Название: Absolvo te!
Автор: Clara Viebig
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788711466735
isbn:
Sie rang die Hände und weinte heisse Tränen; sie schlug an ihre Brust, so heftig, dass sie sich weh tat. All das, was sie gelitten hatte unter Herrn Tiralla, und was sie immer wieder leiden würde, er liess sie ja nicht und — nein, sie mochte ihn nun einmal nicht, ihr ekelte vor seinen begehrlichen Händen, ach, hätte sie doch in ein Kloster gehen können, wie wohl wäre ihr da! — all das stürmte jetzt mit Entsetzen wieder auf sie ein. So entsetzt war sie gewesen an ihrem Hochzeitsabend, als der freudenerregte, halbtrunkene Mann sie umfing, so entsetzt, als sie sich wider Willen Mutter fühlte, so entsetzt, als ihr die Madra das kleine lebendige Mädchen an die Brust legte. Sie hatte sich zusammengenommen, es gelitten, obgleich es sie wie ein Strom eiskalten Wassers durchrann, als sie das suchende Mündchen an ihrer Brust fühlte. Aber als dann Herr Tiralla erschien, sich vor das Bett hinstellte, in dem sie so schwach, so hinfällig, so preisgegeben lag, und vergnügt schmunzelte: ‚Psia krew, das haben wir gut gemacht!‘ — da hatte sie sich nicht mehr bezwingen können. Einen Schrei hatte sie ausgestossen, einen schwachen, klagenden und doch durchdringenden Schrei, und sich so aufgebäumt mit letzter Kraft, dass das kleine Mädchen an ihrer Brust zu wimmern anfing, zu winseln wie ein junges Kätzchen. Ganz erschrocken war die Madra herzugeeilt und hatte ein Kreuz geschlagen: ‚Alle guten Geister!‘ Sie mochte wohl denken, die Krasnoludki, die bösen Zwerge, wollten das Neugeborene rauben. Hastig hatte sie dem Kindchen ihren Rosenkranz um den Hals geschlungen und das Bett der Wöchnerin mit geweihtem Wasser besprengt. Die junge Mutter aber war in Tränen ausgebrochen, in nicht endenwollende, fassungslose Tränen — Danach war Frau Tiralla sehr krank gewesen, so krank, dass der besorgte Herr Tiralla nicht nur den Doktor aus Gradewitz kommen liess, sondern auch den Kreisphysikus aus Gnesen. Beide Ärzte versicherten aber, dass keine Gefahr vorhanden, dass die junge Frau nur sehr schwach und nervös sei. Das hatte Herr Tiralla nicht verstanden. —
Frau Tiralla stand jetzt auf von ihrem Gebet. Nun war es höchste Zeit, ihren Mann anzutreiben, dass er sich auf die Fahrt machte. Womöglich lag der noch im Bette! In einer gewissen zornigen Hast kleidete sie sich an. Heute frisierte sie ihr volles Haar nicht so sorgfältig wie sonst, ihre Hände zitterten, sie hatte Eile. Ihr lauschendes Ohr fing kein Räderrollen auf. Noch wurde der Wagen nicht aus dem Schuppen gezogen, bei Gott, er schlief wirklich noch!
Den Rock hastig überwerfend, die Bluse nicht zuknöpfend, lief sie auf den Ziegelflur, hinüber in das Zimmer, in das sie als zitternde Braut eingezogen war, in dem das kleine Mädchen geboren worden war. Bei Gott, da lag er noch in dem breiten Bett und schnarchte!
„Steh auf!“ Sie packte ihn bei den Schultern und rüttelte ihn.
Seine grauen Haare sträubten sich wie Borsten über der Stirn. Sie fand ihn abscheulich, wie sie ihn so betrachtete. Und wie roch es denn hier im Zimmer? Nach Trinken! All der hässliche Dunst ging von ihm aus!
Kein Mitleid machte ihren Blick weich. Kerzengerade stand sie an seinem Bett, funkelnden Auges mass sie ihn vom Scheitel bis zur Sohle — da würde er nun bald wieder liegen!
Ein jauchzender Schrei wollte sich ihrer Brust entringen. Sie biss sich auf die Lippen — still, still! Was sollte die Magd, die neugierige denken, wenn sie also frohlockte?! Aber sie packte ihn wieder mit erneuter Kraft und rüttelte ihn so stark, dass er auffuhr.
Mit noch gänzlich blöden Augen starrte Herr Tiralla drein: wer war da? Warum liess man ihm denn nicht seine Ruh? Er wollte noch schlafen.
