Sag jetzt nichts, Liebling. Hanne-Vibeke Holst
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Название: Sag jetzt nichts, Liebling

Автор: Hanne-Vibeke Holst

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Therese-Trilogie

isbn: 9788726569582

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СКАЧАТЬ Vater war ein wohlhabender Mann. Das wurde er, als Großvater starb und eine halbe Million in bar hinterließ, unter die Matratze gestopft und im Brennholz versteckt. Und auch wenn er ein Badezimmer hat einbauen lassen und sich offensichtlich ein paar gute Flaschen täglich gegönnt hat, so hat er es doch keineswegs geschafft, das ganze Vermögen auszugeben. Ganz im Gegenteil, der lokale Bankdirektor kann uns anvertrauen, daß »Skaarup auf jeden Fall genügend Geld hinterläßt, um seine eigene Beerdigung zu bezahlen«. Eine nordjütländische Untertreibung, die umschreibt, daß ungefähr 300.000 Kronen auf dem Konto sind.

      »150.000 für jeden!« ruft Kiki aus und erstrahlt in einem Augenblick, in dem sie plötzlich ganz anwesend ist, was bei dem Bankdirektor ein väterliches Lächeln hervorruft, als wäre er der Weihnachtsmann persönlich.

      »So sieht es wohl aus«, sagt er.

      »Dann bitte in großen Scheinen«, sagt Kiki. Doch der Bankmensch zeigt noch einmal seine Parodontose und erklärt, daß wir damit leider bis zur Testamentseröffnung warten müssen.

      Wenn nicht alle Geld von ihm geliehen haben und uns deshalb die ganze Zeit nett zunicken und anlächeln, dann ist diese Freundlichkeit der Bewohner von Læsø ein Beweis dafür, daß die Insel ihren verlorenen Sohn wieder aufgenommen hat. Deshalb ist es natürlich ausgeschlossen, ihn nicht »anständig« zu begraben, was zu allem Überfluß auch noch eine Begräbniskaffeetafel im Vesterø Hotel einschließt. Wo er übrigens, wie uns berichtet wird, oft verkehrte, bei einem kleinen Vormittagsbier die Zeitung las, mittags gebratene Heringe aß oder am Nachmittag eine Tasse Kaffee trank. Deshalb ist die Wirtin der Meinung, wir sollten die Anzahl der Beerdigungsgäste nicht unterschätzen. Sie werde jedenfalls für gut zwanzig Leute decken und außerdem dafür sorgen, daß ausreichend Kaffee und Kuchen bereitsteht. Rosinenwecken und Brezel. So will es die Tradition. Sowie Bier und Mineralwasser zum Abschluß.

      »Das wäre auch in Skaarups Sinn«, erklärt sie. Ich weiß nicht, ob sie damit das Bier oder das Mineralwasser meint, lasse sie aber schließlich schalten und walten, Gringo, der ich in diesem fremden Land bin, wo alle Augen uns folgen und zweifellos hinter all der Freundlichkeit reichlich über uns getratscht wird. »O Scheiße, wie die glotzen!« knirscht Kiki mit den Zähnen, als wir aus dem Blumenladen kommen, wo wir am Tag vor dem Begräbnis endlich Kränze und Gestecke bestellt haben. Rote Rosen. »Ein Meer roter Rosen«, wie es mir in den Sinn kommt, offensichtlich von dieser ganzen Ritualisierung angesteckt. Ein Meer roter Rosen auf einem weißen Sarg! Ich muß weg hier. Wieder zu mir selbst kommen. Zurück in die Welt mit ihren Kriegen und Katastrophen, ihrer Nachrichtenflut und Deadlines. Zurück zu Zarina mit ihren pummeligen Ellbogen, den nassen Küssen und ihrer hemmungslosen Forderung nach Fürsorge und Aufmerksamkeit. Aber als ich abends zu Hause anrufe, um ihr gute Nacht zu sagen und mich über die Ereignisse des Tages mit Paul auszutauschen, der lobenswerterweise die Konsequenz gezogen und für die ganze Woche seinen Dienst getauscht hat, fällt es mir trotzdem schwer, mich zu konzentrieren. »Hörst du mir überhaupt zu?« fragt er fast jedesmal, mit jedem Tag mit wachsender Irritation. »Natürlich!« versichere ich ihm und gebe mir Mühe, die Fremdheit zu überwinden, die ich selbst spüre. Nicht nur zwischen ihm und mir, sondern zwischen der Normalwelt und dieser Seifenblase, in der wir eingeschlossen sind. Ich versuche gar nicht erst, ihm das zu erklären. Er würde doch nicht verstehen, wie schwierig es ist, sich zurechtzufinden in einem Haus, das einerseits aussieht wie immer, mit Großvaters puritanischer Einrichtung, das andererseits aber auch nach Vater riecht mit all seinen Kleidern, seinen spanischen Zigaretten, den leeren Weinflaschen, den mundgeblasenen Gläsern und den vielen kleinen Skizzen, Aquarellen, Büchern, Briefen und persönlichen Papieren, die überall in überraschend ordentlichen Stapeln liegen. Im Gartenhaus hatte er sich ein provisorisches Atelier eingerichtet, dort ist eine Staffelei mit einer vollkommen weißen Leinwand aufgestellt. Nicht einen einzigen Kohlestrich hat er auf ihr mehr zeichnen können. Aber die Palette und die Tuben liegen bereit. Vorwiegend rot und schwarz.

