Название: Missionale Theologie
Автор: Roland Hardmeier
Издательство: Bookwire
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783862567621
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Unterschiedliche Lesarten
Willingen wird mitunter als „kopernikanische Wende“ in der Missionstheologie bezeichnet.98 Dieser Ausdruck scheint mir hoch gegriffen, auch wenn von Willingen als einer „der theologisch fruchtbarsten Konferenzen“ gesprochen werden kann.99 Entscheidend war, dass das Konzept der Missio Dei die christliche Mission im Wesen Gottes verankerte. Mit dieser Verankerung wurde die westlich angeführte Mission theologisch ihres Überlegenheitsgefühls beraubt, weil sie ihre Existenz nicht mehr mit ihren Erfolgen begründen konnte, sondern der Grund der Mission außerhalb ihrer selbst, nämlich in Gott, lag.100
Die Missio Dei entfaltete eine beträchtliche Wirkungsgeschichte.101 Nach Willingen wurden in der ökumenischen Mission das verheißungsgeschichtliche und das trinitarische Missionsmodell zu einem „neuen“ Missionsverständnis mit humanistischem Programm verschmolzen. Man war nun nicht mehr, wie im heilsgeschichtlichen Modell, auf das kommende Reich ausgerichtet. Es ging jetzt darum, dem Reich Gottes auf Erden zum Durchbruch zu verhelfen. Die Mittel dazu waren nicht mehr die Verkündigung des Evangeliums, sondern der interreligiöse Dialog und der politische Kampf.102 Neuere ökumenische Missionserklärungen gehen wie selbstverständlich von der Missio Dei aus.103 Allerdings wird diese nicht mehr so radikal interpretiert wie in den 1960er- und 70er-Jahren. So versuchte das Dokument Mission und Evangelisation – eine ökumenische Erklärung aus dem Jahr 1982 ein neues Gleichgewicht zwischen Verkündigung und Verantwortung in der Welt zu erreichen.104
Die evangelikale Leseart der Missio Dei unterscheidet sich bis heute wesentlich von der ökumenischen. Hier entwickelte sich die Missionstheologie erst einmal ganz im Rahmen des heilsgeschichtlichen Modells, wie Walter Freytag und Karl Hartenstein es vertraten. Die Missio Dei – sowohl als Begriff als auch der Sache nach – spielte in der evangelikalen Bewegung bis zur Jahrtausendwende keine wesentliche Rolle. Das zeigt sich an den großen evangelikalen Missionserklärungen:105
In der Lausanner Verpflichtung (1974) ist in Artikel 1 vom Plan Gottes die Rede. Gott „hat sein Volk aus der Welt herausgerufen und sendet es zurück in die Welt, damit sie seine Diener und Zeugen sind.“ Im Zentrum des Artikels steht der sendende Gott, der die Kirche zum Zeugendienst beruft. Eine Begründung der Mission aus dem Wesen Gottes kommt nicht ins Blickfeld. Artikel 15 verortet die Mission in der Eschatologie und stellt sich damit in die Tradition des heilsgeschichtlichen Modells von Walter Freytag und Karl Hartenstein.
Im Manila Manifest (1989) wird der missionarische Auftrag der Kirche umfassend begründet und entfaltet. Absatz 5 mit der Überschrift „Gott, der Evangelist“ beginnt mit den Worten: „Die Schrift erklärt, dass Gott selbst der eigentliche Evangelist ist.“ 106 Es wird festgehalten, dass Evangelisation ohne den Heiligen Geist nicht möglich ist. Mehr ist in dem Absatz und im ganzen übrigen Manifest nicht in Erfahrung zu bringen. Eine systematische Einfügung der Missio Dei in den Missionsauftrag ist nicht vorhanden.
