Sag jetzt nichts, Liebling. Hanne-Vibeke Holst
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Название: Sag jetzt nichts, Liebling

Автор: Hanne-Vibeke Holst

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Therese-Trilogie

isbn: 9788726569582

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СКАЧАТЬ für den nächsten Tauchgang zu holen.

      »Von wem sind denn die Blumen?« fragt Kiki irgendwann. Und ich antworte, daß sie vielleicht jemand vom Personal reingestellt hat. Aus einem anderen Zimmer.

      »Kann man die nicht wegtun?« fragt sie und steht übelgelaunt auf. »Die stinken doch. Das ganze Zimmer stinkt!«

      Aber sie läßt sie stehen. Weiß genau wie ich, daß der Gestank nicht von ihnen kommt. Nicht dieser Gestank.

      Die Abendschwester kommt herein, wechselt den Tropf und fühlt den Puls. Sehr still und zurückhaltender als ihre Kollegin. Der Oberarzt, Niels Holmstrup, taucht in Zivil auf, in langer Lederhose und einem eleganten Sweatshirt mit Polokragen. Er stellt sich Kiki vor, ist kurz davor, schon im voraus zu kondolieren, steht eine Weile da und lauscht und legt schließlich seine Hand auf die seines Jugendfreunds.

      »Tja«, sagt er. »Alter Kumpel ...«

      Dann sammelt er sich und bestätigt das, was wir bereits wissen. Daß es bald vorbei sein wird. Leider hat er jetzt einen Termin, aber er gibt uns einen Zettel mit seiner Handy-Nummer und hinterläßt ein »Ruft auf jeden Fall an« ...

      Wir sind wieder uns selbst und diesem aussichtslosen Warten überlassen, bei dem nur kleine Zeichen das langsame Fortschreiten der Zeit signalisieren. Die glühende Scheibe der Sonne hinter der zugezogenen Gardine. Das laute Singen der Vögel in der einsetzenden Abendstille. Das Schlagen einer Autotür auf dem Parkplatz. Ab und zu sehe ich auf die Uhr. Zarinas Bettzeit. Die Nachrichten. Zarinas Schlafenszeit. Das Fernsehjournal. Wieder Nachrichten. Und dann die letzten Abendstunden, in denen ich sonst immer die Wäsche zusammenlege, eine neue Maschine anstelle, Birgitte anrufe. Schließlich die kostbare Stunde, in der ich eigentlich schon im Bett liegen sollte, aber manchmal, vor allem, wenn Paul in Odense ist, mir noch eine Stunde auf dem Sofa stehle, mit einem Cognac, einem Stapel internationaler Zeitschriften und zwei Wochen alter Sonntagszeitungen oder ein paar Videobändern, die ich zum Durchsehen mit nach Hause genommen habe. Wenn ich allein zu Hause bin, kommt es vor, daß ich dort auf dem Sofa einschlafe, um erst mitten in der Nacht verwirrt und gerädert wieder aufzuwachen. Wenn Paul zu Hause ist, schläft er oft auf dem Sofa ein, und ich bin es, die sich ins Bett schleicht, ohne ihn aufzuwecken. Aber ich decke ihn immer mit Tante Mos alter Wolldecke zu – eines der wenigen Dinge mit Gefühlswert, die ich in unser genau geplantes Heim mit eingebracht habe. Er macht mir jedesmal Vorwürfe, daß ich ihn dort habe schlafen lassen. Er will bei mir liegen, sagt er dann anklagend. Er braucht es, mich zu fühlen. Seine Frau zu fühlen. Ich weiß das. Aber ich bin zu müde. Bekomme von der Nähe klaustrophobische Gefühle. Mir genügt es, ich selbst zu sein, in Ruhe gelassen zu werden, meine eigenen Konturen nach einem Tag voller Anforderungen an mich zu fühlen. Deshalb ist es für mich eine Erleichterung, wenn er eingeschlafen ist und wir damit den Konflikt vermeiden. Ausgesprochen oder unausgesprochen. Und deshalb legt er sich manchmal zu Zarina, wenn er nachts aufgewacht ist. Dann darf ich morgens allein aufwachen und gehe ins Kinderzimmer, um Vater und Tochter in einer verschlungenen Symbiose vorzufinden, als hätten sie sich extra so drapiert, um mich zu strafen.

      Als ich darüber nachdenke, kommt mir plötzlich in den Sinn, daß ich wohl nie bei meinem Vater geschlafen habe. Vielleicht machte er sich nichts aus der Nähe. Oder er wollte keine Kinder im Bett haben. Das war ja vor der Zeit der neuen Väter. Vielleicht interessiert es ihn nicht einmal, daß wir jetzt hier sitzen. Jeder auf einer Seite des Betts, seine Hände in unseren. Das Licht ist inzwischen verschwunden und die Dunkelheit hat den weißen Koloß umhüllt. Wir haben nur die Nachttischlampe eingeschaltet und den Schirm nach hinten geschoben. Er hat eine weitere Grenze überschritten, wir wissen es beide, auch daß er jetzt auf dem Weg in die allerletzte Phase ist. Die Pausen zwischen den Atemzügen werden immer länger. Wir zählen, inzwischen laut, miteinander. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs ... Seine Augenlider rutschen immer häufiger hoch, so daß die milchigen Augäpfel zu sehen sind. Der Halspuls pocht wie der eines Vogeljungen unter der dünnen Haut. Die Temperatur fällt und die Blässe wird tiefer. Er hat angefangen, leise zu röcheln, und unruhige Wellen huschen über sein Gesicht.