„Steh auf,“ schrie sie ihn an, „du musst fahren! Es ist Zeit! Allerhöchste Zeit!“
„Wer muss fahren? Ich nicht!“ lallte er und fiel schlaftrunken zurück aufs Kissen.
Er war so schwer, dass sie ihn nicht heben konnte, ihr Rütteln half ihr nichts, vergebens war ihr Schreien ‚Steh auf‘. Da goss sie ihm zornig eiskaltes Wasser ins Gesicht. Das half.
Plötzlich ermuntert öffnete er die Augen. „Ah, Täubchen, kommst du? Zärtlich streckte er die Arme aus.
Sie schlug auf die nach ihr langenden Finger. „Lass die Torheiten,“ sagte sie kalt. Aber dann wurde ihr Ton wärmer: „Du hast mir versprochen, nach Gnesen zu fahren — denke daran, es ist Zeit!“
„Nach Gnesen — Gnesen?! werde ich nicht fahren — was soll ich da?!“ Er hatte nicht eine Ahnung mehr. Was er gestern im Rausche versprochen hatte, war heute vergessen.
Verzweifelt sah sie ein, dass sie heute von neuem beginnen müsse. Und sie setzte sich auf sein Bett. Und sie schlang, die Zähne zusammenbeissend, die Arme um ihn, und sie quälte ihn: „Du hast es mir versprochen, du wolltest doch nach der Apotheke fahren — die Ratten — wegen der Ratten — denke doch dran — die Ratten!“
„Was gehen mich Ratten an?!“ Er lachte dröhnend. „Solange nicht Ratten kommen in mein Bett, stören mich Ratten nicht!“ Er küsste sie schmatzend.
Mit geschlossenen Augen litt sie’s, sie war totenblass. Plötzlich entwand sie sich seinen Armen; die schwarzen Augen fest auf ihn gerichtet, sah sie ihn starr an. „Wenn du jetzt nicht nach Gnesen fährst,“ sprach sie langsam — ganz leise, aber man verstand jede Silbe doch deutlich — „werde ich in den Przykop laufen. Ich werde mich ertränken in dem tiefen Tümpel, der dort unter den Fichten steht. Ich kann nicht leben so länger mehr. Gehst du nicht, dann gehe ich!“
Er war verdutzt: was sagte sie denn das mit so seltsamer Betonung, was meinte sie damit? Unsinn! Aber dann entschloss er sich doch. Schimpfend und fluchend erhob er sich: psia krew, was für ein Unsinn war es doch, der paar Ratten wegen Gift ins Haus zu schaffen! Die schlug man doch leicht mit dem Knüttel tot! Er stellte ihr das vor: eine ganze Nacht wollte er gern unten im Keller auf die Rattenjagd gehen.
Aber sie beharrte bei ihrer Forderung. „Du hast es mir versprochen! Geschworen hast du es mir! Nie werde ich dir wieder glauben, wenn du so meineidig wirst. Nie werde ich dir wieder erlauben, nur meinen Finger zu berühren, wenn du so gering ein Versprechen achtest!“
„Nun wohl, ja, ja, ich gehe ja schon,“ sagte er endlich. Was waren denn da noch so viele Worte zu machen? Missmutig und übelgelaunt fuhr er in die Stiefel.
Sie half ihm; diensteifrig hielt sie ihm den Rock hin.
Aber als er schon seine Arme in die Ärmel gesteckt hatte, zog er sie noch einmal zurück: „Ich werde doch nicht fahren. Wozu? Wir werden Fallen stellen, ja ja! Rufe den Jendrek, der mag gehen, Fallen kaufen. Zwei, drei, so viele not tun. Gleich mag er sie holen aus Gradewitz. Rufe ihn!“
Sie rührte sich nicht: sie war so erschrocken, dass sie zitterte: sollte er ihr so noch in letzter Stunde entschlüpfen?
Er stampfte mit dem Fusse auf: ging sie denn noch nicht, musste er selber den Knecht rufen? Unwirsch trampelte er zur Tür.
Da stellte sie sich ihm in den Weg, da fiel sie ihm an die Brust, halb bewusstlos, gänzlich erschöpft. „Ich — ich werde — wenn du mir dieses zu Gefallen tust — werde ich — ich — dir auch zu Gefallen sein!“
Herr Tiralla fuhr nach Gnesen. Frau Tiralla hatte selber mitgeholfen, das Pferd anzuspannen. Sie hatte es dabei zärtlich geliebkost. Dem Knecht wurde heiss und kalt СКАЧАТЬ