In der Kapstadt-Verpflichtung (2010) wird erstmals in einer repräsentativen evangelikalen Missionserklärung die Sendung der Kirche in der Missio Dei verankert. Die missionarische Aufgabe wird als Dienst an der Welt definiert, und dieser Dienst ist möglich, weil Gott uns zuerst geliebt hat.107
Erst in den neuesten evangelikalen Versuchen, ein missionales Verständnis von Kirche und Mission zu entwickeln, wird auf die Missio Dei zurückgegriffen. So entfaltet der Missionswissenschaftler und Gemeindegründer Johannes Reimer den Gemeindebau trinitarisch und schreibt der Missio Dei eine wichtige Grundfunktion zu. Er nimmt den ökumenischen Gedanken der Missio Dei auf, der besagt, dass Gott sich in seiner Liebe der Welt zuwendet: „Es geht Gott um die Welt, und um seine geliebte Welt zu gewinnen, bedient er sich der Gemeinde. Sie ist daher Gottes Missionsinstrument und von ihrem Wesen her missionarisch.“ 108 Der heilsgeschichtliche Ansatz einerseits und die verheißungsgeschichtlichen und trinitarischen Ansätze anderseits vereinen sich bei Reimer zu einer missionalen Theologie evangelikaler Leseart, die auf theologische Abschottung verzichtet.109
Missionales Potenzial
Die Diskussion um die Missio Dei hat die evangelische Missionstheologie zweifellos einen Schritt weitergebracht. „Wir sind von einer ekklesiologischen zu einer trinitarischen Missiologie fortgeschritten“, bemerkt David Bosch.110 Durch eine trinitarische Missionsbegründung wird die Sendung der Kirche in Gott selbst verankert. Um eine kopernikanische Wende handelt es sich nicht. Es scheint mir angebrachter, von einem Fortschritt oder einem Potenzial zu sprechen. Abschließend möchte ich die Diskussion um die Missio Dei mit je einer Erkenntnis über Gott, die Welt und die Kirche versehen und damit das missionale Potenzial des Konzepts unterstreichen:
Erstens hat christliche Mission ihren Ursprung in Gottes liebender Selbstverpflichtung gegenüber der Welt. Bosch gibt diese Tatsache treffend wieder: „Mission hat ihren Ursprung weder in der offiziellen Kirche noch in speziellen kirchlichen Gruppen. Sie hat ihren Ursprung in Gott. Gott ist ein missionarischer Gott, ein Gott, der Grenzen auf die Welt hin überschreitet.“ Mission heißt: „Gott gibt sich selbst auf, wird Mensch, legt seine göttlichen Vorrechte ab und nimmt unsere Menschheit an. Gott kommt in die Welt, in seinem Sohn und seinem Geist. Das bedeutet, dass der dreieinige Gott das Subjekt der Mission ist.“ Und noch deutlicher: „Mission hat ihren Ursprung im Vaterherzen Gottes. Er ist die Quelle der sendenden Liebe. Das ist die tiefste Quelle der Mission. Es ist nicht möglich, noch tiefer vorzudringen: Es gibt Mission, weil Gott die Menschen liebt.“ 111
Zweitens ist die sich im Widerspruch zu Gott befindende und doch von ihm geliebte Welt das Objekt der Mission. Gott liebt diese Welt so sehr, dass er seinen eigenen Sohn zu ihrer Rettung sandte (Joh 3,16). Es ist die Welt, die im Fokus der Heilsabsichten Gottes ist. Die Kirche existiert nicht um ihrer selbst, sondern um Gottes Verherrlichung und um der Welt Willen. Bosch spricht von einer dreifachen Verpflichtung der Kirche gegenüber der Welt:
„Die Kirche schuldet der Welt Glauben.“ 112 Es ist die Aufgabe der Kirche, Menschen zum Glauben an Christus zu rufen. „Dieser Aufruf zum Glauben kommt nicht aus der Höhe einer überlegenen Position, sondern aus der Tiefe der Solidarität. Wir sind an dieser Stelle nur Bettler, die anderen Bettlern sagen, wo es Brot gibt.“ Die Botschaft der Versöhnung, welche die Kirche predigt, ist einzigartig und die Kirche „hat nur dann ein Recht auf Fortbestand, wenn das, was sie anbietet, einzigartig bleibt“.
„Die Kirche schuldet der Welt Hoffnung“.113 Die Kirche ist ein Zeuge der „kommenden neuen Ordnung“ und darum „muss sie bereits jetzt Zeichen des Reiches Gottes aufrichten“. Für Bosch sind es vor allem Zeichen der Solidarität mit Leidenden und Unterdrückten: „Jemand, der weiß, dass Gott eines Tages alle Tränen abwischen wird, kann nicht resignierend die Tränen derjenigen akzeptieren, die heute leiden und unterdrückt sind (…) Der Vorschlag, die Dinge sollten so bleiben, wie sie sind, ist das genaue Gegenteil des Evangeliums. Er ist nichts anderes als eine Leugnung der Auferstehung Christi und des Anbruchs des neuen Zeitalters.“
„Die СКАЧАТЬ