      Kikis spontane Begeisterung bei der Aussicht auf ein Erbe währt nach einem Anruf bei Spunk nicht mehr lange. Die beiden sind dabei, die Möglichkeiten zu sondieren, Franchise-Partner bei der amerikanischen Drugstore-Kette Seven Eleven zu werden, welche offenbar plant, alle Straßenecken in Kopenhagen bis zum Jahrtausendwechsel in ihren Besitz zu bringen. Das Geld von Vater würde den Kredit und damit das Risiko verringern. Und das war’s dann. Ich nehme an, daß sie das mißmutig macht – und mich auch. Deshalb erwähne ich dieses Thema Paul gegenüber gar nicht erst und halte mich zurück, zu planen und eine Milchmädchenrechnung aufzustellen. Ich ertrage diese blasphemische Roheit nicht, daß des einen Tod des andern Brot sein soll. Als würde man die Goldzähne aus der Asche der Gaskammern ausgraben. Ich weiß selbst, daß das ein hysterischer Vergleich ist. Aber ich habe sowieso Probleme, mich dem Erbe gegenüber zu verhalten. Dem, was er uns hinterlassen hat. Dem Geld, dem Haus, dem Hausrat, allen Gegenständen gegenüber. Alles, was seins war, ist jetzt unsres. Wir reden nicht darüber, Kiki und ich. Aber keine von uns verspürt den Drang, zu schnüffeln oder herumzuwühlen. Wir haben nicht einmal die Tasche aus dem Krankenhaus geöffnet und geleert. Vielleicht haben wir beide das unbestimmte Gefühl, daß wir für unsere Neugier bestraft werden würden. Daß die Insel, das Haus, ja sogar der singende Kanarienvogel, den wir ins Wohnzimmer gestellt haben, mehr über unseren Vater weiß, als wir überhaupt wissen wollen. Deshalb lächeln sie alle so. Sie wissen, daß wir nichts wissen.

      »Wir verkaufen das Haus, oder?« fragt Kiki plötzlich, als wir in dem durchgelegenen Doppelbett liegen und am Abend vor der Beerdigung versuchen einzuschlafen. »Das ist doch verdammt noch mal viel zu spooky. Du verstehst, was ich meine?«

      Ich verstehe voll und ganz, was sie meint. Aber als ich am nächsten Morgen früh aufwache und mich leise davonstehle, um Kiki nicht zu wecken, die leise schnarcht, wie sie es schon immer getan hat, ist jede Andeutung von Twin Peaks verschwunden. Der Himmel ist genau so knallblau wie auf den Prospekten der Touristikunternehmen, und als ich über den Hügel ans Meer komme, liegt es wie ein glitzernder Teppich dort. Die Geräuschkulisse ist genauso idyllisch – leise glucksende Wellen, Möwenschreie und das ferne Tuten der Fischkutter. Weit entfernt geht jemand und stochert mit einem Stock in dem angespülten Tang herum. Ein alter Fischer auf der Suche nach Bernstein. Ich hocke mich auch hin und sammle ein paar Steine ein, beiße darauf und werfe sie wieder weg. Vater war gut im Suchen nach den goldfarbenen Versteinerungen – wir konnten lange nebeneinander hergehen, uns unterhalten, und plötzlich beugte er sich hinunter und schlug wie ein fischender Vogel zu. Er fand so viel, daß er nur die besonderen Steine behielt – die großen Klumpen oder die mit eingeschlossenen Insekten oder Blättern darin. Den Rest warf er wieder in den Seetang – damit auch etwas für die Alten übrigblieb, die wahrscheinlich ein sichereres Einkommen hatten, wenn sie leere Flaschen sammelten. »Wer will heutzutage noch Bernstein kaufen?« wie mein Vater trocken bemerkte. Und dann sagte er etwas über den billigen baltischen Bernstein, der einst Teil des sowjetischen Kunsthandwerks war, und wir sprachen weiter über die Palekh-Lackarbeiten und dann über Ikonen und weiter über Malewitsch und Strawinsky und Chagall in Paris – alles Dinge, über die er sehr viel mehr wußte als ich. Ich konnte nur neben ihm herlaufen, lauschen, mal etwas einfügen und mich wundern, woher zum Teufel er all das Wissen hatte. Und dann redeten wir weiter. Worüber? Jetzt, während ich den gleichen Weg gehe, mit den Schuhspitzen im Tang herumstochere und mich genau wie damals an dem frühen Frühlingsmorgen vor ein paar Jahren in der Kälte schüttle, versuche ich das Band zurückzuspulen, um mich zu erinnern, was er eigentlich von sich selbst erzählt hat. Da wird mir schlagartig bewußt, daß er irgendwie die ganze Zeit den Ball in meine Hälfte zurückgespielt hat. Es waren mein Leben, meine Arbeit, meine Stichworte, die als Sprungbrett für Gespräche und Assoziationen benutzt wurden. Weil er sein enormes Wissen über eigentlich alles locker dazu benutzen konnte, das Gespräch zu steuern und von sich selbst abzulenken. Ich war immer noch zurückhaltend mit meinen Fragen und wollte ihn nicht aushorchen aus Respekt – oder Angst –, die Unberührbarkeitsgrenze zu überschreiten, die er ganz deutlich aufrechterhalten wollte. Was weiß ich also eigentlich von dem Geist in der Flasche? Von Fidel Castro? Von dem singenden Kanarienvogel? Von Spanien? Von der Farbe Rot und der Farbe Schwarz?

      Ich СКАЧАТЬ