Strafe. Fjodor Dostojewski
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Название: Verbrechen und Strafe

Автор: Fjodor Dostojewski

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788726372038

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СКАЧАТЬ den Wirt eingeschlossen, waren dem Beamten jedenfalls ein gewohnter und recht langweiliger Anblick; er hatte für sie sogar einen leisen Ausdruck hochmütiger Geringschätzung, als seien sie Menschen von niedrigerer Stellung und tieferer Bildungsstufe, mit denen er nicht wohl reden könne. Er mochte schon über fünfzig Jahre alt sein, war von mittlerer Statur und stämmigem Körperbau, hatte ergrautes Haar und eine große kahle Stelle auf dem Kopf; sein Gesicht war von ständiger Trunkenheit aufgedunsen und sah gelb, ja grünlich aus; unter den geschwollenen Augenlidern glänzten aus schmalen Spalten kleine, aber sehr lebendige gerötete Augen hervor. Aber es war an ihm etwas Seltsames: in seinem Blicke lag eine Art von schwärmerischem Leuchten — auch Verstand und Klugheit mochte man darin finden —, aber gleichzeitig schimmerte es darin wie von Irrsinn Bekleidet war er mit einem alten, vollständig zerrissenen schwarzen Frack, an dem die Knöpfe fehlten. Nur ein einziger Knopf saß noch notdürftig fest, und mit diesem hatte er das Kleidungsstück zugeknöpft, sichtlich bemüht, den Anstand zu wahren. Aus einer Nankingweste schaute ein ganz zerknittertes, beschmutztes und begossenes Vorhemd heraus. Er war, nach Art der Beamten, rasiert; jedoch mußte dies schon vor geraumer Zeit zum letzten Male geschehen sein, da das Gesicht von graublauen Stoppeln bereits wieder dicht bedeckt war. Auch in seinen Manieren lag tatsächlich etwas, was an einen gesetzten Beamten erinnerte. Aber er befand sich in starker Unruhe, wühlte sich im Haar, stemmte manchmal die zerrissenen Ellbogen auf den begossenen, schmierigen Tisch und stützte kummervoll den Kopf in beide Hände. Endlich blickte er Raskolnikow gerade ins Gesicht und sagte laut und mit fester Stimme:

      „Darf ich mir die Freiheit nehmen, mein Herr, mich mit einem anständigen Gespräche an Sie zu wenden? Denn obgleich Sie nach Ihrem Äußern nicht den Eindruck eines hochgestellten Mannes machen, so erkenne ich bei meiner Erfahrung doch in Ihnen einen gebildeten und des Trinkens ungewohnten Menschen. Ich habe eine mit edlen Charaktereigenschaften verbundene Bildung stets hochgeschätzt, und außerdem bin ich Titularrat. Mein Name ist Marmeladow, Titularrat. Darf ich mir die Frage erlauben, ob Sie ein Amt bekleiden?“

      „Nein, ich studiere“, antwortete der junge Mann, einigermaßen verwundert sowohl über diese sonderbare, hochtrabende Redeweise, als auch darüber, daß er so geradezu, so ohne weiteres angeredet worden war. Obgleich er noch soeben das Verlangen nach irgendwelchem Verkehr mit andern Menschen verspürt hatte, empfand er plötzlich bei dem ersten Worte, das nun wirklich an ihn gerichtet wurde, sein gewohntes unangenehmes und gereiztes Gefühl des Widerwillens gegen jeden Fremden, der mit ihm in Berührung kam oder dies auch nur zu beabsichtigen schien.

      „Also ein Student oder ein ehemaliger Student!“ rief der Beamte. „Hatte ich es mir doch gedacht! Ja, ja, die Erfahrung, mein Herr, die langjährige Erfahrung!“ Und prahlerisch legte er einen Finger an die Stirn. „Sie waren Student, widmeten sich den Wissenschaften! Aber gestatten Sie . . .“

      Er erhob sich schwankend, nahm seine Flasche und sein Glas und setzte sich zu dem jungen Manne, ihm schräg gegenüber. Er war betrunken, redete aber deutlich und fließend; nur ab und zu verwirrte er sich einmal und zog dann die Worte in die Länge. Mit einer gewissen Gier fiel er über Raskolnikow her, als hätte auch er einen ganzen Monat lang mit keinem Menschen gesprochen.

      „Verehrter Herr“, begann er pathetisch, „Armut ist kein Laster; wahrlich, so ist es. Ich weiß, daß andrerseits die Trunksucht keine Tugend ist, und das ist noch richtiger. Aber das Bettelelend, mein Herr, das Bettelelend — das ist allerdings ein Laster. In der Armut bewahren Sie noch den Adel der angeborenen Empfindungen; aber im Bettelelend tut das niemand. Für Bettelelend wird man nicht einmal mit einem Stocke hinausgejagt, sondern, um die Beleidigung noch ärger zu machen, mit einem Besen aus der menschlichen Gesellschaft hinausgefegt. Und das mit Recht; denn beim Bettelelend bin ich selbst der erste, der, bereit ist, mich zu beleidigen. Daher kommt dann das Trinken! Verehrter Herr, vor einem Monat hat Herr Lebesjatnikow meine Gattin krumm und lahm geprügelt, und meine Gattin steht hoch über mir! Verstehen Sie wohl? . . . Gestatten Sie mir noch die Frage, nur so aus bloßer Neugier: haben Sie schon auf der Newa, auf den Heukähnen, übernachtet?“

