Michael Endes Philosophie. Alexander Oberleitner
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Название: Michael Endes Philosophie

Автор: Alexander Oberleitner

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: Blaue Reihe

isbn: 9783787338917

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СКАЧАТЬ sondern in ganz konkreten sinnlichen Bildern wird es deutlich. Und dann plötzlich wird eine solche Lebensgebärde zum Habitus aller, sie können sie übernehmen, und sie können sich auch so verhalten, weil sie sagen: So wollen wir sein.109

      Inwieweit sich diese Vermittlung einer Lebensgebärde eigentlich von jenem »Verpacken einer Botschaft« unterscheidet, das Ende so vehement ablehnte, wird in dieser Arbeit noch zu erörtern sein.110 Fest steht, daß hier ein Begriff von Kunst zugrunde liegt, der über das rein Ästhetische weit hinausgeht, ein Begriff, der seinem Wesen nach ethisch ist. Jene Problematik des Umgehens mit Phantasie- und damit Weltverlust, die sich in der Unendlichen Geschichte zeigt, betrifft indes nicht nur den Leser des Romans, sie betrifft auch – und sogar in erster Linie – den Schriftsteller Ende selbst, der sich vor die schwierige Aufgabe gestellt sieht, in einer sich zusehends funktionalisierenden Welt »Bilder gegen das Nichts«111 zu entwerfen.

      Was hier im Kontext der Unendlichen Geschichte angedeutet wurde, ließe sich mit ebensolcher, wenn nicht noch größerer Berechtigung auf Momo anwenden. Ganz ähnlich jenem blühenden Phantásien, das sich durch die zunehmende Funktionalisierung der »Menschenwelt« langsam, aber sicher in Nichts auflöst, ist die vitale Welt kindlicher Kreativität, in deren Zentrum Momo steht, durch die Agenten der »Zeit-Spar-Kasse« bedroht (die ja in Wahrheit ebenfalls »nichts« sind, wie wir von Meister Hora erfahren (MO 155)). Mehr noch: Ob im Gauklermärchen, wo der bunte Mikrokosmos eines Zirkus Gefahr läuft, ökonomischen Interessen und Zwängen geopfert zu werden (wovor das eigentliche Märchen, von einem der Gaukler erzählt, in poetischen Bildern warnt); ob in der Oper Der Rattenfänger, wo der dämonische Spielmann der Sage zum Symbol für die kathartische Kraft der Kunst wird, bekämpft und verfolgt von den geld- und machtgierigen Einwohner Hamelns, deren Kinder er letztlich zu retten vermag – überall finden wir Endes künstlerisches Credo widergespiegelt, wie er es am prägnantesten in einem Gedicht unter dem Titel »Das Umstellen der Lichter« formuliert hat:

      Das, was dich hindert Kunst zu machen,

      mache zum Thema deiner Kunst. (NG 137)

      Es ist also ein ethisches Ziel, das die reflexive Bewegung in Endes Werk verfolgt. Wenn wir davon ausgehen, daß Endes Grundfrage in etwa lautet: »Unter welchen Bedingungen ist Kunst möglich, unter welchen nicht?«, so bedeutet dies nicht weniger als eine Aufforderung an den Einzelnen, sich selbst und die Gesellschaft so zu gestalten, daß Kunst möglich ist. Wogegen es dabei anzukämpfen gilt, was es also für Ende vor allem und in erster Linie war, das uns »hindert Kunst zu machen«, läßt sich nach dem oben Gesagten schon relativ deutlich ausmachen. Der Autor selbst pflegte dieses »Hindernde« in zahlreichen Briefen und Gesprächen auf einen Begriff zu bringen, der philosophiehistorisch alles andere als unbekannt ist; so heißt es etwa in Phantasie/Politik/Kultur:

      Der Kapitalismus ist doch der eigentliche Krankheitsherd […]. In Zukunft kann es nur eine nicht-kapitalistische Gesellschaft geben – oder gar keine mehr!112

      Was Ende unter diesem Begriff versteht, worin er jene schier apokalyptische Bedrohung konkret erblickt – damit wird sich die vorliegende Arbeit noch zu beschäftigen haben. Wir müssen jedenfalls nicht erst die Figur der »Geldhexe« Tyrannja aus dem Wunschpunsch oder die bedrückende Erzählung von der »Wunderbaren Geldvermehrung« in Der Spiegel im Spiegel (30–44) heranziehen, um festzustellen, daß sich diese kapitalismuskritische Grundhaltung Endes massiv in seinen Werken niederschlägt. Auch die Bildlichkeit in Momo (man denke nur an die absurde Zinsrechnung des Agenten der »Zeit-Spar-Kasse«! (MO 67 f.)) läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Vor diesem Hintergrund verwundert es auch nicht im geringsten, wenn etwa Roman Hocke über Momo meint:

