Название: Aristoteles: Metaphysik, Nikomachische Ethik, Das Organon, Die Physik & Die Dichtkunst
Автор: Aristoteles
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788075834157
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Viertens: von niemand der eine Kränkung erfahren hat, gilt es, daß er den anderen mutwillig verletze. Wer im Zorn handelt, tut es immer auf Grund einer erfahrenen Kränkung, dagegen wer mutwillig verletzt, auf den Antrieb böser Lust. Wenn nun dasjenige das größere Unrecht ist, worüber Unwillen zu empfinden am meisten gerechtfertigt ist, so ist auch der Mangel an Selbstbeherrschung gegenüber der Begierde das größere Unrecht. Denn im Zorn liegt kein Antrieb zu mutwilliger Verletzung.
Was wir damit erwiesen haben ist dies, daß der Mangel an Selbstbeherrschung, wenn er sich den Lüsten gegenüber zeigt, schimpflicher ist, als wenn er der Heftigkeit gegenüber hervortritt, und daß Selbstbeherrschung und das Fehlen derselben sich gerade gegenüber den Begierden und den sinnlichen Lustempfindungen betätigt. Es gilt nunmehr, die Unterschiede innerhalb der letzteren aufzuzeigen.
Wie wir gleich im Anfang dargelegt haben, sind sie ihrer Art und Größe nach teils menschlich und natürlich, teils tierisch brutal, teils Folge von Entartung oder Erkrankung. Was die ersten anbetrifft, so zeigt sich allein ihnen gegenüber eine über die Lüste erhabene Gesinnung und die zügellose Hingebung an dieselben. Darum schreibt man auch den Tieren weder die eine noch die andere Eigenschaft oder doch nur in übertragenem Sinne zu; so wenn eine Art von Tieren im allgemeinen sich vor den anderen durch Wildheit, Üppigkeit und Gefräßigkeit hervortut. Denn Tiere bilden keine Vorsätze und stellen keine Überlegungen an; sie geraten nur aus dem regelmäßigen Geleise wie dem Wahnsinn verfallene Menschen. Tierische Roheit ist ein geringerer Grad von Bosheit als ein böser Wille, aber allerdings noch mehr zu fürchten. Es ist doch bei tierischer Roheit das Edelste nicht entartet, wie bei einem Menschen, sondern es ist gar nicht vorhanden. Ein Vergleich zwischen tierischer Roheit und bösem Willen ist ganz ähnlich, wie wenn man einen Vergleichanstellen wollte zwischen einem lebendigen und einem leblosen Wesen, um zu sehen, welches von beiden das schlimmere ist. Denn jedesmal ist die Verderbnis desjenigen Wesens minder unheilvoll, das nicht nach einer Maxime handelt; Maxime aber ist die Vernunft. Nahe verwandt damit ist es auch, wenn man einen Vergleich zieht zwischen der Ungerechtigkeit und einem ungerechten Menschen. Jedes von beiden kann in seiner Weise das Schlimmere sein. Ein schlechter Mensch vermag zehntausendmal mehr Böses zu tun als ein Tier.
c) Grade der Willensstärke
Von Lust und Unlust, von Begehren und Meiden auf Grund des Tastsinnes und des Geschmackssinnes, dem Äußerungsgebiete zügelloser Ausschweifung wie des Erhabenseins über solche Regungen, haben wir vorher eingehend gehandelt. Man kann sich dabei so verhalten, daß man demjenigen unterliegt, was den meisten nichts anhat; man kann sich aber auch da stark erweisen, wo die meisten unterliegen. So ist denn unter diesen der eine der Lust gegenüber unenthaltsam, der andere enthaltsam, der Unlust gegenüber der eine weichlich, der andere willensstark. Die Beschaffenheit der meisten Menschen liegt in der Mitte dazwischen, allerdings mit größerer Neigung nach der Seite des Schlimmeren hin. Nun sind unter den Arten der Lust manche ein notwendiges Bedürfnis, andere nicht: manche sind es nur bis zu einem gewissen Grade, und nicht mehr wo sie darüber hinausgehen oder darunter bleiben. Ganz ähnlich verhält es sich auch mit dem Begehren und mit der Unlust. Wer dem was Lust bereitet im Übermaß nachjagt, nicht aus übermäßiger Begierde, sondern mit ausdrücklichem Vorsatz, und dabei kein anderes Ziel als nur die Lust selbst im Auge hat, der ist ein unverbesserlicher Wüstling. Denn die notwendige Folge ist, daß ein solcher Mensch nicht dazu gelangt Reue zu empfinden, und daß er deshalb unverbesserlich ist. Denn wo keine Reue, da auch keine Besserung. Den Gegensatz zu ihm bildet der, der hinter dem Maß zurückbleibt; der die rechte Mitte einhält, ist der über die Lüste Erhabene, ihm gleicht derjenige, der körperlichen Schmerz nicht aus Schwachheit, sondern mit überlegtem Entschluß meidet.