      „Nein, das ist mir noch nicht vorgekommen“, antwortete Raskolnikow. „Wieso?“

      „Nun, mein Herr, ich komme von dort; ich habe schon fünf Nächte . . .“

      Er füllte sein Glas, trank es aus und versank in Gedanken. Tatsächlich hingen an seinem Anzuge und sogar in seinen Haaren hier und da Heuhälmchen. Sehr wahrscheinlich, daß er sich fünf Tage lang weder ausgekleidet noch gewaschen hatte. Ganz besonders schmutzig waren die fettigen, roten Hände mit den schwarzen Fingernägeln.

      Was er sagte, schien in dem Lokale eine allgemeine, aber nicht besonders lebhafte Aufmerksamkeit zu erregen. Die Knaben hinter dem Schenktische kicherten. Der Wirt war, wohl absichtlich, aus dem oberen Zimmer herabgekommen, um den „komischen Kerl“ zu hören, hatte sich abseits hingesetzt und gähnte lässig, aber würdevoll. Offenbar war Marmeladow hier schon lange bekannt. Ja, auch seine Neigung zu hochtrabender Ausdrucksweise hatte sich wohl dadurch entwickelt, daß er gewohnt war, mit allen möglichen unbekannten Leuten in der Kneipe Gespräche zu führen. Diese Gewohnheit geht bei manchen Trinkern geradezu in ein Bedürfnis über, und namentlich bei solchen, mit denen zu Hause streng verfahren und kurzer Prozeß gemacht wird. Daher suchen sie, wenn sie mit andern Trinkern zusammen sind, sich zu rechtfertigen oder sich sogar womöglich die Achtung der andern zu erwerben.

      „Du komischer Kerl!“ sagte der Wirt laut. „Warum arbeitest du denn nicht, warum bist du denn nicht im Dienst, wenn du doch Beamter bist?“

      „Warum ich nicht im Dienste bin, mein Herr“, entgegnete Marmeladow, indem er sich ausschließlich an Raskolnikow wendete, als ob dieser es wäre, der die Frage an ihn gerichtet hatte, „warum ich nicht im Dienste bin? Ist es mir denn nicht der größte Schmerz, daß ich mich so nutzlos umhertreibe? Als Herr Lebesjatnikow vor einem Monat eigenhändig meine Gattin prügelte und ich betrunken dalag, habe ich da etwa nicht gelitten? Erlauben Sie eine Frage, junger Mann, ist es Ihnen schon einmal begegnet, daß Sie . . . hm . . . daß Sie ohne Hoffnung jemand baten, Ihnen Geld zu leihen?“

      „O ja, . . . das heißt, was meinen Sie damit: ohne Hoffnung?“

      „Nun, ich meine eben: völlig ohne Hoffnung, so daß man schon im voraus weiß, daß nichts dabei herauskommt. Ein Beispiel: Sie wissen bestimmt im voraus, daß dieser sehr gutgesinnte und überaus nützliche Bürger Ihnen unter keinen Umständen Geld geben wird; denn warum, frage ich, sollte er es tun? Er weiß ja, daß ich es ihm doch niemals wiedergebe. Etwa aus Mitleid? Aber Herr Lebesjatnikow, der alle neuen Ideen mit Interesse verfolgt, hat neulich erst erklärt, daß das Mitleid neuerdings sogar von der Wissenschaft verboten worden sei und daß man in England, wo die Nationalökonomie herrscht, bereits danach verfahre. Warum also, frage ich, sollte er Ihnen Geld geben? Und wohlgemerkt: obwohl Sie im voraus wissen, daß er Ihnen nichts geben wird, machen Sie sich dennoch auf den Weg und . . .“

      „Wozu soll man denn dann noch hingehen?“ bemerkte Raskolnikow.

      „Wenn aber niemand sonst da ist? Wenn Sie sonst nirgendwohin gehen können? Es müßte doch so sein, daß jeder Mensch wenigstens irgendwohin gehen könnte. Denn es kommen Zeiten vor, wo man unbedingt irgendwohin gehen muß! Als meine einzige Tochter zum ersten Male mit dem gelben Schein 2 ging, da ging auch ich . . . Meine Tochter lebt nämlich mit dem gelben Schein“, fügte er als erklärende Einschaltung hinzu und blickte dabei den jungen Mann mit einiger Unruhe an. „Das macht nichts, verehrter Herr, das macht nichts!“ beeilte er sich schleunigst und anscheinend ruhig zu erklären, als die beiden Knaben hinter dem Schenktische losprusteten und selbst der Wirt lächelte. „Das macht nichts! Durch dieses ,Schütteln der Häupter‘ lasse ich mich nicht verwirren; denn alles ist schon längst allen bekannt, und ,es ist nichts verborgen, das nicht offenbar werde‘; und nicht mit Verachtung, sondern mit Demut tue ich dessen Erwähnung. Mögen sie, mögen sie! ,Sehet, welch ein Mensch!‘ Erlauben Sie eine Frage, junger Mann: Sind Sie imstande . . . Aber nein, ich will mich stärker СКАЧАТЬ