      […] mit Momo schreibt Michael Ende ein Buch, mit dem er etwas bewirken und verändern, dem »Funktionalisierungswahn« entgegenwirken will. […] Momo ist kein absichtsloses Spiel der Kunst, wie Ende es eigentlich zu fordern pflegte.113

      Aber klaffen Endes Anspruch und Werk hier tatsächlich auseinander, wie Hocke meint? Dies wäre nur dann der Fall, wenn wir absichtslos mit unethisch oder neutral gleichsetzten. Neutralität in der Bedeutung von Gleichgültigkeit gegenüber den großen Fragen seiner (und unserer) Zeit war dem Schriftsteller wie dem Menschen Ende, der in zahlreichen Gesprächen seine Grundsätze geradezu leidenschaftlich verfocht, freilich zeit seines Lebens fremd; absichtslos in dem Sinne, wie es Hocke hier impliziert, ist wohl kaum eines seiner Werke. Müssen wir also damit rechnen, daß uns Ende letztlich doch wieder jene Art von »Botschaften« aufzudrängen versucht, die er eigentlich so vehement ablehnte? Dem widerspricht, daß es sich bei seinen Werken eben nicht um bloße Illustrationen moralischer Lehr- oder philosophischer Grundsätze, sondern um in sich stimmige und für sich bestehende Kunst handelt, deren ethischer Gehalt gerade dadurch bedeutsam wird, daß er innerhalb des Werkes weitestgehend in den Hintergrund tritt. Es war niemand anderer als Tolkien, der dieses scheinbare Paradoxon auf den Punkt brachte:

      Es gibt […] keinen geeigneteren Träger moralischer Belehrung als ein gutes Märchen (worunter ich eine wahrhaft tiefverwurzelte Geschichte verstehe, die um ihrer selbst willen erzählt wird und nicht als Mäntelchen für eine moralische Allegorie dient).114

      Hier also sind wir doch noch an einen Punkt gelangt, an dem sich Ende durchaus mit Tolkien trifft.115 Dem ethischen Gehalt von Tolkiens Werken, denen die Reflexivität Endes fehlt, haftet freilich nichts Unverwechselbares an; er bleibt vergleichsweise allgemein. Tolkiens Schaffen stellt in erster Linie einen Triumph der imaginativen Vorstellungskraft dar; Ende hingegen thematisiert die Bedingungen der Möglichkeit von Imagination, ja von Kunst überhaupt, was ihn zu sehr konkreten ethischen Fragestellungen führt – Fragestellungen, die es im Zuge dieser Untersuchung auszuloten gilt.116

      Was bedeutet dies nun mit Blick auf die Grundfragestellung dieser Arbeit? Wenn Endes philosophisches Denken tatsächlich begrifflich faßbar ist, so können wir davon ausgehen, daß es sich seinem Wesen nach als Kunsttheorie erweisen wird – freilich in jenem weiteren Sinne, in dem auch Bastian oder die Kinder um Momo Künstler sind. Die Frage, wie weit der Kunstbegriff Endes letztlich geht, würde in diesem Fall auch die Grenzen seiner Philosophie abstecken. Weiters steht zu erwarten, daß jener Begriff eine dezidiert ethische Komponente zumindest miteinschließt. Ob diese Thesen zutreffen, wird sich im Fortgang der Untersuchung erweisen.

       4.Warum »Momo« und »Die unendliche Geschichte«?

      Eine Frage bleibt im Rahmen dieses Abschnitts noch zu klären. Wenn es, wie oben angenommen, stets dieselben Grundthemen sind, die sich durch das künstlerische Schaffen Endes ziehen – warum konzentriert sich diese Untersuchung dann ausgerechnet auf Momo und Die unendliche Geschichte? Wodurch zeichnen sich diese Romane in bezug auf das (vermutete) Endesche Denken aus? Und könnte es nicht zielführender sein, die Untersuchung auf einen der beiden zu beschränken?

      Eines der gewichtigsten Argumente gegen eine isolierte Betrachtung von Momo oder Die unendliche Geschichte findet sich in der Tatsache, daß ein Verbindungsstück zwischen ihnen existiert, welches die beiden zentralen Romane Endes auf eindrucksvolle Weise als Einheit erscheinen läßt. Die posthume Veröffentlichung dieses Missing Link, des Romanfragments Der Niemandsgarten (1998), kann als mittlere literarische Sensation bezeichnet werden – beginnt dieses doch als eindeutige Fortsetzung von Momo (die lediglich das Happy End des Märchenromans ignoriert, also von einem Sieg der Grauen Herren ausgeht), um dann unverkennbar in eine Urfassung der Unendlichen Geschichte überzugehen, der eigentlich nur eines fehlt – die Idee, die Ende in Genzano СКАЧАТЬ