      »Meinst du, daß er Angst hat?« flüstert Kiki.

      Ich zucke mit den Schultern. Vielleicht hat er Angst. Vielleicht hat er deshalb noch nicht losgelassen. Ich stehe auf. Vielleicht müssen wir ihn auf den Weg schicken. Müssen wir ihm beim Abschied helfen.

      »Vater«, sage ich und räuspere mich. Ich beuge mich über sein Ohr, ohne seine Hand loszulassen.

      »Vater, du brauchst keine Angst zu haben. Wir sind bei dir, Kiki und ich. Du kannst jetzt ruhig loslassen. Du mußt nicht länger hierbleiben. Wir kommen schon zurecht.«

      Meine Stimme wird belegt, ich lehne meine Stirn an seine Schläfe, warte, um den Mut aufzubringen, das zu sagen, was ich sagen will. Kiki anzusehen traue ich mich nicht, aber ich spüre ihre Konzentration wie ein elektrisches Zittern im Zimmer. Jetzt ist es soweit. Nun soll es sein.

      »Vater«, fahre ich schließlich fort. »Wir lieben dich. Und wir verzeihen dir. Alles. Laß ruhig los!«

      Ich bleibe stehen, meinen Kopf gegen seinen gelehnt. Kiki ist ganz still. Vielleicht habe ich mein Mandat überschritten. Schließlich hat sie ihm nicht verziehen. Aber dann steht sie auch auf, stellt sich an sein linkes Ohr und fängt an zu singen, fast wie ein rezitierendes Flüstern.

      »Die Sonne ist so rot, Vater, und der Wald wird so schwarz verhangen. Jetzt ist die Sonne tot, Vater, und der Tag ist vergangen ...«

      Das ganze alte Kinderlied, alle Strophen, singt sie, während ich die Tränen fließen lasse über die allzu späte Erlösung meiner kleinen Schwester, die allzu frühe Abreise meines Vaters und den endgültigen Abschied, in dem wir uns befinden. Es gibt keinen Aufschub mehr, nichts mehr, was verändert werden könnte. Keine andere Hoffnung als die, einander jetzt in der allerletzten Stunde noch erreichen zu können.

      Kikis Gesang klingt aus, und ich muß ein Schluchzen unterdrücken, während sie ihn mit einem vorsichtigen, unsicheren Lächeln am Ohrläppchen zupft.

      »Okay, das war’s dann. Aber wehe, du schickst uns keine Postkarte, du Schlitzohr!«

      Ich muß kichern, und vielleicht ist es wirklich ein Lächeln, das in seinen Mundwinkeln zu sehen ist, bevor er wieder untertaucht. Diesmal bleibt er lange fort. Es gelingt uns, bis zehn zu zählen, bevor er prustend wieder hochkommt. Und noch einmal. Und ein weiteres Mal. Aber ich habe gesehen, daß der Puls jedesmal zwischen den einzelnen Tauchzeiten schwächer wird. Und beim vierten Mal bleibt er unten.

      »Eins-zwei-drei-vier-fünf-sechs-sieben-acht-neun-zehn-elfzwölf – NUN KOMM SCHON!« schreit Kiki plötzlich verzweifelt, während ich eine Fingerspitze auf den Puls lege und spüre, wie das Leben sachte ausklingt. Zum Schluß ist kein Puls mehr zu fühlen.

      »Es ist vorbei«, sage ich halb erstickt in einem schalldichten Vakuum von Unwirklichkeit und drücke ihm vorsichtig die Augenlider ganz zu, während Kiki verzweifelt meinen Blick mit einem sich weigernden Kopfschütteln sucht. Dann begreift sie und wirft sich schluchzend über seinen Brustkasten, als könnte sie sein Herz damit zwingen, wieder zu schlagen.

      »Vater, verflucht noch mal!« weint sie, das Gesicht in seinem Hemd, und ich lasse sie weinen, bis ich doch zur anderen Seite des Betts gehe und sie unter den Achseln hochziehe.

      »Du Arschloch, Scheißkerl, dummes Schwein!« schluchzt sie und hört gar nicht damit auf, während ich sie tröste, streichle und fest an mich drücke, bis sie endlich zur Ruhe kommt und wir uns eng nebeneinander setzen und ihn ansehen.

      »Ich dachte, er würde zum Schluß noch mal aufwachen«, schnieft sie. »Das machen sie im Film immer.«

      Aber СКАЧАТЬ