Название: Aristoteles: Metaphysik, Nikomachische Ethik, Das Organon, Die Physik & Die Dichtkunst
Автор: Aristoteles
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788075834157
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Aber weiter: damit der Mensch seine Bestimmung erfülle, ist beides nötig. Einsicht und sittliche Tüchtigkeit. Denn sittliche Tüchtigkeit bewirkt, daß das Ziel das man sich steckt, das rechte ist, und die Einsicht bewirkt, daß die Mittel die man zum Ziele anwendet, die rechten sind. Für das vierte Seelenvermögen, das vegetative, gibt es eine solche Vollkommenheit nicht; denn in seiner Macht steht weder etwas zu tun noch etwas zu unterlassen. Was aber das anbetrifft, daß man durch die Einsicht keineswegs geeigneter werde, das Gute und Gerechte handelnd zu verwirklichen, so müssen wir etwas weiter ausholen und folgendes zum Ausgangspunkte nehmen. Wie wir sagen, daß einer deshalb noch nicht gerecht sei weil er gerechte Handlungen vollbringt, wie z.B. diejenigen es tun, die die gesetzlichen Anordnungen, sei es wider ihren Willen, sei es aus Irrtum oder sonst aus einem Motiv, nur nicht um ihrer selbst willen befolgen, und sie handeln doch der Pflicht gemäß und tun was einem Ehrenmann geziemt, ebenso, scheint es, ist es möglich daß einer auf Grund seiner Beschaffenheit jede Handlung so vollzieht, daß er ein wirklich guter Mensch ist; ich meine damit, daß er sie mit Vorsatz und um der Sache selbst willen vollzieht. Das nun bewirkt die sittliche Gesinnung, daß der Vorsatz der richtige ist; daß aber das was der Natur der Sache nach zum Behufe jenes Vorsatzes zu geschehen hat, auch das Richtige sei, das zu bewirken ist nicht die Leistung der sittlichen Gesinnung, sondern dazu bedarf es eines anderen geistigen Vermögens.
Indessen der Gegenstand verdient es, daß wir unsere besondere Aufmerksamkeit darauf richten und noch eingehender darüber handeln.
Es gibt ein Vermögen, das man als Geschicklichkeit bezeichnet. Ihr wesentliches Merkmal ist dies, daß sie das, was zu einem gegebenen Ziele hinführt, ins Werk zu setzen und richtig zu treffen vermag. Ist nun das Ziel edel, so verdient diese Geschicklichkeit Hochachtung; ist das Ziel niedrig, so heißt sie Verschlagenheit. Deshalb sagt man wohl von einsichtigen Leuten, sie seien geschickt, und sagt es auch von verschlagenen Leuten. Nun ist die Einsicht allerdings nicht dieses Vermögen, aber sie ist nicht ohne dieses Vermögen. Die befestigte Fertigkeit der Einsicht aber erwächst dem Auge des Geistes nicht ohne vollendete Bildung, wie wir dargelegt haben und wie von selber klar ist. Denn die Schlüsse, die für alles tätige Handeln das Prinzip enthalten, nehmen diesen Gang: da dieses das Ziel und das Beste ist im übrigen mag es sein was es will; irgendein beliebiges kann als Beispiel dienen, so usw. Was aber dieses ist, das stellt sich nur dem dar, der ein guter Mensch ist. Denn niedrige Gesinnung verfälscht jedem das Urteil darüber und bewirkt, daß man die Prinzipien des tätigen Verhaltens von vornherein in falschem Lichte sieht. Offenbar also ist es unmöglich, ein Mann von praktischer Einsicht zu sein, wenn man nicht auch ein Mann von gutem Charakter ist.