Unter denen, die ihr Verhalten nicht nach Grundsätzen regeln, wird der eine von der Lust getrieben, der andere von der Scheu vor der aus dem Begehren entspringenden Unlust. Man sieht, es ist ein Unterschied zwischen dem Wüstling aus Grundsatz und diesen letzteren. Nun urteilt jedermann, daß es schlimmer ist verwerflich zu handeln, wenn man von Begierden gar nicht oder nur in geringem Grade getrieben wird, als wenn man unter dem Antrieb heftiger Begierden steht, und daß es schlimmer ist einen anderen zu mißhandeln wenn man gar nicht zornig ist, als wenn man es im Zorne tut. Denn was würde jener erst tun, wenn er in Zorn geriete! Mithin ist auch der Wüstling schlimmer als einer der seiner Begierde unterliegt.
Von den oben bezeichneten Verhaltungsweisen ist also die eine mehr eine Form der Willensschwäche, die andere bezeichnet den Wüstling. Zu dem seiner Begierde nicht Mächtigen bildet den Gegensatz der seine Begierden Beherrschende, zum Willensschwachen der Willensstarke. Willensstark sein heißt standhalten, Herr seiner Begierde sein heißt überlegen bleiben. Standhalten aber ist etwas ganz anderes als überlegen sein, wie nicht unterliegen etwas anderes ist als den Sieg davontragen. Darum ist es ein höheres Ziel, Herr seiner Begierden zu sein, als ihnen bloß Widerstand zu leisten.
Wer da sich schwach zeigt, wo die meisten widerstehen und sich kraftvoll bewähren, der ist weichlich und entnervt, denn auch Mangel an Nerv ist eine Art der Verweichlichung. Wer sein Gewand auf dem Boden schleppen läßt bloß weil er für die Beschwerde es aufzunehmen zu bequem ist, und wer sich geberdet wie ein Leidender, der hält sich nicht für elend, und ist doch einem Elenden ganz ähnlich. Mit der Herrschaft über die Begierden und der Dienstbarkeit unter ihnen ist es ebenso. Denn wenn einer starken und übergroßen Reizungen in Lust oder Unlust unterliegt, so ist es kein Wunder, und geschieht es trotz seines Widerstrebens, so verdient es Verzeihung. Beispiele sind Philoktet beim Theodektes, der unter den Folgen eines Schlangenbisses leidet, oder Kerkyon in der »Alope« des Karkinos, oder auch diejenigen, die sich das Lachen verbeißen möchten und auf einmal in schallendes Gelächter ausbrechen, wie es dem Xenophantos begegnete. Ganz anders wenn einer da wo die meisten zu widerstehen vermögen unterliegt und nicht standzuhalten vermag, nicht weil es so in der besonderen Natur seines Geschlechtes liegt, oder infolge einer Krankheit, wie bei den Königen der Skythen die Verweichlichung ihrem ganzen Geschlechte eignet, oder wie das weibliche Geschlecht gegen das männliche zurücksteht. Auch der immer nur auf Scherze Bedachte macht den Eindruck eines ausgelassenen Menschen, er ist aber bloß ein willensschwacher Mensch. Denn das Scherzen ist eine Erholung so weit als es ein Ausruhen bedeutet, zu denen aber die es bis zur Übertreibung lieben, gehört der, der immer nur Spaß treibt.
Mangel an Herrschaft über die Begierde kann ungestümes Drauflosgehen, kann aber auch einfache Schwäche sein. Manche überlegen erst, aber die Leidenschaft gestattet ihnen nicht, ihrem Entschluß treu zu bleiben; andere lassen sich von ihrer Leidenschaft treiben, weil sie gar nicht zum Überlegen gekommen sind. Denn manche sind in der Lage desjenigen, der dem Kitzel entgeht, weil er den Kitzel vorweggenommen hat. Weil sie zum voraus wahrgenommen, zum voraus sich umgesehen und sich und ihre Überlegung wach gehalten haben, unterliegen sie dem erregten Gefühle nicht, ebensowenig dem angenehmen wie dem schmerzlichen. Am meisten sind es die Leute von heftiger und hitziger Gemütsart, die in ungestümer Hingerissenheit die Herrschaft über sich verlieren. Die einen lassen sich wegen des schnellen Aufflammens, die anderen wegen der Heftigkeit ihrer Gefühle nicht Zeit zum Überlegen, weil sie immer geneigt sind, sich den empfangenen Eindrücken hinzugeben.
d) Böser Wille und schwacher Wille
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