Wir müssen also wiederum unsere Untersuchung auch über die Anforderung an den Charakter erstrecken. Die Charakterbeschaffenheit nämlich verhält sich nahezu so wie die praktische Einsicht. Wie diese sich zur Geschicklichkeit verhält, sie ist nicht mit ihr identisch, aber ihr doch ähnlich, so verhält sich auch die auf Naturausstattung beruhende Trefflichkeit zu eigentlicher sittlicher Trefflichkeit. Jede einzelne Charaktereigenschaft, darf man sagen, ist bei allen irgendwie schon von Natur angelegt. Wir sind gerecht, zur Besonnenheit geneigt, energisch, wir haben die anderen Eigenschaften, alles gleich von der Geburt an. Aber gleichwohl suchen wir nach etwas anderem, was erst das Gute im eigentlichen Sinne ist, und begehren daß diese Eigenschaften noch in anderem Sinne vorhanden seien. Als natürliche Ausstattung kommen diese Eigenschaften auch den Kindern und den Tieren zu, aber ohne die denkende Vernunft erweisen sie sich als verderblich. Wenigstens soviel scheint die Erfahrung zu lehren, daß wie es bei einem kräftigen Körper, der sich bewegt ohne Sehkraft zu haben, wohl begegnet, daß er hart anstößt, weil ihm die Sehkraft mangelt, das gleiche hier auch geschieht. Wenn aber die denkende Vernunft hinzutritt, dann tun sich in der praktischen Betätigung jene Trefflichkeiten hervor; dann wird die Eigenschaft, die mit sittlicher Tüchtigkeit bloß Ähnlichkeit besaß, zu wirklicher Sittlichkeit im eigentlichen Sinne. Wie es im Gebiete der Ansichtsbildung zwei Arten gibt, Geschicklichkeit und praktische Einsicht, so gibt es auch auf dem Gebiete der sittlichen Charakterbildung zwei Arten, die eine die Trefflichkeit durch Naturaustattung, die andere die sittliche Trefflichkeit im eigentlichen Sinne, und von diesen beiden bildet sich die eigentliche Trefflichkeit nicht ohne praktische Einsicht heraus. Das ist auch der Grund, weshalb manche behaupten, alle Arten sittlicher Willensrichtung seien Formen der Verstandesbildung, und Sokrates hat in dem einen Sinne wohl das Rechte getroffen, während er es im anderen Sinne verfehlte. Darin daß er meinte, alle Arten sittlicher Trefflichkeit seien Arten der Verstandesbildung, hat er geirrt; dagegen hat er mit Recht gesagt, daß sie nicht ohne Verstandesbildung zustande kämen. Der Beweis dafür ist der: auch die Heutigen machen sämtlich, wenn sie sittliche Trefflichkeit begrifflich bestimmen wollen, den Zusatz, nachdem sie zuvor die befestigte Willensrichtung und das Gebiet, auf das sie sich bezieht, angegeben haben, sie sei die dem richtigen Denken entsprechende Willensrichtung; richtiges Denken aber heißt das durch praktische Einsicht geleitete Denken. Damit machen sie sämtlich den Eindruck, als ob ihnen irgendwie die Vermutung aufgegangen wäre, daß eine derartige Charakterbeschaffenheit, die praktischer Einsicht entspricht, sittliche Trefflichkeit ist. Wir müssen aber noch einen Schritt weitergehen. Sittliche Trefflichkeit ist eine Willensrichtung, die nicht nur dem richtigen Denken entspricht, sondern die sich ausdrücklich mit dem richtigen Denken verbündet; richtiges Denken über dergleichen Dinge ist aber praktische Einsicht. Sokrates war der Meinung, die Arten sittlicher Trefflichkeit seien Formen der gedanklichen Bildung, denn sie seien insgesamt Erkenntnisse; wir dagegen sagen: sie stehen mit gedanklicher Bildung im Bunde.
Aus dem was wir ausgeführt haben geht hervor, daß es ebensowenig möglich ist ein sittlicher Mensch im eigentlichen Sinne zu sein ohne intellektuelle Bildung, wie praktische Einsicht zu haben ohne sittliche Trefflichkeit. Auf diese Weise mag sich auch der dialektische Einwand heben lassen, der darauf beruht, daß die einzelnen Richtungen des sittlichen Willens getrennt vorkommen. Ein und derselbe Mensch hat nämlich nicht zu allen die gleiche natürliche Anlage, und so geschieht es, daß er, während er die eine sich schon angeeignet hat, die andere noch nicht besitzt. Das kann wohl der Fall sein bei den auf Naturausstattung beruhenden Vorzügen; aber es kann nicht stattfinden bei den Eigenschaften, um derentwillen jemand ein guter Mensch ohne weiteres genannt wird. Denn mit der intellektuellen Bildung, die nur eine ist, stellen sie sich sämtlich zugleich ein.
Aber gesetzt selbst, diese Bildung wäre für das praktische Verhalten nicht von Bedeutung, so bedürfte man ihrer offenbar dennoch, weil sie die rechte Beschaffenheit des einen geistigen Vermögens ist, und weil die Bildung von Vorsätzen ebensowenig da die richtige sein kann, wo die intellektuelle Bildung, wie da, wo die sittliche Willensrichtung fehlt. Bewirkt die eine, daß man sich das Ziel richtig setzt, so bewirkt die andere, daß man den rechten Weg zum Ziele einschlägt. Aber allerdings, diese intellektuelle Bildung ist nicht die Herrin über die ideale Geisteskultur noch über das edlere Geistesvermögen, sowenig wie die Heilkunde die Herrin ist über die Gesundheit; sie verwendet sie nicht in ihrem Dienste, sondern sorgt nur dafür, daß sie zustande kommt, und wenn sie ihre Vorschriften macht, so macht sie sie nicht ihr, sondern um ihretwillen. Es wäre ebenso, wenn jemand sagen wollte, die Staatskunst übe die Herrschaft über die Götter, weil sie betreffs alles dessen was zum Staatsleben gehört ihre Anordnungen trifft.
II. Willensbildung